Format: Artikel – Schreibfeder auf dem Tisch
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Dein Kind im vierten Lebensjahr - ein Überblick

Autorin - Rose Volz-Schmidt

„Ich bin jetzt ein Kindergartenkind!“ Das Selbstbewusstsein der Vierjährigen kommt in diesem Satz zum Ausdruck. Die Kleinkindzeit ist vorbei und dein Kind entwickelt nach und nach ein eigenes Leben ohne ständige Begleitung von Mama oder Papa. Was kann und braucht ein Kindergartenkind? Womit beschäftigt es sich und wie kannst du es fördern?
Dieser Überblick soll dir helfen, die Entwicklung deines Kindes besser einzuschätzen und angemessen darauf zu reagieren. 

Lesezeit: Etwa 7 Minuten
Entwicklung im Kita-Alter

Körperliche Entwicklung

Dein Kind wächst rasch, und ständig müssen Kleidung und Schuhe der Größe angepasst werden. Kleidergröße und Messlatte geben erstmals dreistellige Zahlen her: im Lauf des Jahre braucht dein Kind die Kleidergröße 104, ist knapp über einen Meter lang und wiegt im Durchschnitt bis zu 17 Kilo. Auch das Kauen ist jetzt kein Problem mehr: alle 20 Milchzähne sind längst da, wenn auch nicht für lange Zeit. Zum Ende des Kindergartenalters kommt die Zahnfee, wenn der erste Milchzahn seinen Platz geräumt hat. Die körperliche Entwicklung verläuft bei Mädchen und Jungs in diesem Alter noch parallel. Es gibt kaum geschlechtsbedingte Unterschiede in Größe oder Gewicht. 

Motorische Entwicklung

Kindergartenzeit ist Bewegungszeit, denn die neu erlernten Techniken wollen ausprobiert werden: Treppen steigen wie die Großen, auf ein Tor kicken, auf Balken oder Baumstämmen balancieren, um die Wette laufen oder durch die Gegend hüpfen. Klettern, Rutschen und Schaukeln machen auf dem Spielplatz Spaß. Auch altersgemäße  Fortbewegungsmittel wie Dreirad oder Roller sind beliebt, während das Fahrrad noch warten muss. Jetzt sind auch die Väter sehr gefragt: Bewege dich mit deinem Kind und animiere es, Neues zu probieren. Achte darauf, was dein Kind besonders gerne macht und unterstütze es dabei. So bleibt der Bewegungsspaß lange erhalten. Auch die Feinmotorik wird immer ausgereifter. Kaum ein Tag, an dem dein Kindergartenkind nicht ein neues Kunstwerk mit nach Hause bringt. Manche Kinder lieben Ausmalhefte, weil sie besonders ausdauernd und gründlich sind. Andere gestalten lieber und lassen ihren Ideen freien Lauf. Auf alle Fälle kann dein Kind Malstifte nun schon zwischen den Spitzen der ersten drei Finger halten und so auch benutzen. Auch eine Kinderbastelschere wird zunehmend sicherer eingesetzt. Die Kunstwerke, die dabei entstehen, werden gerne auch mit einer Geschichte oder einem Namen versehen, wenn du danach fragst.  Aber Kindergartenkinder sind nicht nur kleine Künstler: sie lieben es, jetzt endlich „alles“ alleine machen zu können. Eltern freuen sich über die zunehmende Selbstständigkeit beim Anziehen und beim Essen: Knöpfe und Klettverschlüsse sind motorisch kein Hindernis mehr und das Essen macht mehr Spaß, wenn das Brot selbst mit Butter bestrichen werden darf. Eltern brauchen allerdings auch starke Nerven, denn natürlich geht anfangs auch etwas daneben, wenn z.B. das Wasser selbst ins Glas gegossen werden darf. Und das Anziehen dauert meist auch länger, als wenn Mama mal eben die Schuhe überziehen würde. Doch nur Übung macht den Meister und Ermutigung hilft mehr als Verunsicherung durch ungeduldiges Kritisieren. Lobe dein Kind oft und viel, denn das braucht es.

Wahrnehmung und kognitive Entwicklung

Auch wenn Kinder von Geburt an lernen: jetzt geht es gezielt voran. Die Zahlen von eins bis zehn lernen, die Anfangsbuchstaben des eigenen Namens aufmalen oder Stifte nach Größe ordnen – all das kann dein Kind im Kindergartenalter. Die Entwicklung der Sinne kannst du nach Lust und Zeit fördern: Memory-Spiele regen das Gedächtnis an und erweitern den Wortschatz. Eine Tast-Kiste mit unterschiedlichem und austauschbarem Inhalt (Seife, Bürste, weiches Tuch, Knöpfe) wirkt ebenso anregend wie rasselnde Dosen, deren Inhalt geraten wird. Dein Kind wird Spaß daran haben, Gegenstände zu sortieren und zu benennen. Im Gespräch kann es auf einfache W-Fragen „Wer? Wo? Warum?“ antworten, da es in der Lage ist, zeitlich und räumlich zu denken, Menschen und Gefühle zu erfassen, ja sogar selbst Pläne zu schmieden. Umgekehrt wird es dir laufend neue W-Fragen stellen. Für Eltern kann das nervig sein, doch Neugier ist die Grundlage für alles Lernen. Da musst du also durch! Die Belohnung sind unvergessliche Sprüche, kindliche Beobachtungen und Erkenntnisse von fast philosophischem Wert, die in diesem Alter häufig vorkommen und unter der Überschrift „Kindermund“ gesammelt und aufbewahrt werden sollten.

