Format: Artikel – Schreibfeder auf dem Tisch
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Schreibaby – Das Leben mit einem schreienden Baby

Autorin - Andrea Zschocher

Wenn ein Baby weint, dann haben andere Menschen 100 und eine Idee, was der Grund dafür ist und was gegen das Weinen helfen könnte. Wenn dein Baby ein sogenanntes Schreibaby ist, das über Wochen und Monate sehr ausdauernd und herzzerreißend weint, dann werden aus diesen Ratschlägen schnell Anklagen, die dafür sorgen, dass du dich als Elternteil unzulänglich fühlst. Ich kenne das aus eigener leidvoller Erfahrung, denn meine drei Kinder waren alle Schreibabys. Die vielen gutgemeinten Ratschläge sorgten bei mir für noch mehr Stress und das Gefühl, es als einziger Mensch auf dieser Welt nicht hinzubekommen, meine Kinder glücklich und zufrieden zu machen. Dabei ist die Wahrheit in Bezug auf Schreibabys leider reicht einfach: Meistens hilft nur Durchhalten. Wir Eltern können kaum mehr tun als unsere Kinder halten, für sie da zu sein, begleiten. Weil das Weinen nicht Hunger oder Unwohlsein wegen einer vollen Windel signalisiert, sondern weil diese Babys sehr viel Nähe und Zuspruch brauchen. Hilfe für Schreibabys im Premium Artikel Die Trost-Methode bei Schrei- und Schlafproblemen

Lesezeit: Etwa 4 Minuten
Mutter und Vater schauen auf schreiendes Baby im Arm der Mutter.

Eltern von Schreibabys brauchen Unterstützung

Natürlich sind wir für unsere Kinder immer da, aber wir sollten auch mehr darüber sprechen, wie sehr das uns Eltern an unsere Grenzen bringt. Die Sorge um ein Baby ist immer dann leichter, wenn sie sich auf viele Hände verteilt. Nur haben wir die heute in den meisten Fällen nicht. Und das ist auch der Grund dafür, dass Eltern inzwischen immer mehr über Schreibabys lesen. Nicht, weil das etwas vollkommen Neues ist, untröstlich weinende Kinder gab es schon immer. Früher hat sich die Herausforderungen nur auf mehr Menschen verteilt und wenn nicht nur die Eltern sondern auch Großeltern, Tanten, Onkel, ältere Kinder und Nachbarn den Familienalltag unterstützt haben, so wurde die individuelle Belastung kleiner. Das sprichwörtliche Dorf, das es braucht um ein Kind groß zu ziehen, das fehlt uns in vielen Fällen. Ich hatte es definitiv nicht und war deswegen mit dem Geschrei meiner Kinder oft am Limit.

Haltet durch – Die Schreibaby-Zeit geht vorüber

Was mir geholfen hat? Zum einen die Hoffnung darauf, dass es irgendwann besser werden musste. Und das wird es, ich verspreche es euch. Auch wenn es sich mitten drin nicht so anfühlt. Meine drei Kinder sind der Schreibabyzeit inzwischen entwachsen und ich kann euch versichern: Es wird anders. Und, ob ihr es glaubt oder nicht, in aller Regel sind auch überhaupt gar keine Spätfolgen zu erwarten. Wenn ihr angemessen und altersgerecht auf das Weinen eures Babys reagiert, dann stehen die Chancen sehr, sehr gut, dass das Schreien irgendwann nur eure Erinnerung an die erste Zeit mit eurem Kind ist.

Meine Erinnerungen an diese Zeit sind tatsächlich unvollständig. Da ist viel Geschrei und Müdigkeit und Trauer darüber, dass alles so ganz anders kam als gedacht. Das kann bei euch so sein, muss aber nicht. Für mein Buch >>Wie du dein Schreibaby beruhigst<< habe ich mit über 50 Eltern von Schreibabys gesprochen. Und spätestens auf Nachfrage erinnern sich eigentlich alle dann doch auch an schöne Momente mit ihren viel weinenden Babys. Die sind schon wichtig, weil sie beim Durchhalten helfen. Auch mir fällt das erste Lachen, das Staunen über einen Sternenhimmel und die Liebe der Geschwister zueinander ein. Und die Liebe, die ist es tatsächlich, die uns durch diese Zeiten trägt.

Als Mutter und Vater zusammen durch die Schreibaby-Zeit

Dazu gehört auch die gegenseitige Entlastung. Ja, auch nachts! Ich hatte anfangs gedacht, dass ich auch in der Nacht dafür zuständig bin, dass unser Baby möglichst wenig weint. Bis ich vor Erschöpfung umfiel. Da war klar: Wir Eltern müssen gemeinsam da durch und zwar zu jeder Tageszeit. So waren wir beide sehr müde, aber die Zeit hat uns auch zusammengeschweißt. Wir leben bis heute eine sehr gleichberechtigte Elternschaft, kümmern uns 50:50 um Haushalt und Kinder und ich bin davon überzeugt, das hat seinen Ursprung auch in der Schreibabyzeit. Weil klar war, dass wir die Herausforderung nur gemeinsam schaffen. Dazu zählt auch, dem anderen zu erzählen, was euch beschäftigt.

Mein Schreibaby sorgt für schwere Gedanken

Gerade mit einem Schreibaby können das auch erschreckend dunkle Gedanken sein. Vielleicht glaubt ihr, so im Geheimen, dass es besser wäre, euer Baby wäre gar nicht da, dass ihr die falschen Eltern für euer Kind seid oder auch, dass ihr euch oder eurem Kind etwas antun könntet, um aus dieser Situation herauszukommen. Das liest sich schrecklich, natürlich. Aber wenn wir nicht anfangen darüber zu reden, dann wird es weiterhin ein Tabu bleiben und ihr keine Entlastung bekommen.

Wendet euch vertrauensvoll an euren Partner, den Kinderarzt, die Hebamme, die Gynäkologin. Wo immer ihr das Gefühl habt, gut aufgehoben zu sein, da sprecht darüber, was diese Zeit mit euch macht. Ihr müsst deswegen kein schlechtes Gewissen haben, im Gegenteil, seid stolz auf euch, dass ihr euch Hilfe sucht. Ich habe mit meinem Mann und meiner Hebamme viel über die dunklen Gedanken, die ich hatte gesprochen. Und das Erzählen hat verhindert, dass ich vollkommen verzweifelte. Diese Entlastung wünsche ich euch auch.