Format: Interview – Mikrofon auf dem Tisch
Interview

Ralf Haake: "Elternsein ist eine Prüfung für die Beziehung"

Wenn ein Partner zuhause das Baby betreut und der andere weiter berufstätig ist, dann besteht, neben allen anderen Veränderungen, auch die Gefahr, dass die Lebenswelten von Mann und Frau auseinander driften. Der erfahrene Persönlichkeitskeitscoach Ralf Haake ist Systemischer Berater und Vater einer erwachsenen Tochter. Im ElternLeben.de Interview erklärt er, wie Paare auch trotz dieser Herausforderung gut miteinander im Kontakt bleiben und das Elternsein auch als Chance für ihre persönliche Weiterentwicklung nutzen können.

Lesezeit: Etwa 5 Minuten
Gleise gehen auseinander

Was kennzeichnet den Alltag von Männern und Frauen im ersten Jahr mit Baby?

Ein Kind bedeutet viel Schönes, doch es verändert das Leben ungemein. Der Alltag muss komplett umorganisiert werden. In den Stunden, in denen das Kind schläft, wird der Haushalt bewältigt, wenn es wach ist, bedarf es pausenlos der Liebe, Pflege und Zuwendung mindestens eines Elternteils. Hinzu kommt der mögliche Schlafmangel und Mangel an persönlicher Freizeit, ein veränderter Tagesablauf, zig neue Aufgaben, finanzielle Mehrausgaben und die Veränderung der Rolle als Partner oder Partnerin und eventuell ungewohnte Stimmungsschwankungen des Partners/der Partnerin. Auch die zeitweise Aufgabe des Jobs, egal von Mutter oder Vater, ist nicht immer leicht zu akzeptieren. Ebenso kann der Druck, dem man sich ausgesetzt fühlt, steigen, weil man sich seiner  Verantwortung bewusster wird. Mütter oder Väter, die bis zum Zeitpunkt der Entbindung nicht gelernt haben, Veränderungen gut zu begegnen, werden in der Elternzeit schnell merken, dass ihre Beziehung einer besonderen Prüfung ausgesetzt ist.

Was braucht es, um mit dieser veränderten Situation gut zurecht zu kommen?

Um Veränderungen gut zu begegnen, ohne dabei selber auf der Strecke zu bleiben, bedarf es einer guten Kommunikation zwischen den Partnern, die von Offenheit, Einfühlungsvermögen und Toleranz geprägt ist. Gespickt mit einer guten Portion Planungskompetenz. Daher sage ich auch gern mal: "Elternzeit ist eine Ausbildung zur Führungskraft par excellence!“

Klassisch: Vater im Job – Mutter zuhause beim Baby. Wie erleben Männer und Frauen diese Zeit?

Selbstverständlich! Der Mann, wenn er derjenige ist, der hauptsächlich berufstätig bleibt, ist verantwortlich für die finanzielle Sicherheit. Die Frau versorgt hauptsächlich das Kind und da reichen acht Stunden nicht aus.
Beide haben einen Anspruch auf Anerkennung ihrer Leistung, denn beide tragen dazu bei, dass die Familie stabil wächst. Für den berufstätigen Elternteil bedeutet das, dass nach dem Job ein "zweiter Job" wartet. Das sollten Vorgesetzte berücksichtigen. Für die Eltern ist es hilfreich, wenn sie sich darauf verständigen, wer sich wann Auszeiten nehmen darf in denen er genau das tun darf, wonach ihm gerade der Sinn steht. Genauso wichtig ist es, die gemeinsame Zeit zu planen: Zeit für Partnerschaft und Zärtlichkeit, Zeit für Tages- oder Wochenplanung, Zeit für gemeinsame Freizeit und Gespräche. Auch, wenn nun beide eine zusätzliche Rolle als Vater oder Mutter übernommen haben, sollten für eine langfristige Zufriedenheit auch die anderen Rollen im Leben weiterhin kultiviert werden. Selbst wenn die Ressourcen dafür vorübergehend sehr eingeschränkt scheinen. Das Bemühen um Ausgeglichenheit der Eltern macht sich auch beim Kind bemerkbar. Es ist also eine Investition, die sich nicht nur unmittelbar, sondern auch im späteren Leben für alle Beteiligten mehrfach auszahlt.

Bedürfnis: freie Zeit – Wie kommen die unterschiedlichen Lebenswelten zusammen?

Jeder Mensch hat unterschiedliche Bedürfnisse was die freie Zeit, die zur Entspannung benötigt wird, betrifft. Um die Batterien aufzuladen sollten sich beide Elternteile verständigen, wie der Feierabend, die Wochenenden oder der Urlaub gestaltet werden kann. Jedes Paar entscheidet individuell, wie viel Paarzeit, Familienzeit und persönliche Freizeit erforderlich ist und wo es Kompromisse eingehen möchte oder muss.

