Format: Interview – Mikrofon auf dem Tisch
Interview

Zwischen Alpha und Softie - der Balanceakt für Väter

Alte Rollenbilder greifen nicht mehr und neue Vorbilder sind noch nicht vorhanden. Gar nicht so einfach für heutige Väter sich zu orientieren, zumal es durchaus auch widersprüchliche Rollenerwartungen gibt. Der Diplom-Pädagoge und ehemaliger Geschäftsführer von VÄTER e.V. Ralf Specht erklärt die besonderen Herausforderungen, mit denen Väter heute konfrontiert werden.

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Mutter entspannt mit Buch und Tee

Was hat sich an der Vaterrolle verändert?

Der überwiegende Teil der heutigen Väter möchte beides: Erfolg im Beruf und gemeinsame Zeit mit der Familie. Heute verbringen Väter ungefähr dreimal mehr Zeit mit ihrem Nachwuchs als ihre eigenen Väter. Und zwar nicht mehr nur – wie früher – wenn das Kind bereits fünf Jahre alt ist. Väter von heute sind bei der Geburt dabei und engagieren sich von da an für ihre Kinder und die Familie. Eine wirkliche Gleichberechtigung gibt es allerdings immer noch nicht, denn Mütter verbringen durchschnittlich immer noch mehr als doppelt so viel Zeit mit den Kindern.

Wo geht die Reise hin?

Wo die Reise hingeht, hängt von vielen Faktoren ab. Ganz wesentlich sind passende sozialpolitische Weichenstellungen, wie die Einführung des Elterngeldes gezeigt hat. 2007 haben nur 3% der Väter Elternzeit genommen. Heute sind es über 30%, Tendenz steigend. Und die Vätermonate nehmen sogar fast 80%. Die Entwicklung zeigt, dass es für Väter selbstverständlicher wird, sich schon früh am Erziehungsprozess zu beteiligen. Ein wichtiger Grund für die höhere Inanspruchnahme von Elternzeit für Väter liegt dabei auch in den sich wandelnden Unternehmenskulturen: Väter müssen heute seltener berufliche Nachteile befürchten und werden manchmal sogar von den Personalverantwortlichen auf die Möglichkeit von Partnermonaten hingewiesen.

Verändert sich die Rollenaufteilung?

Die meisten Väter befinden sich heute in einem Dilemma zwischen ihren Ansprüchen im Job und für die Familie. Sie wollen ihre Kinder aktiv und engagiert begleiten, haben aber eigentlich keine Zeit dafür, da 90% der Väter in Vollzeit arbeiten. Dafür gibt es auch finanzielle Gründe, weil Männer im Schnitt mehr verdienen als Frauen. Gleichzeitig entspricht die Rolle als Haupternährer bei vielen Vätern auch ihren Wünschen und ihrem Rollenbild.

Bei jüngeren Elternpaaren lassen sich hier jedoch zunehmend Veränderungen beobachten: Sie entscheiden immer mehr individuell und partnerschaftlich, wie sie die Erwerbs- und Familienarbeit untereinander aufteilen. Für jüngere Männer ist es meist kein Problem, wenn ihre Partnerinnen arbeiten und genau so viel Geld verdienen wie sie. Wenn nun durch den Ausbau der Kitaplätze und die aktuellen Gesetzesvorhaben bessere Möglichkeiten geschaffen werden, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, wird es aller Voraussicht nach immer normaler, dass sich Männer in der Familie engagieren und im Gegenzug weniger Frauen ihre Karriere der Familie ‚opfern‘ müssen.

Der neue Vater – wo zeigt er sich ganz konkret?

Früher waren für bestimmte Bereiche ausschließlich die Mütter zuständig: die Gesundheitsfürsorge, das Trösten und Kuscheln wie auch das Vorlesen und auch die Teilhabe an den schulischen Belangen gehörten dazu. Heute haben sich die Väter auch diese Bereiche erschlossen, wobei die Hygiene und Krankheitsbegleitung immer noch die originären Zuständigkeiten der Mütter sind. Aber es lässt sich feststellen, dass sich die Väter von heute nicht mehr nur die „Rosinen rauspicken“ sondern sich aktiv und umfassend an der Erziehung beteiligen.

Wo liegen heute die Stolpersteine für die neuen Väter?

Es fehlen die Vorbilder. Die Väter wissen zwar, dass sie es anders machen wollen als ihre Väter, aber sie wissen nicht, worin dieses „Andere“ besteht. Neue Verhaltensweisen zu entwickeln und auszuprobieren erfordert Mut. Väter müssen offen sein für Veränderungen, wozu auch gehören kann, beruflich mal in der zweiten Reihe zu stehen. Wie beschrieben steigt die Zahl der Männer, die nicht selbstverständlich die Familie den beruflichen Erfolg und Aufstieg unterordnen.

Papa = Mama? Spielen alte Werte noch eine Rolle?

Früher war es eher so, dass die Mütter für das Familienleben und die Väter für die Außenorientierung zuständig waren. Aufgrund der veränderten Lebensbedingungen und den Ansprüchen heutiger Männer und Frauen greifen diese Wertzuschreibungen nicht mehr. Vielmehr müssen beide Partner gemeinsam überlegen, welchen Anteil sie an der Familien- und an der Erwerbsarbeit übernehmen können und wollen. Väter, die sich in der Familie engagieren, übernehmen dabei auch ganz selbstverständlich die damit verbundenen sozialen Werte, wie Empathie etc. Das gleiche gilt für Frauen, wenn sie mehr Zeit im Job verbringen. Werte und Wertvermittlung sind heute weniger geschlechtsbedingt als vielmehr an die Tätigkeit und die Funktion gebunden. Es ist jetzt nicht mehr unbedingt der Vater, der für das Kind besondere „Highlights“ veranstaltet, weil er so wenig zuhause ist. Männer kuscheln heute wesentlich mehr mit ihren Kindern als früher und Frauen sind auch für die Bereiche Toben und Abenteuer zuständig.

