Format: Artikel – Schreibfeder auf dem Tisch
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Ist mein Kind homosexuell?

Autorin - Melanie Schüer

Auch wenn ein Outing heutzutage nicht mehr die gleiche Hürde bedeutet wie noch vor einigen Jahrzehnten, ist es für die meisten Jugendlichen doch eine große Herausforderung, wenn sie feststellen: Ich fühle anders als die meisten anderen meines Geschlechts. Und auch für die Eltern ist es oft nicht einfach, sich an diese Vorstellung zu gewöhnen.

Lesezeit: Etwa 4 Minuten
Teenager Junge mit Mütze und Jeansjacke guckt fröhlich zur Seite

Die sexuelle Orientierung entwickelt sich

Zunächst einmal ist es wichtig, zu wissen, dass die sexuelle Orientierung nicht so starr ist, wie man lange Zeit dachte. Tatsächlich gibt es im Leben vieler Menschen Phasen, in denen sie homosexuelle Gefühle empfinden, obwohl diese zuvor nicht da waren und dann möglicherweise auch wieder in den Hintergrund treten. Besonders bei Jugendlichen ist noch vieles im Umbruch und in der Entwicklung. Daher ist es völlig normal und absolut keine Seltenheit, wenn Jugendliche sich zu Menschen des gleichen Geschlechts hingezogen fühlen – ohne, dass sie deshalb langfristig homosexuell empfinden.

Denn: In der Pubertät ringen Jugendliche um ihre Identität, auch sexuell. Gefühle, die in dieser Zeit entstehen, sind oft nur vorübergehend und es kann einige Jahre dauern, bis klarer wird, welches Geschlecht ein Mensch sexuell bevorzugt. Natürlich kann es auch sein, dass zumindest zeitweise oder auch langfristig für beide Geschlechter Interesse besteht, also Menschen bisexuell empfinden.

Dieses Wissen ist für uns als Eltern wichtig, um unser Kind nicht zu früh „festzulegen“, aber auch im Gespräch mit dem Jugendlichen. Obwohl heutzutage in unserem Land die meisten Menschen kein Problem mehr mit Homosexualität haben, kann es verunsichernd sein, homosexuell zu fühlen und die Vermutung kann auch vieles bezüglich der eigenen Lebensplanung infragestellen. Deshalb ist es gut, wenn Jugendliche wissen, dass die sexuelle Orientierung sich ebenso, wie alles andere, erst noch entwickeln und stabilisieren muss. Und, dass sexuelle Empfindungen nicht konstant sind und es auch nicht sein müssen.

Gefühle akzeptieren – bei deinem Kind und bei dir

Wenn die homosexuellen Gefühle jedoch über mehrere Jahre anhalten und bestehen bleiben, dann ist es wichtig, dass Eltern signalisieren: „Wir lieben dich genauso, wie du bist! Deine sexuelle Orientierung ändert nichts daran, wie wertvoll du für uns bist.“

Je nach eigener Prägung löst die Erkenntnis „Mein Kind ist homosexuell“ ganz unterschiedliche Emotionen bei Eltern aus – von absoluter Gelassenheit bis hin zu Enttäuschung und Angst. Wenn du Gefühle wie die Letzteren empfindest, obwohl du doch eigentlich ein toleranter und weltoffener Mensch bist, kann es sein, dass dich das ziemlich schockiert. Doch keine Panik! Verurteile dich nicht dafür, denn Prägungen aus unserer Kindheit und Jugend sitzen einfach tief. Und auch wenn du grundsätzlich mit Homosexualität gar kein Problem hast, bedeutet es eben doch eine große Veränderung, wenn du bis jetzt immer angenommen hast, dass dein Kind heterosexuell empfindet.

Viele Eltern fragen sich auch, ob sie nun jemals Großeltern werden – und fühlen sich dabei egoistisch, weil das doch eigentlich nicht so wichtig sein sollte, wie das Glück des eigenen Kindes. Und das stimmt natürlich! Aber dennoch dürfen diese Gedanken und Emotionen da sein – sie sind einfach Teil der Auseinandersetzung mit einer Veränderung.

Unsere Gesellschaft ist größtenteils tolerant, aber faktisch sind eben gegengeschlechtliche Paare mit leiblichen Kindern doch meist das, was wir als „Normalitätsstandard“ verankert haben. Und deshalb ist es völlig normal, wenn einen die Erkenntnis „Mein Kind ist homosexuell“ trotz Toleranz aus der Bahn wirft. Scheue dich dann nicht, dir professionelle Hilfe zu holen, z.B. in einer Familienberatungsstelle (www.dajeb.de). Oft tut es gut, mit einer neutralen Person zu sprechen und sich im Umgang mit der Veränderung begleiten zu lassen.

Homosexualität ist keine Krankheit

Auch Fragen wie „Habe ich etwas falsch gemacht?“ können aufkommen und belasten. Dazu sollte man wissen, dass die Wissenschaft die Entstehung von Homosexualität noch nicht abschließend geklärt hat. Viele Fachleute nehmen aber an, dass die sexuelle Orientierung oder zumindest die Veranlagung dazu, angeboren ist.

Homosexualität kann nicht „abtrainiert“ werden. Glücklicherweise gibt es in Deutschland nur noch wenige Menschen, die das glauben, aber sicherheitshalber sei an dieser Stelle gesagt: Entsprechende Einrichtungen, die so etwas versuchen, führen bei den Betroffenen zu sehr viel Leid und entsprechen nicht dem, was die Sexualwissenschaft heute weiß.

Das Vertrauen stärken

Wenn du nur vermutest, dass dein Kind homosexuell sein könnte, dann achte darauf, es nicht durch zu direkte Fragen unter Druck zu setzen. Zeige einfach durch gelegentlich beiläufige Bemerkungen, dass du kein Problem mit Homosexualität hast. Und lass dein Kind immer wieder wissen, dass es mit dir über alles sprechen kann und du es immer lieben wirst, egal, was es dir erzählt.

Die Grundlage für eine solche Vertrautheit zwischen Eltern und Kind legt man durch einen liebevollen, respektvollen Umgang und durch positive, gemeinsame Zeit. Wenn die Kinder noch klein sind, fühlt es sich oft anstrengend an, schon wieder auf dem Autoteppich zu spielen oder zum fünfzigsten Mal das gleiche Rollenspiel zu machen… aber denke daran, mit regelmäßigen Eltern-Kind-Zeiten stärkst du die Verbundenheit zwischen euch und investierst in die Pubertät. Denn je besser eure Beziehung vor der Pubertät ist, desto leichter wird es deinem jugendlichen Kind fallen, sich auch mit persönlicheren Themen an dich zu wenden.