Format: Artikel – Schreibfeder auf dem Tisch
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Eingewöhnung in die Kita oder bei Tageseltern

Autorin - Rose Volz-Schmidt

Wenn dein Kind beginnt, eine Kita zu besuchen oder von einer Tagesmutter betreut wird, bedeutet das für dein Kleines und auch für dich eine riesige Veränderung. Im Gegensatz zu dir kann dein Kind gar nicht recht einordnen, was passiert und die vielen neuen Eindrücke sind eine große Herausforderung: Neue Räume, Gerüche, Menschen, Stimmen, Abläufe… Umso wichtiger ist es, die Eingewöhnung sanft und behutsam zu gestalten.
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  • Langsame Eingewöhnung
  • Das Berliner Modell
  • Das Münchner Modell
  • Ist mein Kind für eine Trennung bereit?
Lesezeit: Etwa 6 Minuten
Weinendes Kleinkind auf dem Arm der Mutter

Warum langsame Eingewöhnung wichtig ist

 

So zeigten Forschungsergebnisse (Laewen 1989): Kinder, die nicht behutsam unter Begleitung eines Elternteils eingewöhnt wurden

  • hatten viermal häufigere Fehlzeiten wegen Erkrankungen
  • zeigten deutliche Verzögerung in ihrer kognitiven Entwicklung nach 6 Monaten 
  • wiesen deutlich häufiger Verhaltensprobleme und eine beeinträchtigte Bindung zur Mutter auf

2002 wurden erneut behutsam und abrupt eingewöhnte Kinder miteinander verglichen. In den ersten 18 Tagen beobachteten die Forscher mehr Ausdruck von Stress und weniger positive Gefühle bei den behutsam eingewöhnten Kindern – kurz und schmerzlos ist also doch besser, könnte man denken. Doch der erste Eindruck täuscht: Drei Monate nach Beginn der Eingewöhnung zeigten die behutsam eingewöhnten Kinder mehr positive soziale Interaktionen, Heiterkeit, Selbstständigkeit, Kooperation und weniger Angst, Aggression und Unzufriedenheiten als die schnell eingewöhnten Kinder.
Die Forscher erklären das so: Die Kinder, die bei der Eingewöhnung von ihren Eltern begleitet wurden, konnten den Stress durch die veränderte Lebenssituation aktiv verarbeiten. Die Kinder, die direkt abgegeben wurden, fühlten sich ohne ihre Eltern gehemmt und mussten so ihren Stress verdrängen. Äußerlich wirkten sie deshalb zunächst entspannter, doch der verdrängte  Stress führte nach ein paar Monaten zu vielen Problemen. Das passt auch zu den häufigeren Fehlzeiten, denn Stress schwächt bekanntlich das Immunsystem.
Es gibt Kinder, die ihre Trennungsängste kaum zeigen und sich scheinbar problemlos von ihren Eltern trennen. Dann kann es sein, dass du denkst, eine Begleitung würde dein Kind nur verwirren. Oder, dass die BetreuerInnen keinen Grund sehen, dass du dabei bleibst. Das jedoch ist ein Trugschluss: Die Wiener Krippenstudie hat aber 2007 belegt, dass diese Kinder dennoch  genauso lange eingewöhnt werden sollten, wie Kinder, die mehr Trennungsängste zeigen. Denn bei den „pflegeleichten“ Kindern zeigten sich die Trennungsängste nur verzögert. Wurden sie sehr schnell eingewöhnt, zeigten sie oft nach einiger Zeit negative Verhaltensauffälligkeiten und Zeichen von Unwohlsein.
Lass' dich also keineswegs überreden, dein Kind gleich am ersten oder zweiten Tag komplett abzugeben. Du würdest damit große Ängste auslösen.

Das Berliner Modell

 

Viele Kitas und Tageseltern arbeiten mit dem Berliner Modell. Dieses sieht vor, dass die Eltern ihre Kinder drei Tage begleiten; am vierten Tag findet dann die erste Trennung statt. Je nachdem wie gut diese funktioniert hat, werden die Abwesenheitszeiten der Eltern dann nach und nach gesteigert. Insgesamt dauert die Eingewöhnung meist 3-4 Wochen. Ein wichtiger Bestandteil dieses Modells ist das Bezugserzieher-System: Jedem Kind wird eine Bezugserzieherin zugeteilt, die sich in den ersten Monaten besonders intensiv um es kümmert. Das hat Vorteile, weil das Kind so eine feste Vertrauensperson hat und sich besser binden kann. Gleichzeitig birgt es ein gewisses Risiko, falls die Bezugserzieherin mal krank ist oder anderweitig ausfällt. Sollte das passieren, habe bitte Verständnis, wenn deinem Kind die Trennung besonders schwer fällt. Vielleicht ist es dann möglich, dass du eine Weile dabei bleibst.