Entlastung sollte frühzeitig geplant und genutzt werden. Das kann die Krippe sein oder auch hilfreiche Freunde, Großeltern, Verwandte oder Babysitter. Die dadurch entstehenden Freiräume kann man dann genauso genießen, wie die schönen Stunden mit dem Nachwuchs. Paare sollten frühzeitig darauf achten, die Batterien wieder aufzuladen und nicht erst dann, wenn die Energieanzeige auf Reserve steht. Manchmal müssen Dinge innerhalb der Beziehung auch ausgehandelt werden. Für diesen Prozess ist es wichtig, sich Fähigkeiten anzueignen, die dazu beitragen, eine liebevolle Partnerschaft aufzubauen und zu erhalten und die Aufgaben innerhalb der Familie gut zu organisieren.

Wie können Paare sich unterstützen, so dass Bedürfnisse nicht zu kurz kommen?

Die Bedürfnisse variieren innerhalb einer Beziehung. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, hierfür die angenehmste Form des Austauschs zu finden. Eine vorwurfsvoll formulierte Frage wie: "Musst Du immer so spät nach Hause kommen?" kann schnell zu einer unentspannten Abenddiskussion führen. Aber auch dann, wenn unerfüllte Bedürfnisse nicht geäußert sondern gesammelt werden wie Stempel auf einem Bonuskärtchen, droht unweigerlich Streit. Denn wehe, wenn der Tag der Abrechnung kommt!
Eigene Bedürfnisse sollten frühzeitig wahrgenommen werden und als "Ich-Botschaften" zum Ausdruck gebracht werden. Beispielsweise: "Ich fühle mich oft ausgepowert und alleingelassen mit den Aufgaben, die ich zu bewältigen habe. Vor allem, wenn ich bis abends allein mit dem Kind zu Hause bin. Ich wünsche mir mehr Entlastung. Zeit, in der ich mich um mich kümmern kann. Ich würde mich gern mit Dir darüber unterhalten, wie wir gemeinsam eine Lösung finden könnten.“

Gibt es spezielle Kommunikationsstrategien?

Es gibt hilfreiche Methoden, die man erlernen kann, wie beispielsweise die gewaltfreie Kommunikation nach Marshal Rosenberg. Im Vordergrund steht dabei die Entwicklung einer wertschätzenden Beziehung, die langfristig mehr Kooperation und gemeinsame Kreativität im Zusammenleben ermöglicht. Paare können auch die Zwiegesprächs-Technik von Michael Lukas Möller für sich nutzen. Das Paar führt dann regelmäßig in zeitlichem Wechsel aufeinander bezogene Gespräche. Jeder berichtet, wie er sich selbst, den anderen und die gemeinsame Beziehung erlebt.

Sich besser mitteilen und zuhören zu können, sich wechselseitig einzufühlen, sich wechselseitig anzuerkennen, sich zu vertrauen, Ängste zuzulassen, geduldiger zu werden und vieles mehr entwickelt sich mit der Regelmäßigkeit der Gespräche von selbst. Und ich kann Ihnen sagen, wenn ich die Zwiegesprächs-Technik nicht gelernt und angewendet hätte, hätte dies meine Partnerschaft gekostet und mein Leben wäre um einiges ärmer.

Wieviel freie Zeit muss denn sein?

Es gibt keine Faustregel für den Anteil an Freizeit, egal ob mit oder ohne Familie. Die Einflussfaktoren können so vielschichtig sein und sind abhängig von der Persönlichkeit und der Stressbewältigungskompetenz jedes einzelnen. Neben den schon geschilderten Kommunikationsstrategien gibt es auch die Möglichkeit einer Paar- oder Einzelberatung. Leider gibt es immer noch zu viele Menschen, die glauben, eine Paartherapie sei erst dann ratsam, wenn die Ehe gefährdet ist. Besser ist es jedoch, wenn ein Paar frühzeitig zu einer Beratung kommt. Ich vergleiche das gern mit dem Gang zum Optiker. Man wartet ja auch nicht bis man eine Sehschwäche von 3,4 Dioptrien hat, sondern dann, wenn man merkt, dass man die Speisekarte nicht mehr gut genug lesen kann. Aus meiner Sicht ist die wichtigste Voraussetzung für eine stabile, freudvolle und lebendige Partnerschaft die Fähigkeit zu einer guten und offenen Kommunikation. Wenn diese Fähigkeit vorhanden ist, sind viele Herausforderungen sehr gut zu bewältigen und jeder kommt zu seinem Anteil an Freizeit, Paarzeit, Familienzeit und auch Arbeitszeit.

Newsletter Anmeldung ZUR ANMELDUNG

Online Beratung
zur Onlineberatung
» zur Beratung