Format: Pro-Contra – Mann und Frau
Pro Contra

Ein neues Familienmitglied aus der Nachbarschaft?

Gerade wenn die eigenen Großeltern weit weg wohnen, kann es ideal sein, eine Wahlverwandtschaft in der Nachbarschaft zu finden. Ist eine Ersatz-Oma eine Bereicherung oder eine Belastung? Falls euch diese Frage gerade beschäftigt, liefern die beiden sehr unterschiedlichen Ansichten eines Vaters und einer Mutter vielleicht gute Argumente für dich und deine Entscheidung.

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Oma aus der Nachbarschaft zusammen mit Mutter und Kind

Andreas Braach: "Ich möchte diese viele Nähe gar nicht"

Andreas, 34 Jahre, zog vor acht Jahren mit seiner Familie in ein Reihenhaus in Bremen. Die ältere Nachbarin wurde schnell von den Kindern ins Herz geschlossen. Aber einfach ist das nicht.

Als wir in dieses Haus zogen, stand unser Leben ziemlich Kopf. Die Zwillinge waren gerade geboren und unsere Große war knapp zwei Jahre alt. Die Wände zum Nachbarhaus sind ziemlich hellhörig und ich hatte schon ein schlechtes Gewissen gegenüber den Nachbarn. Ständig schrie ein Baby. In unser Mietwohnung, in der wir vorher wohnten, hatten wir ziemlich oft Ärger, denn Lilli war ein Schreibaby. Als die ältere Dame von nebenan nach ein paar Wochen klingelte, hatte ich wirklich Panik. Aber sie kam nicht um sich zu beschweren, sondern brachte einen Kuchen.

Das war der Anfang einer Beziehung, die aber leider nicht immer einfach ist. Die Nachbarin ist über 70 und die Kinder mögen sie, sie steckt ihnen auch gern mal Süßigkeiten zu. Nie beschwert sie sich direkt über Krach. Aber seit unsere Kinder alle in der Schule sind, hat sich das Verhältnis ein wenig gewandelt. Vielleicht liegt es an der Gesundheit der Nachbarin oder daran, dass sie mehr erwartet hat von uns? Immer wenn die Kinder Geburtstag feiern, fragte sie jahrelang nach den Gästen. Nein, wir haben sie nicht eingeladen.

Mir war das zu viel. Je älter die Kinder wurden, desto häufiger mischt sie sich auch ungefragt in meine Erziehung ein. Erteilt Ratschläge oder sagt den Jungs, dass sie „Bitte“ oder „Danke“ sagen sollen und dass „Leise sein“ eine hohe Tugend ist. Oder sie erzählt, wie einsam sie sich fühlt. Sie hat eine Tochter, die aber selten zu Besuch ist. Ja, ich könnte sicher ein innigeres Verhältnis zur Nachbarin haben, aber ich merke einfach, dass sie mehr will als ich und meine Familie ihr geben können.

Und dann? Ich will sie weder pflegen, noch als zusätzliches Familienmitglied adoptieren. Schon jetzt ist mir das oft zu viel Nähe - sitze ich im Garten, stellt sie auch ihren Stuhl auf. Offensichtlich habe ich falsche Erwartungen geweckt. Ich fürchte, ich muss mich irgendwann mehr abgrenzen und das offen ansprechen.

Nina Weiß: "Familie Müller ist ein Glücksfall"

Die alleinerziehende Nina, 41 Jahre, wohnt mit ihren Kindern Jette, 7 Jahre und Janosch, 4 Jahre, in einem Mehrfamilienhaus in Bielefeld und liebt ihre Nachbarin Frau Müller sehr.

Als wir hier einzogen, war ich erst unsicher, denn insgesamt wohnen im Haus acht Mietparteien und wir sind die einzige Familie mit kleinen Kindern. Unter uns wohnt „Familie Müller“, deren Kinder schon lange erwachsen sind. Schon nach wenigen Wochen sprach mich die Nachbarin an, sie hätte noch alte Legosteine, ob wir die gebrauchen könnten?

Das nahm ich gern an. Ich unterhielt mich gern mit der herzlichen Frau. Und mein Sohn freute sich immer, wenn wir an ihrer Haustür vorbei kamen: „Familie Müller kocht wieder so lecker.“ Als mein Mann und ich uns trennten, stand Frau Müller mit einem Auflauf in der Tür und nahm mich einfach in den Arm. „Du, Familie Müller, kommst du mal zum Spielen?“ fragte Janosch. Sie war erst etwas zögerlich. Aber die Kinder lieben „Familie Müller“ sehr.

Meine Eltern sind früh verstorben und meine Ex-Schwiegereltern sind leider nach der Scheidung auch nicht mehr sehr präsent für die Kinder. Ich finde es daher wunderbar, dass sie Kontakt zur älteren Generation haben. Ich habe mich etwas gescheut, Frau Müller um Hilfe zu bitten, aber sie freut sich wirklich über die Kinder und passt mittlerweile jeden Mittwochnachmittag und manchmal am Abend auf die Kinder auf. Ich kaufe oft für sie ein, denn ihr Mann ist pflegebedürftig und sie hat kein Auto. Aber wir rechnen da nicht auf, es ist wie mit einer guten lieben Freundin, da fragt man auch nicht, wer wem etwas Gutes tut. Man macht es einfach.