Format: Artikel – Schreibfeder auf dem Tisch
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Warum Lernen durch Erfahrung so wichtig ist

Autorin - Nadine Büttner

Situationen, deren Umgang und Lösungen für Kinder eine Herausforderung darstellen, sind der Ursprung von Lernprozessen. Durch eigene Erfahrungen lernen Kinder nachhaltig und erweitern ihren Horizont. Mit Geduld, noch mehr Geduld, Vertrauen und Zuversicht können Eltern ihren Kindern im Erfahrungen sammeln zur Seite stehen. Der Alltag dreht das Rad oft nur viel zu schnell, um nach einem langen Tag geduldig zuzuschauen, wie dein kleines Kind die Zahnpasta auf die Zahnbürste drückt. Dies sind jedoch die Momente in denen auch wir Eltern lernen...und staunen!

Lesezeit: Etwa 6 Minuten
Mehlige Kinderhände in einer blauen Backschüssel

Kinder lernen nicht durch Grenzen!

Stell dir vor, dein Kind ist jetzt drei Jahre alt, und möchte mit dir backen. Dein Kleines ist eifrig dabei, das abgewogene Mehl in die Schüssel zu schütten und nun fehlen noch die Eier. Rohe Eier und Kinderhände. Oh je! Vorsichtshalber übernimmst du das Eieraufschlagen und dein Kind kann gerne verrühren, richtig?

Und nun denken wir mal daran, wie Kinder lernen und wie wir selber gelernt haben. Waren es weise Sätze unserer Eltern, die uns davon abgehalten haben, bis in die Puppen abends unterwegs zu sein, uns auf bestimmte Freunde besser nicht einzulassen? Klar, unsere Eltern wollten uns mit ihrem Wissen nur schützen und vor dem Schlimmsten bewahren. Und was haben wir gemacht? Es trotzdem ausprobiert, oder?

Kinder lernen durch Erfahrungen – auch durch Schmerzhafte

So ist das mit dem Lernen. Und so funktioniert das auch bei deinem Kind. Nur durch das eigene Ausprobieren, durch das Zumuten von Erfahrungen – und ja, auch den schmerzhaften, kann sich dein Kind  weiterentwickeln und in der Zukunft eben diese Erkenntnis berücksichtigen. Wenn wir es als Eltern schaffen, uns selbst zurück zu nehmen, anstatt zuviele Grenzen zu setzen, geben wir unserem Kind die Möglichkeit sich selbst auszuprobieren und neue Fähigkeiten zu erwerben – häufig über Umwege.

Durch Interaktion mit der Umwelt kann dein Kind folglich spüren, welchen Einfluss es auf die Dinge hat, was es kann und wer es ist. Eigene Grenzen spüren, Frust aushalten, Freude durch Erfolgserlebnisse, Beharrlichkeit und Ausdauer durch viele Wiederholungen und Geschicklichkeit. Dies sind alles Eigenschaften, die sich entwickeln können, wenn wir es denn zulassen.

Warte und beobachte, damit dein Kind lernen kann

Ein vierjähriger Junge bereitet seinen kleinen Nachmittagssnack vor. Er richtet sich alles geordnet auf einem kleinen Tablett an. Zuvor hat er sich selbst ein Glas Wasser eingeschenkt und eine Portion Joghurt mit Nüssen und Rosinen in eine Schale gefüllt. Jetzt kommt ein Hindernis. Die erhöhte Türschwelle zum Balkon gilt es mit dem Tablett in den Händen zu überwinden. Hoch konzentriert stellt sich der Junge der großen Aufgabe. Die Mutter beobachtet aus der Ferne. Ist diese Herausforderung zumutbar? Greife ich besser ein und übernehme? Oder beobachte ich weiter aus der Ferne und bin da, wenn meine Hilfe benötigt wird.

Mit zusammen gepressten Lippen, dem Tablett in den Händen erfolgt nun ein Schritt über die Schwelle. Die Gleichgewichtsverlagerung bewirkt, dass das Tablett in Schieflage gerät. Das Glas und die Schale rutschen zur Tablettkante. Es gibt keine Möglichkeit des Gegenlenkens mehr und die Schale fällt auf den Boden. Der Joghurt spritzt zu allen Seiten. Das blanke Entsetzen spiegelt sich in den Augen des Jungen wider. Was für eine Enttäuschung. Tränen der Wut steigen auf.

Seine Mama kommt ihm entgegen, spendet Trost. Da bedarf es keiner Belehrung, keiner ermahnenden Worte und auch nicht beim Setzen einer Grenze. Die natürliche Konsequenz (der mühevoll zubereitete Snack liegt jetzt auf dem Boden verteilt) spricht für sich und der Schmerz darüber ist spürbar. Gemeinsam wird überlegt, wie der Joghurt aufgewischt werden kann. Zusammen holen sie einen Eimer und Lappen und kümmern sich darum.

