Format: Interview – Mikrofon auf dem Tisch
Interview

Herausforderungen in der Patchworkfamilie – und wie sie gemeistert werden

Interview mit Timm Korth - Autor

Nach der Trennung die neue Liebe und dann das: Die Kinder mögen die Stiefmutter nicht, sind eifersüchtig und ständig gibt es Streit, meistens wegen Erziehungsfragen zwischen dem neuen Paar. Eltern, die in einer Patchworkfamilie leben, kennen diese Themen nur zu gut, wenn der Stiefvater nichts zu sagen hat und die Ex-Partnerin quasi noch mit am Abendbrots Tisch sitzt. Timm Korth, selbst als Patchwork-Kind aufgewachsen & heute Patchworkfamilien-Vater, kennt das aus eigener Erfahrung und beschreibt als Experte, in welche Stolperfallen frische Patchworker*innen gerne tappen und wie sie zu lösen sind, damit das Patchwork-Familienleben gelingt.

Lesezeit: Etwa 7 Minuten
Glückliche Familie im Grünen. Eltern tragen Kinder auf ihren Schultern.

Welche sind die häufigsten Herausforderungen in Patchworkfamilien?

Patchworkfamilien bergen viele Herausforderungen. Zu den häufigsten Stolpersteinen gehören:

Zu früher Start
Wenn das frisch verliebte Paar die Familien zu schnell zusammenführt, während die Kinder die Trennung noch nicht verarbeitet haben, führt das oft zu Unsicherheit, Spannungen oder sogar Ablehnung der neuen Stiefmutter, des Stiefvaters oder Stiefgeschwister.

Schuld, Neid, Eifersucht, Missgunst
Kinder fühlen sich häufig mitschuldig an der Trennung ihrer Eltern, während Eltern Schuld gegenüber ihren Kindern empfinden. Stiefgeschwister rivalisieren um die Zuneigung der Eltern, und der neue Partner*in kann sich in Konkurrenz zu den Kindern sehen. Auch der Ex-Partner*in kann aus Eifersucht die neue Stiefmutter / den Stiefvater schlechtmachen und die Kinder instrumentalisieren.

Loyalitätskonflikt
Kinder können sich manchmal schwer in das neue Patchwork-Familiensystem integrieren, da sie glauben, den abwesenden Elternteil zu verraten, wenn sie dort glücklich sind. Auch Eltern stehen in der neuen Beziehung zwischen den Stühlen, ob sie dem Wunsch der Kinder oder dem Wunsch des/der neuen Partner*in entsprechen sollen, wenn es z. B. um Zeit, Urlaub oder Aufmerksamkeit geht.

Rollenverteilung, Macht und Autorität
Innerhalb der Patchworkfamilie entstehen neue Rollen, die viele Patchwork- Eltern und Kinder unterschätzen. Besonders schwierig wird es, wenn der neue Partner*in in eine Elternrolle als Stiefmutter / Stiefvater gedrängt wird, die die Stiefkinder nicht akzeptieren.

Unterschiedliche Vorstellungen von Erziehung
Wer kennt ihn nicht, den klassischen Konflikt: "Du hast mir nichts zu sagen! Du bist nicht meine Mutter/Vater!" Unterschiedliche, nicht geklärte Vorstellungen vom Zusammenleben und der Kindererziehung führen häufig zu Spannungen mit den Kindern und/oder sogar auch zum Streit zwischen dem neuen Paar.

Wie kann ein gemeinsamer Start gut gelingen?

Der gemeinsame Start als Patchworkfamilie legt den Grundstein für die zukünftige Beziehungen. Mit Bedacht gewählt, in einer Umgebung, die Freude und Unbeschwertheit vermittelt, können erste positive gemeinsame Erlebnisse geschaffen werden. Zudem ist es wichtig, die Entwicklungsphasen der Kinder zu berücksichtigen und die Kommunikation untereinander zu fördern. Kinder reagieren unterschiedlich auf Veränderungen, je nach Alter und Reife. Alle Gefühle und Bedürfnisse, die aufkommen, sind ernst zu nehmen, dürfen akzeptiert und besprochen werden. Auch wenn der Prozess Zeit braucht, ist es entscheidend, dass alle Familienmitglieder Raum haben, sich an die neue Situation zu gewöhnen und ihre Position in der Familie zu finden. Gemeinsame, wiederkehrende Rituale legen ein solides Fundament für die Zukunft. Wichtig ist, dass die Ursprungsfamilie, also Elternteil und Kind/Kinder, alte Rituale erst einmal beibehalten, bevor sie neue etablieren.

