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Die Verarbeitung der Geburt

Autorin - Melanie Schüer

Eine schwere Geburt löst bei Müttern häufig ein Gefühl des Versagens aus. Vielleicht denkst auch du: „alle haben das hinbekommen – nur ich nicht“. Aber das ist weit gefehlt: sehr viele Mütter leiden unter einem belastenden Geburtserlebnis, wagen aber nicht darüber zu sprechen. Dies ist ein Mutmach-Artikel, der dir zeigen soll, wie du mit deiner ganz persönlichen Geburtserfahrung umgehen und wie du sie gut verarbeiten kannst.

  • <link internal-link>Geburt als Grenzerfahrung
  • <link internal-link>Geburts-Tagebuch und Briefe
  • <link internal-link>Hilfreiche Übungen und Ratgeber
  • <link internal-link>Praktische Hilfe und professionelle Beratung
Lesezeit: Etwa 7 Minuten
Zwei Frauen sprechen und beraten einander

Geburt ist eine Grenzerfahrung

„Wenn das Kind da ist, ist aller Schmerz vergessen“, heißt es oft. Doch so ganz stimmt das nicht. Natürlich, die Freude, das eigene Kind endlich in den Armen zu halten, stellt erst einmal alle anderen Gefühle in den Schatten. Doch die Betonung liegt auf „erst einmal“. Denn mit der Zeit kommen bei vielen Müttern die Erinnerungen an die Geburt dann doch wieder hoch – und können auch ziemlich belastend sein, wenn die Geburt als beängstigend oder sehr schmerzhaft erlebt wurde.

Eine Geburt ist eine Grenzerfahrung – und je nach Verlauf kann diese auch traumatisch sein. Wichtig ist, diese Gefühle ernst zu nehmen. Denn wenn ein Geburtstrauma nicht verarbeitet wird, kann dies viele Folgen haben – postpartale Depressionen, Ängste, Albträume, etc. für die Mutter und Schrei- und Schlafprobleme, Unruhezustände und andere Auffälligkeiten beim Kind. Denn Babys spüren intuitiv die Anspannung ihrer Mutter – selbst wenn diese sich selbst dessen noch gar nicht bewusst ist. Und auch während der Geburt erleben Babys Gefühle wie Stress und Angst mit.

Gespräche helfen

Deshalb möchten wir dich ermutigen, dir Unterstützung zu suchen, um dein Geburtserlebnis zu verarbeiten. Manchmal hilft es schon, ausführlich mit vertrauten Menschen über die Erfahrung zu sprechen – zum Beispiel mit dem Partner, der Hebamme, Verwandten oder Freunden. Oft ist es sinnvoll, den Geburtsbericht bei der Klinik anzufordern. Den kannst du dann mit deiner Hebamme oder Ärztin besprechen, um besser einzuordnen, was passiert ist und offene Fragen loszuwerden. Wenn die Geburt traumatisch war, braucht es meist mehrere Gespräche. Erkläre deinem Partner oder anderen vertrauten Personen, dass das häufige Sprechen über das Erlebte dir hilft, es zu verarbeiten.

Schreibe dir den Schmerz von der Seele: Geburts-Tagebuch und Briefe

 

Oft tut es gut, einmal ganz offen und ehrlich über die Geburt zu schreiben – nur für dich, in einem Tagebuch. Du kannst den Rückblick schon mit dem Verlauf der der Schwangerschaft beginnen und dann weiter von der Geburt berichten. Reflektiere deine Gefühle wie Hoffnung, Angst, Sorgen, aber auch Freude, Stolz und Dankbarkeit. Dabei kannst du dir Fragen stellen wie:

  • Was macht mich traurig, wenn ich an die Geburt meines Kindes denke?
  • Was hat mir Angst gemacht?
  • Was hätte ich gebraucht, um besser zurechtzukommen und was würde ich beim nächsten Mal anders machen?
  • Worauf bin ich stolz?
  • Wofür bin ich dankbar?
  • Inwiefern kann ich durch diese Erfahrung stärker werden?

Vielleicht magst du dir auch selbst einen Brief schreiben. Stelle dir vor, du wärst eine liebe Freundin, die dich sehr gut versteht und dir einen Brief schreibt, in welchem sie dich ermutigt und dir Wertschätzung für das, was du geschafft hast, ausdrückt. Oder, was auch immer dir gerade zu lesen guttun könnte.

Gefühle sind wichtig - für dich und dein Baby

Lass' dabei alle Gefühle zu, die hochkommen. Erlaube dir, über das, was du erlebt hast, zu weinen. Um eine belastende Geburt zu verarbeiten, ist es wichtig, sich die Trauer zu erlauben: Trauer über das, was nicht so gelaufen ist, wie erhofft. Über die Schmerzen, die so groß waren, dass es nicht den einen glücklichen Moment gab, von dem andere vielleicht schwärmen. Über die Selbstvorwürfe, dass du etwas nicht richtiggemacht haben könntest. Wenn du das zulässt und deinen Emotionen Raum gibst, dann kannst du nach und nach lernen, die Geburt, die du erlebt hast, anzunehmen: Als ein Erlebnis, das erschreckend und schlimm war – das aber dennoch der Weg war, auf dem dein Kind zu dir gekommen ist.

Als eine Erfahrung, die dich überwältigt hat – die du nun aber in dein Leben integrieren kannst, in dem Bewusstsein, dass das Leben aus dunklen und hellen Seiten besteht. Mit der Erkenntnis, dass du nichts falsch gemacht hast, sondern deinem Kind das Leben geschenkt hast. Und auch mit einem gewissen Stolz darüber, dass du diese schwierige Situation durchgestanden hast. Manchmal ist es dazu auch nötig, einmal den Menschen, die während der Geburt womöglich Fehler gemacht haben, zu vergeben. Das bedeutet nicht, dass du ihre Fehler verharmlost – sondern, dass du sie loslässt.