Trösten und Ermutigung helfen deinem Kind

So etwas passiert im Leben. Dinge laufen häufig nicht so, wie wir sie geplant hatten. Das ist enttäuschend und traurig. Dem Kind wurde diese Erfahrung zugemutet und ermöglicht. Dabei wurde es nicht allein gelassen. Es wurde emotional aufgefangen und begleitet. Diese Erfahrung schmerzt, aber es geht weiter. Das Kind durfte die Verantwortung seiner Handlung selber tragen (durch das Aufwischen des Joghurts). Es wurde nicht belehrt und erst recht nicht bestraft. Auf diese Weise war sein Lerneffekt deutlich größer, als wenn seine Mutter ihm vorher eine Grenze gesetzt hätte.

Auf natürliche Konzequenzen, statt künstliche Grenzen setzen

Wenn wir uns als Eltern für diese natürlichen Konsequenzen öffnen, dann sind das unsere besten Begleiter im Erziehungsalltag. Wenn Wasser verschüttet wird, dann muss es aufgewischt werden, wenn die Zahnpasta gegen den Spiegel gespuckt wird, dann kann der Spiegel geputzt werden. Wenn eine Buchseite zerrissen wurde, dann wird sie wieder geklebt.

Die Konsequenz oder auch Grenze steckt also in der Erfahrung mit den Dingen selbst und wirkt auf die Kinder viel direkter und nachhaltiger als eine vorher gesetzte Grenze. Sie steht im direkten Zusammenhang und sollte idealerweise ebenso direkt erfolgen. Das bedarf natürlich einer engen und intensiven Begleitung durch uns als Eltern.

Zurück zum Eieraufschlagen. Kannst du deinem Kleinkind nun zumuten, ein Ei selber aufzuschlagen? Was ist das Risiko? Also, was kann wirklich im schlimmsten Falle passieren? Stell dir bewusst diese Fragen. Das Ei landet irgendwo, nur nicht in der vorgesehenen Schüssel oder ja, es gibt Eierschale im Waffelteig. Anstatt direkt zu übernehmen, werde dir bewusst, was du deinem Kind – hier in dieser Situation – für eine Lernerfahrung ermöglichen könntest.

Lernerfahrungen im Alltag – eine Chance für dein Kind

Eine scheinbar simple Tätigkeit aus unserem Alltag, wie z.B. das Eieraufschlagen, birgt also enormes Lernpotential für dein Kind. Du unterstützt dein Kind hinsichtlich:

  • Förderung der Aufmerksamkeit, der Konzentration sowie des feinmotorischen Geschicks – rohe Eier müssen mit besonderer Vorsicht und viel Fingerspitzengefühl behandelt werden.

  • Ausdauer und Stärkung der Frustrationstoleranz – es bedarf vieler Wiederholungen und Übung, bis das Ei tatsächlich in der Schüssel landet.

  • Natürliche Konsequenz: rohe Eier sind zerbrechlich, sie schmieren und es ist sehr anstrengend sie zu entfernen.

  • Selbstorganisation: Es bedarf eines Lappens, viel Wasser und sogar Reinigungsmittel. Viele Wischbewegungen sind durchzuführen, damit es vollständig entfernt ist.

  • Sinneserfahrung: rohes Ei riecht nicht und klebt an den Händen.

Für uns Erwachsene ist das Eieraufschlagen eine Aufgabe, die mit Leichtigkeit übernommen werden kann. So greifen wir im Alltag mit unseren Kindern oft vorweg. Mit schwerwiegenden Folgen, die erst mit den Jahren sichtbar werden.

Übermässiges Grenzen setzen führt zu passiven Kindern

Die Anstrengungsbereitschaft bei unseren Kindern ist da. Bei jedem Kind, von Anfang an. Nur ungeduldigen Eltern fällt es schwer, sich darauf einzulassen. Sie setzen oft sehr schnell künstliche Grenzen, statt das sie ihren Kindern die Möglichkeit geben, die natürlichen Grenzen durch Konsequenzen selbst erfahren zu können.  Das kann mit der Zeit das gesamte Verhalten der Kinder beeinflussen: Haben Kinder oft erfahren, dass sie unterbrochen werden, ihnen etwas nicht zu gemutet wird, dann lehnen sie sich zurück. Sie haben gelernt, Dinge nicht zu können, nicht zu dürfen, nicht auszuprobieren. Sie konnten ihre Ausdauer nicht schulen, ihre Frustrationstoleranz nicht stärken. Dann hocken wir vor unseren Fünfjährigen und ziehen ihnen die Schuhe an.

Vorher gab es etliche Möglichkeiten, des Zutrauens und die Verantwortung dem Kind dafür zuzumuten. Wir wundern uns, warum Kinder ihre Zimmer nicht aufräumen, sich bedienen lassen und wir uns unheimlich gestresst fühlen.

Habt Geduld – mit euren Kindern, aber vor allem auch mit euch selbst. Wenn ihr noch unsicher seid, und – wie hier im Beispiel – das Ei lieber selber aufschlagen wollt, dann ist das natürlich in Ordnung. Lasst euer Kind zuschauen und der Zeitpunkt kommt, an dem ihr abgeben könnt. Habt also Vertrauen in euch selbst. Und habt Vertrauen in eure Kinder und setzt lieber auf die Erfahrungen eurer Kinder als auf das Grenzen setzen.

Schenkt ihnen Zeit und Zutrauen. Es lohnt sich!

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