Wie wichtig ist Kommunikation?

Kommunikation ist das A und O in einer Patchworkfamilie. Es geht nicht nur darum, miteinander zu reden, sondern auch darum, WIE man miteinander spricht. Aktives Zuhören ist dabei essentiell: Es bedeutet, wirklich hinzuhören, nachzufragen und das Gesagte nicht sofort zu bewerten. Eine Familienkonferenz, die spielerisch etabliert wird, kann helfen, alle Stimmen zu hören und gemeinsam Lösungen zu finden. Dabei treffen oft zwei unterschiedliche Systeme mit eigenen „Sprachen“ aufeinander, was Missverständnisse begünstigt. Deshalb ist es wichtig, offen für die Sichtweisen der anderen zu sein und Fragen zu stellen. Die gewaltfreie Kommunikation bietet hier gute Strategien, um Konflikte zu vermeiden und die Bedürfnisse aller Beteiligten zu respektieren. Sie hilft, Gefühle und Wünsche klar auszudrücken, ohne den anderen anzugreifen. So schafft man eine Grundlage für ein harmonisches Zusammenleben.

Welche Rolle spielt die Ex-Partnerin oder der Ex-Partner?

Die Ex-Partnerin oder der Ex-Partner ist in einer Patchworkfamilie immer präsent, auch wenn sie physisch nicht da sind. Sie machen die Hälfte des Herzens des Kindes aus, und es ist wichtig, dies zu respektieren. Den anderen Elternteil schlechtzureden kann beim Kind tiefe Loyalitätskonflikte auslösen und das Vertrauen in die neue Familiensituation untergraben. Stattdessen ist es hilfreich eine respektvolle Koexistenz anzustreben, auch wenn das manchmal schwerfällt. Wenn es anhaltende Konflikte gibt, sollten die leiblichen Eltern nicht zögern, sich Hilfe bei Beratungsstellen, dem Jugendamt oder durch Coaches zu holen. Solche Unterstützung kann festgefahrene Konflikte lösen und ein besseres Miteinander im Sinne der Kinder fördern. Denn letztlich geht es darum, eine stabile und liebevolle Umgebung für das Kind zu schaffen, in der es sich sicher und geliebt fühlt, unabhängig von den Beziehungsdynamiken der Erwachsenen.

Wie gelingt eine gute aktive Liebesbeziehung des neuen Patchwork-Paares?

Eine starke Partnerschaft ist das Herzstück jeder Patchworkfamilie, doch im Alltag geht sie oft unter. Sich regelmäßig Zeit füreinander zu nehmen und diese Zeit bewusst zu gestalten, ist ein Schlüssel für eine gute, aktive Liebesbeziehung. Kleine Liebesbotschaften auf Zettelchen, die man versteckt, können helfen, die Verbindung zu stärken. Ebenso wichtig ist es, dass der neue Partner*in nicht als Therapieersatz für Probleme mit dem/der „Ex“ genutzt wird. Für solche Themen sind Gespräche mit Freunden, Coaches oder Therapeuten besser geeignet. Ein regelmäßiges Ritual wie unser „Dialog der Herzen“, bei dem sich beide Partner offen und ohne Vorwürfe über ihre Gedanken und Gefühle austauschen, kann Wunder wirken. Diese offenen Gespräche schaffen Vertrauen und verhindern, dass ungelöste Konflikte die Beziehung belasten. Denn auch wenn die erste Beziehung gescheitert ist, kann die neue Partnerschaft gelingen – vorausgesetzt, man gibt ihr die nötige Aufmerksamkeit und Pflege.

Wie kann mit Gefühlen wie Trauer und Wut umgegangen werden?