Sprachentwicklung

Neben den vielen W-Fragen ist das Wort „Ich“ für dein Kind besonders wichtig. Je nach Temperament erzählt es Ereignisse und Geschichten in ungefährer zeitlicher und logischer Reihenfolge, meist noch mit Füllwörtern wie „und, dann, und dann“, die als Verknüpfung dienen. Es gibt regelrechte „Plappermäulchen“, die viel und gerne erzählen, was sie erlebt haben oder ständig kommentieren, was sie gerade machen. Aber vielleicht gehört dein Kind zur wortkargen Sorte, die auf die entsprechende Frage nach dem Erlebnis des Tages gerne antwortet „hab ich vergessen“. Hier können Bücher helfen, in denen Lieblingstiere und Heldinnen oder Helden vorkommen und die jeden Tag angeschaut werden wollen. Nicht nur für die Anregung der Sprache und Fantasie sind Bücher hilfreich, sondern auch, um Erlebtes zu verarbeiten.  

Soziale Entwicklung

Trösten, Teilen, Freundschaften schließen: die soziale Entwicklung im Kindergartenalter ist lediglich der Start in eine Phase, die erst im Grundschulalter zu Ende geht. Was ist erlaubt und was ist verboten? Wer mag mich und wen mag ich? Wer darf und wer will mit mir spielen? Wem gebe ich von meinem Frühstück ab und wer darf neben mir sitzen? Wer tröstet mich, wenn ich hingefallen bin und mit welchem Kind machen Witze am meisten Spaß? Wer ist mein Freund und wen lade ich zu meinem Geburtstag ein? Es beginnt das große Ausprobieren sozialer Lebens- und Gefühlswelten. Es ist für dein Kind wichtig, dass du mit ihm über all die vielen und unterschiedlichen Erlebnisse mit anderen Kindern redest. Dein Kind weiß nun auch bewußt, dass es ein Junge oder ein Mädchen ist und kennt den „kleinen Unterschied“. Es entwickelt eine natürliche Neugier für den eigenen Körper und beginnt vielleicht mit Doktorspielen. Diese Spiele mit Gleichaltrigen sind völlig normal und du musst hier nicht eingreifen. Sollte die Neugier deines Kindes aber von einem älteren Kind ausgenutzt werden, ist ein klares elterliches „Nein“ angesagt. Vermittle auch deinem Kind, dass „Nein“ zu sagen völlig in Ordnung ist, wenn es eine Berührung nicht mag – und sei es der Kuss des Opas, dessen Bart vielleicht kratzt.  Nach und nach begreift dein Kind, dass es auch andere Lebensstile gibt, andere Verhaltensweisen oder Regeln als zuhause. Manches mag es toll finden, anders verwirrt es eher. Danke oder Bitte sagen? Bei der Begrüßung Fremden Leuten die Hand geben? Vor dem Essen ein Gebet sprechen? Viele verwirrende Eindrücke für dein Kind, die es mit dir sortieren möchte. Rollenspiele zeigen dir, was es gerade beschäftigt und worüber du mit ihm reden solltest. Gib ihm das Gefühl, dass es dich als Papa oder Mama immer alles fragen darf. Und helfe ihm, die Unterschiedlichkeit der Menschen als Bereicherung und nicht als Bedrohung zu erleben. Die Erziehung zu Toleranz und Rücksichtnahme beginnt jetzt!

Emotionale Entwicklung

Kummer, Enttäuschung und Freude – Dein Kind kennt die ganze Palette und kann mit deiner Hilfe auch gut damit umgehen. Mitfreuen und Trösten ist also die erste Elternpflicht. Viel Spaß macht auch der Sinn für Humor, den Kinder in dieser Phase schon sehr ausgeprägt vorweisen: Mama stolpert? Total witzig. Papa fällt der Autoschlüssel aus der Hand? Zum Totlachen. Der große Bruder verschüttet sein Glas? Sehr amüsant. Auch Gereimtes lieben die Kita-Helden über alles und die guten alten Donald Duck oder Puh der Bär-Filme heben die gute Laune erheblich. Trotzanfälle auszuhalten fällt dagegen oft schwer, doch es braucht sie, damit dein Kind seine eigene Persönlichkeit entwickeln kann. Achte darauf, dass dein Kind genügend Zeit für Ruhe und Schlaf hat, denn nicht alle Trotzanfälle bedeuten Abgrenzung. Manchmal ist deinem Kind einfach alles zu viel und es trotzt aus Hilflosigkeit und Überforderung. Ein anderes sehr starkes Gefühl, das dein Kind in diesem Alter neu entdeckt ist die Angst. Sie ist nicht bei allen Kindern gleich stark ausgeprägt. Besonders sensible, fantasievolle Kinder haben scheinbar plötzlich Angst davor, im Dunkeln einzuschlafen oder etwas alleine aus dem Keller zu holen. In der Dämmerung sehen sie in jedem Busch ein Monster oder reagieren verschreckt auf unbekannte Geräusche. Auch dieses Gefühl gehört dazu und kann unterschiedliche Ursachen wie die Angst vor Verlust haben oder einfach die Angst, diesem bunten, verrückten Leben nicht gewachsen zu sein. Hier braucht dein Kind deine volle Unterstützung, sei es durch Zuhören oder durch das Erzählen von Geschichten mit kleinen Helden, die am Ende die Bösen besiegen. Bei Trennungsangst kann auch ein Kuscheltier im Bettchen helfen, ein „GegendieAngst-Kissen“ oder ein Nachthemd von Mama zum Festhalten. Wichtig ist, dass du auch dieses zunächst „fremde“ Gefühl zulässt und nicht aus falscher Sorge bagatellisierst oder ignorierst. Je natürlicher du mit diesem Gefühl umgehst, desto hilfreich ist es für dein Kind. Es spürt, dass alles in bester Ordnung ist und kann sich dir und damit der Welt wieder anvertrauen.