Brauchen Kinder nicht beides?

Ja absolut. Kinder brauchen Schutz und Obhut. Gleichzeitig sollte aber auch jemand da sein, der sie auf dieser Grundlage herausfordert, der sie einfach klettern lässt und nicht immer gleich zur Vorsicht mahnt. Wenn beides da ist, dann wird das von den Kindern sehr positiv erlebt und sie können sich gut entwickeln. Wer welchen Teil übernimmt, ist für die Kinder nicht wichtig. Natürlich können diese beiden Rollenfacetten auch von einer Person verkörpert werden. Dies zeigt sich häufig bei Alleinerziehenden, die fast automatisch und intuitiv beide Rollenanteile übernehmen. Wichtig ist, dass Eltern nicht in einen Wettstreit darüber treten, welche Orientierung wichtiger ist. Das schadet Kindern eher. Kinder brauchen beides. Wenn Eltern das für sich anerkennen, profitieren alle Beteiligten davon.

Gibt es nicht doch geschlechtsbedingte Unterschiede?

Nachgewiesenermaßen wirken hormonelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen auch auf das Erziehungsgeschehen ein. Männer – und damit auch Jungen -sind beispielsweise durch ihren höheren Testosteronspiegel häufig mehr auf Bewegung und Rangeln ausgerichtet. Insofern wird sich das auch auf die Kinderbetreuung auswirken. Aber es gibt halt „solche“ und „solche“ – bei Männern und bei Frauen wie auch bei Mädchen und bei Jungen. 

Das, was vielfach als männliche Haltung beschrieben wird, können Frauen auch und das, was als weibliche beschrieben wird, können Männer auch. Es ist wichtig hier seinen eigenen Weg zu finden und nicht einfach das zu übernehmen, was andere Männer oder auch die Partnerin für richtig hält.

Was bedeutet es für Kinder, wenn Väter weniger im frühkindlichen Bereich präsent sind?

Das ist für Kinder ein Problem. Rollenbilder werden über das Erleben von erwachsenen Männern und Frauen gebildet. Sind keine Männer im konkreten Umfeld vorhanden orientieren sich die Kinder an den Bildern und Stereotypen, mit denen sie, z.B. in den Medien konfrontiert werden. Es hat sich gezeigt, dass Mädchen und Jungen ihre eigene Geschlechterrolle selbstbestimmter entwickeln können, wenn sie differenzierte und vielfältige Rollenbilder von Männern und Frauen erleben können. Insofern ist der Mangel an Männern in der frühkindlichen Erziehung zu bedauern. Männer sind zwar heute am Familienleben stärker beteiligt als früher, in KiTas oder Grundschule aber leider nur zu einem sehr geringen Prozentsatz vertreten.

Der moderne Vater – wie können Männer mit Erwartungsdruck umgehen?

Nicht alles kann immer gut und sofort gelingen. Das gilt auch für die Ansprüche an das eigene Vatersein. In diese Rolle muss Mann hineinwachsen, immerhin haben die meisten heutigen Väter kein konkretes Vorbild für ihr Handeln. Väter sollten entsprechend keinen Perfektionismus an den Tag legen und sich neugierig auf den Weg machen. Sich mit anderen auszutauschen kann hierbei sehr hilfreich und entlastend sein. VÄTER e.V. beispielsweise bietet Vätern in Hamburg ein vielfältiges Angebot, sich mit Anderen in ähnlicher Lebenssituation zu treffen, etwa beim offenen Treff für Väter in Elternzeit, bei Geburtsvorbereitungskursen oder bei diversen Vater-Kind- Aktivitäten. Diese Veranstaltungen geben Männern die Möglichkeit, sich über sich, die Welt und natürlich auch über Vaterschaft, Beruf und Partnerschaftsthemen auszutauschen – ohne dass es darum geht ‚Ich habe ein Problem‘.

Ein solcher Austausch wird von den meisten als bereichernd und hilfreich erlebt und kann mit dazu beitragen, die Herausforderungen des neuen Lebensabschnittes zu erkennen und zu meistern. Zu diesen Herausforderungen gehören auch widersprüchliche Rollenerwartungen, mit denen Männer und Väter heute zu tun haben. Untersuchungen belegen beispielsweise, dass Frauen heutzutage den sogenannten „Alpha-Softie“ bevorzugen, d. h. einen Mann, der sowohl die empathischen Fähigkeiten besitzt und Kontakt zum Kind hat, aber auch ein gewisses Männlichkeitsideal zeigt: Erfolg im Beruf, ein klares und dominantes Auftreten. Hier ist es für Männer entlastend, sich die Widersprüche bewusst zu machen. Es kann gar nicht alles funktionieren. Wichtig ist der Dialog zwischen den Partnern, denn gerade die Elternschaft bietet die Chance für beide, sich weiterzuentwickeln – als Paar, aber auch in ihrer Männlichkeit und Weiblichkeit.