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Hochbegabtes Kind – Aktiver Umgang mit der Schule

Autorin - Martina Rosenboom

Der Umgang mit der Schule und den Lehrkräften deines Kindes ist bestimmt nicht immer einfach. Wie bei jeder Kommunikation ist der Weg gepflastert mit Missverständnissen, Erwartungen und Enttäuschungen, aber auch mit freundlichen Menschen, neuen Erfahrungen und echten Partnern für dein Kind. Für Eltern hochbegabter Kinder kommt dazu, dass das Thema Hochbegabung in vielen Schulen wenig bekannt ist und kaum aktiv verfolgt wird. Du kannst als Mutter oder Vater viel dazu beitragen, dass der Umgang damit besser wird. Ein Interview zum Thema Hochbegabung findest du hier 5 Fragen an unsere Expertin Martina Rosenboom

Lesezeit: Etwa 8 Minuten
Schulkind Junge sitzt im Unterricht und sieht fröhlich in die Kamera

Hochbegabung in der Schule – Informationen zum Thema sammeln

Lehrkräfte sind gut darin, andere zu informieren. Eltern bekommen deshalb oft Angebote mit Informationen: Elternabende, Tage der offenen Tür, dazu Internetseiten der Schule usw. Wenn dir etwas unklar ist, dann lohnt es sich zu fragen: „Wo kann ich das nachlesen?“

Erfahrungsgemäß läuft dies zum Thema Hochbegabung häufig anders als gewohnt: Erst, wenn eine Lehrkraft ausdrücklich nach Informationen sucht, z.B. weil Hochbegabung bisher kein großes Thema in eurer Schule war, kannst du im Normalfall Informationen oder externe Ansprechpartner anbringen. Vorher fehlt vielen Lehrkräften die Motivation und meist auch schlicht die Zeit, sich mit dem Thema intensiver zu beschäftigen.

Es ist gut, wenn du dich auf ein solches Elterngespräch vorbereitest und die wichtigsten Stichworte auch kennst, z.B. Möglichkeiten der schulischen Begabungsförderung. Dazu lohnt es sich, den Wissenstand der Schule und vor allem die Erfahrung der Lehrkraft deines Kindes zu erfragen. So gibt es z.B. viele schulische Netzwerke zur Begabungsförderung, aber die einzelnen Schulen sind dabei sehr unterschiedlich informiert und aktiv. Es ist gut, wenn du weißt, ob eure Schule hier aktiv ist bzw. dass du diese wichtigen Netzwerke kennst.

Partnerschaft mit den Lehrkräften aufbauen

Man spricht bei der Zusammenarbeit von Eltern und Schule auch von einer „Erziehungs- und Bildungspartnerschaft“: Eltern sind dabei mehr für die Erziehung, und Schulen mehr für die Bildung verantwortlich. Deshalb ist es in Ordnung, wenn du dich weniger mit der Vorbereitung auf Klassenarbeiten oder dem Erstellen von Arbeitsmappen auskennst.

Dafür hast du mehr Möglichkeiten, dein Kind z.B. zu Ehrlichkeit, sozialen Umgangsformen und Grundfertigkeiten zu erziehen. Dabei ist es oft Verhandlungssache, wer für einen Bereich zuständig ist. So ist z.B. die Schule für schulische Fördermaßnahmen verantwortlich, aber bei außerschulischer Förderung reicht es oft, die Schule nur zu informieren.

Es geht nicht darum, wer dein Kind besser kennt und wen dein Kind lieber mag. Stattdessen tragen Lehrkraft und Eltern beide zum Wohl des Kindes bei – jeder auf seine Weise. Auch diese Partnerschaft beruht auf gegenseitigen Respekt und gemeinsamer Verantwortung.
Bei Verbesserungen oder Problemlösungen hilft es, wenn du weniger überlegst, was die Schule in ihrem Bereich tun sollte, sondern eher, was du in deinem Verantwortungsbereich bewegen und verändern kannst.

Fachkompetenzen der Lehrkräfte achten

Lehrkräfte haben einen anderen Blick auf das Lernen, häufig viel differenzierter als du das als Mutter oder Vater sehen würdest. Gerade Eltern hochbegabter Kinder staunen oft, was Kinder „von allein“ lernen, also ohne bewusstes Anleiten und geplante Zwischenstufen. Lehrkräfte sind Fachleute darin, das Lernen anzuleiten und die Schüler und Schülerinnen zu begleiten.