Dazu hilft es, sich klarzumachen, dass die Fehler oft ihre Ursachen in eigenen Problemen, Ängsten und Verletzungen oder falschen Informationen derjenigen Menschen haben. Versuche, zu vergeben, weil Bitterkeit dich nur selbst belastet. Vergebung hingegen befreit. Erlaube auch deinem Baby, zu weinen. Manchmal brauchen Babys das, um den Stress, den sie während der Geburt erfahren haben, zu verarbeiten. Deshalb versuche mal, das Schreien deines Babys zuzulassen. Nimm' es in den Arm und sage ihm: „Alles gut, mein Schatz, du darfst ruhig weinen. Ich höre dir zu.“ Auch Mitweinen ist erlaubt und kann sehr heilsam sein.

Hilfreiche Übungen und Ratgeber

 

Eine hilfreiche Übung ist die Vorstellung eines „inneren Helfer“. Dabei erinnerst du dich bewusst an die Geburt und stellst dir vor, wie eine starke, liebevolle Person (eine Vater-/Mutterfigur, z.B. Gott oder andere Personen, die für dich Geborgenheit und Sicherheit vermitteln) die ganze Zeit unsichtbar bei dir war, dich gestärkt und dir beigestanden hat. Auf diese Weise verankerst du in deinem Bewusstsein und deinen Gefühlen die Gewissheit: Auch in den angstvollen, überwältigenden Momenten war ich nicht allein. Sehr effektiv, um innerlich ruhiger und entspannter zu werden, sind Beruhigungstechniken wie Autogenes Training oder Bauchatmung:  Atme dazu tief in den Bauch hinein, sodass er wie ein Luftballon aufgeblasen wird und denke dabei das Wort „Ruhe“. Atme mindestens 4-5 Sekunden lang ein. Dann atme langsam und bewusst aus (mindestens 6 Sekunden lang) und denke das Wort „Frieden“. Ebenfalls beruhigend wirkt die Vorstellung eines „sicheren Ortes“: Du stellst dir einen Ort vor – er kann wirklich existieren oder ausgedacht sein – an dem du dich vollkommen sicher und geborgen fühlst. Zähle von 10 langsam rückwärts herunter bis 0 und gehe dann in deiner Vorstellung an diesen sicheren Ort. Stelle ihn dir möglichst konkret vor: Wie riecht es dort? Welche Geräusche sind zu hören? Welche Farben sind zu sehen? Wie fühlt sich der Boden an, über den du läufst? Wenn du gern liest, empfehlen wir dir außerdem das Buch „Es ist vorbei, ich weiß es nur noch nicht“ von Tanja Sahib. Die Psychologin erklärt darin leicht, verständlich und sehr hilfreich Übungen, die helfen, die Geburt besser zu verarbeiten. Nach Kaiserschnitten oder anderen belastenden Geburten kann das Bonding Bad nach Brigitte Meissner sehr heilsam sein: Dein Baby wird in Wasser mit 5ml Wildrosenöl und vier Tropfen Bachblüten-Rescuetropfen gebadet (am besten von deinem Partner, der Hebamme oder einer anderen vertrauten Person). Danach wird dein Baby leicht abgetrocknet und dir dann nackt und feucht auf den nackten Oberkörper gelegt, eingekuschelt in eine Decke oder ein großes Handtuch. 

Wenn es schlimmer statt besser wird: praktische Hilfe und professionelle Beratung

 

Eine schwere Geburt führt meist dazu, dass du dich langsamer als andere körperlich erholst. Deshalb unser Rat: organisiere dir Unterstützung, z.B. von wellcome. Auf www.wellcome-online.de findest du meist ein wellcome-Team in deiner Nähe. Wenn du dort anrufst, wird dir eine ehrenamtliche Mitarbeiterin vermittelt, die dich unterstützt, damit du mal schlafen oder duschen kannst. Gönne dir diese kleinen Auszeiten! Nicht immer reichen Selbsthilfeübungen oder praktische Hilfe, um ein traumatisches Erlebnis zu bearbeiten. Dann ist es sinnvoll, dich nach Angeboten der Traumaberatung oder Traumatherapie zu erkundigen. Methoden wie EMDR sind sehr hilfreich, um auch schlimme Traumata gut und dauerhaft zu verarbeiten. Vielleicht kann deine Hebamme oder Ärztin dir Adressen nennen oder du suchst im Internet nach „Traumaberatung“ oder „Traumatherapie“, kombiniert mit deinem Wohnort. Wenn du an depressiven Stimmungen leidest, bietet der Verein „Schatten und Licht“ Hilfe und Informationen: www.schatten-und-licht.de Eine hilfreiche Methode, um sowohl Mutter als auch Kind bei der Geburtsverarbeitung zu unterstützen, ist die Emotionelle Erste Hilfe. Nähere Informationen und Angebote in deiner Nähe findest du unter: http://emotionelle-erste-hilfe.org/content/beraterinnen

Die wichtigste Botschaft zum Schluss:

Auch wenn du mit deinem Baby vielleicht keinen Traumstart hattest, steht einer gesunden, glücklichen Entwicklung nichts im Wege. Versöhne dich mit der Vergangenheit, damit du die Gegenwart genießen und das Vertrauen in die Zukunft wiederfinden kannst. Freue dich über das wunderbare kleine Wesen und sei neugierig auf alles, was ihr noch gemeinsam erleben werdet!