Trauer und Wut sind in Patchworkfamilien oft allgegenwärtig. Besonders bei Kindern kann Wut auch ein Ausdruck von Trauer über die verlorene Familie sein. Ein Kind, das aggressiv auf die Stiefmutter / den Stiefvater reagiert, könnte damit seine Trauer und seinen Schmerz zeigen. Eltern sollten solche Gefühle nicht unterdrücken, sondern sie anerkennen und offen darüber sprechen. Beispielsweise könnte man sagen: „Ich sehe, dass du wütend bist. Vielleicht bist du auch traurig, dass sich so viel verändert hat?“ Solch ein Gespräch öffnet Türen zu tieferem Verständnis & das Herz des Kindes. Auch für Stiefeltern und leibliche Eltern ist es ratsam, sich der eigenen Gefühle bewusst zu werden und diese in einem sicheren Rahmen, wie einem Gespräch unter Erwachsenen oder mit einem Coach, zu besprechen. So können negative Emotionen konstruktiv bewältigt werden, was letztlich das Familienleben harmonisiert.

Schuldgefühle – Wie funktioniert ein guter Umgang damit?

Schuldgefühle sind in Patchworkfamilien oft ein ständiger Begleiter. Kinder fühlen sich manchmal schuldig für die Trennung ihrer Eltern, während die Eltern selbst mit Schuldgefühlen ringen, die neue Familie möglicherweise zu überfordern. Den Unterschied macht hier die Erkenntnis zwischen Schuldeinsicht und Schuldgefühl. Schuldeinsicht kann helfen, Verantwortung zu übernehmen und daraus zu lernen. Schuldgefühle hingegen können lähmen und Konflikte verschärfen. Ein Beispiel: Ein Elternteil fühlt sich schuldig, weil er die Familie „zerbrochen“ hat, und überkompensiert, indem er den Kindern alles erlaubt. Dies führt oft zu Unzufriedenheit bei allen Beteiligten. Stattdessen hilft es, Vergebung zu praktizieren, sowohl sich selbst als auch den anderen gegenüber. Dies schafft Raum für ein freieres, harmonischeres Familienleben. Es lohnt sich, über diese Dynamiken offen zu sprechen und gemeinsam Lösungen zu finden, um die Last der Schuld zu mindern.

Erziehung in der Patchworkfamilie – Unterschiedliche Erziehungsstile?

Unterschiedliche Erziehungsstile sind in Patchworkfamilien oft vorprogrammiert und meistens auch der Grund, warum die Ursprungsfamilie gescheitert ist. Es ist entscheidend, die Rollen und Verantwortlichkeiten klar zu definieren. Kinder brauchen Führung, aber auch das Gefühl, dass ihre Meinungen und Bedürfnisse ernst genommen werden. Besonders wichtig ist es, gemeinsame Werte und Grenzen festzulegen, die für alle Familienmitglieder gelten. Die Gleichwertigkeit nach Jesper Juul kann hier ein guter Ansatz sein: Kinder sollen sich gesehen und gehört fühlen, während die Eltern klare Leitplanken setzen. Mit zunehmendem Alter der Kinder können diese Regeln gemeinsam überarbeitet und angepasst werden. Und wenn es mal knirscht, hilft ein humorvoller Ansatz: „Wer mit dem Kopf durch die Wand will, sollte wissen, dass er einen Arzttermin braucht.“ Humor baut Spannungen ab und erleichtert das Familienleben, ohne die Ernsthaftigkeit der Erziehung zu vernachlässigen.

Wenn Eltern oder Kinder im Loyalitätskonflikt sind – Was tun?

Loyalitätskonflikte sind nach einer Trennung fast unvermeidlich. Kinder fühlen sich oft zwischen den Stühlen, zerrissen zwischen ihrer Liebe zu beiden Elternteilen. Eltern begegnen ihren Kindern am besten mit Empathie und Verständnis, dass es in Ordnung ist, beide Elternteile zu lieben. Regelmäßige Gespräche über ihre Gefühle helfen, um Missverständnisse und innere Konflikte zu vermeiden. Stehen Eltern selbst im Loyalitätskonflikt, ist eine Aussprache über die unterschiedlichen Bedürfnisse und die Angst davor, nicht allen gerecht zu werden eine Möglichkeit, das Problem transparent zu machen und Lösungen zu finden. Und vielleicht hilft auch diese Betrachtungsweise: "Manchmal befinden wir uns zwischen den Stühlen, nicht weil wir uns nicht entscheiden können, sondern weil unser Herz an mehreren Orten zu Hause ist."