Nicht ohne Grund ist Pädagogik ein Studienfach, das jede Lehrkraft studiert hat. Daraus ergibt sich im Unterschied zum Elternhaus ein anderes Vorgehen in der Schule mit speziellen Möglichkeiten. Dazu kommen gesetzliche Bestimmungen wie Betreuungsregeln und Lehrpläne, sowie eine Menge vorgeschriebene Termine im Schuljahr, von Klassenarbeiten und Projektwochen bis hin zu Konferenzen.

Das läuft für Eltern meistens im Hintergrund und sichtbar ist nur die Lehrkraft als Vertretung des Schulsystems. So kann es dann sein, dass deine Wünsche oder andere Aktionen in Konflikt stehen mit Vorgaben und internen Regelungen in der Schule. Dann ist es umso wichtiger, die Lehrkraft deines Kindes als Fachfrau bzw. Fachmann für die Schule anzuerkennen.
Bedenke: Lehrkräfte sind einfach auch Menschen! Auch ihnen wird es manchmal zu viel oder die- oder derjenige hat mal einen schlechten Tag. Das macht sie nicht zu schlechten Fachleuten.

Das direkte Gespräch mit der Lehrkraft suchen

Alle Schulen bieten mehrmals im Jahr Sprechtage an, in denen Eltern Termine bei den Lehrkräften ihres Kindes machen. Vielen Eltern erscheinen solche Gespräche nicht nötig oder sinnvoll. Es ist trotzdem ein sinnvolles und organisiertes Gesprächsangebot der Schule oder der Lehrkraft deines Kindes, das du nicht leichtfertig ausschlagen solltest, denn das direkte Gespräch kommt oft zu kurz. Die Lehrkraft hat dann Zeit und alle Unterlagen griffbereit.

Auch du kannst dich vorbereiten und deine Fragen und Anmerkungen mitbringen. Sollten die Termine in deiner Arbeitszeit liegen, so ist die Einladung zum Sprechtag zumindest ein Anlass, einen Einzeltermin zu vereinbaren. Dabei bist du eine oder einer von vielen Eltern! Trotzdem ist das besser als ein Gespräch „zwischen Tür und Angel“ oder ein spontanes Telefonat am Feierabend.

Und auch hier gilt: Bei Fragen am besten direkt fragen! Das ist allemal besser, als Unsicherheiten zu sammeln oder Missverständnisse zuzulassen, denn daraus können sich leicht Konflikte entwickeln. Wie bei allen Beziehungen gilt auch bei Lehrkräften: Lob tut gut! Was hat dein Kind Schönes aus der Schule berichtet, was hat ihm oder ihr (ausnahmsweise?) einmal gut gefallen, welche positiven Entwicklungen siehst du? Benenne deine Wahrnehmung konkret und bleibe dabei bei deiner Elternsicht. Also nicht „Der Mathe-Unterricht ist jetzt besser“, sondern „Mira hat letzten Mittwoch ganz begeistert ihre Mathe-Hausaufgabe gemacht. Das hat mich richtig gefreut.“

Hilfsangebote im Schulsystem nutzen

Das Schulsystem beschränkt sich nicht auf Unterricht und Lernen. An jeder (staatlichen) Schule gibt es Beratungslehrkräfte, die dein Kind oder die Lehrkraft in schwierigen Situationen unterstützen. Wo das nicht reicht, gibt es auch schulpsychologische Beratungsstellen, die du selbst ansprechen kannst. Besonders für Eltern hochbegabter Kinder kann das eine gute Anlaufstelle sein, wenn dort Erfahrung mit dem Thema Hochbegabung vorhanden ist. Da die Schule mit vielen anderen psychologischen Problemen zu tun hat, solltest du dich trotzdem nicht darauf verlassen, dass dir dort schnell geholfen wird.

Die Klassenelternvertretung ist ein weiteres Organ zur Behebung von Problemen, vor allem im organisatorischen Bereich der Klasse. Hier kannst du dich nicht nur mit anderen Eltern austauschen. Gemeinsam könnt ihr viel an Schulen bewegen, weil die Elternvertretung ein Mitspracherecht bei manchen Entscheidungen hat. Das kann in vielen Fällen sogar eine Erleichterung für Schulen sein, z.B. wenn der Sportunterricht lange ausfällt: Eine Beschwerde der Elternvertretung beim Schulträger ist da oft wirkungsvoller als Beschwerden einer Schulleitung. Nicht zu vergessen ist das Bildungsministerium mit seinen Informationsangeboten für Eltern. Dort gibt es oft Literatur, die Eltern und Lehrkräfte gleichermaßen auch zum Thema Begabungs- und Begabtenförderung anspricht.