Das Münchner Modell

 

Ein ebenfalls sehr interessantes Eingewöhnungsprogramm ist das Münchner Modell. Es sieht eine längere Begleitung der Eltern vor – als Faustregel gilt: Keine Trennung in den ersten sechs Tagen. Wenn diese dann gut funktioniert hat, können die Abwesenheitszeiten dafür schneller gesteigert werden als nach dem Berliner Modell. Dieses Vorgehen ist sehr logisch, wenn man bedenkt, dass die erste Trennung der schwierigste Moment für das Kind ist. Deshalb ist es sinnvoll, diesen nicht zu früh zu legen und im Zweifel lieber ein bisschen zu lange als zu kurz zu warten.
Einige Eltern und auch Fachkräfte befürchten, mit einer zu langen Begleitung im Kind die Erwartung zu wecken, dass die Eltern immer dabei sein werden. Diese Sorge ist jedoch unbegründet. Denn selbst wenn so eine Erwartung entsteht, können Kinder Veränderungen im Ablauf gut bewältigen, sofern sie sich sicher und gut umsorgt fühlen. Und eine Voraussetzung dafür ist, dass sie Zeit hatten, sich in Begleitung einer vertrauten Person an die neue Umgebung zu gewöhnen.

Ist mein Kind für eine Trennung bereit?

 

Im Münchener Modell wird nach den sechs Tagen in Begleitung individuell entschieden, wann die erste Trennung angebracht ist. Dazu werden folgende Kriterien überprüft, die generell aussagekräftig sind, wenn du wissen möchtest, ob dein Kind bereit ist:

  • Dein Kind erkundet entspannt und fröhlich die Gegend, ohne ständig nach Elternteil Ausschau zu halten
  • Dein Kind kommuniziert mit der Bezugsperson und evtl. auch anderen Kindern
  • Dein Kind reagiert positiv auf die Betreuungsperson
  • Dein Kind wendet sich nicht nur an dich wenn es Unterstützung braucht, sondern auch an die Erzieherin/Tagesmutter
  • Dein Kind lässt sich von der Betreuungsperson füttern/wickeln, beteiligt sich aktiv daran (nicht passiv, „eingefroren“)
  • Dein Kind spielt mit gewisser Ausdauer, ohne ständig nervös die Beschäftigung zu wechseln

Die Trennung bewußt vollziehen

Grundsätzlich gilt für die erste Trennung: Sie sollte liebevoll, klar und nicht zu lang sein.
Erkläre, dass du nur kurz weggehst (z.B. Einkaufen) und gleich zurückkommst. Oft hilft es, dem Kind ein vertrautes Objekt wie ein Kuscheltier oder Schmusetuch zu geben, „auf das es aufpassen soll“. Auch Abschiedsrituale können helfen, wie z.B. am Fenster stehen und winken. Keineswegs solltest du dich heimlich herausschleichen – das wäre ein großer Vertrauensbruch gegenüber deinem Kind.
Wenn dein Kind beim Abschied weint, gib' der Betreuungsperson die Chance, es zu beruhigen. Ihr könnt aber absprechen, dass sie dich anruft, wenn dein Kind nicht innerhalb von 5-10 Minuten aufhört zu weinen. Im Berliner Modell passiert dies meist schneller (wenige Minuten), während das Münchner Modell auch etwas länger wartet, um dem Kind die Gelegenheit zu geben, sich von der Betreuungsperson trösten zu lassen. Das hängt damit zusammen, dass bei einem Vorgehen nach dem Münchner Modell das Kind bereits länger Zeit hatte, Vertrauen zu der Betreuungsperson aufzubauen. Die erste Trennung sollte nicht länger als 10-20 Minuten dauern; beim Berliner Modell sind es oft auch nur fünf Minuten.

Ein Tipp zum Schluss

Mache dir bewusst, dass dein Kind spürt, wie es dir selbst mit der Trennung geht.
Wenn du eine ängstliche Mutter oder ein ängstlicher Vater bist ist wichtig: Auch du musst das Loslassen lernen, nicht nur dein Kind. Die erste Trennung beginnt direkt nach der Geburt, wenn die Nabenschnur zerschnitten wird. Trennungen sind natürlich und notwendig, denn sie ermöglichen die nächsten Entwicklungsstufen. Freue dich auf die neue Elternlebensphase!
Wenn du eine ungeduldige Mutter oder ein ungeduldiger Vater bist ist wichtig: dein Kind spürt deinen Erwartungsdruck und deine Ungeduld. Es wird dann eher klammern als loslassen. Je gelassener du bist, desto leichter kann dein Kind dich gehen lassen. Plane dir deshalb bewußt Zeit für die Eingewöhnungswochen an. Wenn irgend möglich sollte z.B. die Berufsrückkehr nicht gleichzeitig mit der Eingewöhnung erfolgen. Denke daran: wenn du jetzt Zeit investierst, bekommt die Fremdbetreuung eine stabile Basis, wodurch du für viele Jahre viel Zeit gewinnst.