Sei Anwalt für dein Kind

Bei allem Interesse für Schulbelange: Es geht um dein Kind. Es ist deine Verantwortung, dass es deinem Kind gut geht und dass es gesund aufwächst. Wenn dein Kind krank ist, wenn es ihm vielleicht sogar wegen der Schule schlecht geht, dann kommt die Schulpflicht erst an zweiter Stelle. Es ist verständlich, wenn die Schule das anders sieht, aber du bist nicht ihr Gehilfe. Du bist dann wie ein Anwalt zur Vertretung deines Kindes: Steh zu deinem Kind, nutze deine Möglichkeiten als Erwachsene/r und seid zusammen stark.

Elternmeinungen: Soll ich in der Schule sagen, dass mein Kind hochbegabt ist?

Wenn eine Hochbegabung festgestellt wird, müssen sich Eltern fragen: Wem erzählen wir davon? Und für viele ist die schwierigste Frage: Sagen wir es der Schule?

Pro: "Die Schule weiß Bescheid, das ist gut"

Jana hatte im letzten Jahr viele Schulprobleme mit ihrem Sohn Jonas, der jetzt eine Klasse übersprungen hat und in die vierte Klasse geht. Sie hat Jonas jetzt testen lassen.

In der ersten Klasse lief alles gut. Als Jonas in der zweiten Klasse eine neue Lehrerin bekommen hat, verlor er komplett die Lust. Erst hat er keine Hausaufgaben mehr gemacht und musste in der Schule nachsitzen. Dadurch fiel seine Mathe-AG aus, in der er eigentlich als sehr guter Schüler gefördert werden sollte, und er wurde immer auffälliger.

Zu Hause wurde er immer unglücklicher, Schule war ein Problemthema geworden. Die Lehrerin empfahl uns, zum Psychologen zu gehen. Sie meinte, es sähe nach ADS aus und das müsse behandelt werden. Als Zeichen guten Willens waren wir da, weil wir auch nicht weiterwussten. Das Ergebnis hat uns sehr erstaunt: Jonas ist hochbegabt. Er erzählte dem Psychologen auch, dass er als „der Störenfried“ der Klasse bezeichnet wurde und erst recht nichts mehr extra machen durfte. Wir waren völlig geschockt, denn das hatte er uns gar nicht erzählt.

Der Psychologe hat uns empfohlen, zusammen mit der Schule nach Lösungen zu suchen und auch konkrete Vorschläge gemacht. Wir haben dann mit Jonas‘ Lehrerin gesprochen und die hat nach längerem Zögern auch mit dem Testpsychologen geredet. Wir wissen nicht, was er ihr erzählt hat, aber Jonas hatte danach weniger Druck in der Schule und durfte auch wieder bei schwierigen Aufgaben zeigen, was er kann. Jetzt ist Jonas zu Beginn der dritten Klasse probeweise in die vierte Klasse gesprungen. Das hätten wir alle uns ohne Test gar nicht getraut. Auch die Schulleitung hat uns gesagt, dass der Test ihnen Mut gemacht hat, Lukas den Schritt zuzutrauen.

Contra: "Es ist nicht nötig, vom Test zu erzählen"

Jan, Vater der 7-jährigen Mia, will nicht, dass andere von der Hochbegabung wissen.

Der Lehrer kriegt das ganz gut hin. Da brauche ich vom Test nichts erzählen. Mia wurde mit fünf Jahre als hochbegabt getestet. Der Psychologe empfahl uns, sie möglichst bald in die Schule zu lassen. Wir haben sie dann mit knapp sechs Jahren schon eingeschult, aber ohne von der Hochbegabung zu erzählen. Nach der Einschulung hat Mias Lehrer beim normalen Sprechtag nach sechs Wochen erzählt, dass es ganz gut läuft. Da es im Unterricht immer unterschiedlich schwere Aufgaben gibt, findet auch Mia immer etwas zum Lernen.

Ihr gefällt die Schule gut und alle sind zufrieden, auch jetzt in der zweiten Klasse. Da will ich doch mit einem Wort wie „Hochbegabung“ keine schlafenden Hunde wecken! Nachher stehen wir als arrogante oder ehrgeizige Eltern da. Auch Mia selbst weiß nichts von dem Testergebnis. Vielleicht würde ich ihrem Lehrer davon erzählen, wenn er mich darauf anspricht.