Format: Artikel – Schreibfeder auf dem Tisch
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Mein Kind lügt

Autorin - Melanie Schüer

Wenn das eigene Kind lügt, ist das für die meisten Eltern eine schockierende Erfahrung – vor allem, wenn das Lügen oft vorkommt und zu Schwierigkeiten im Alltag führt. In diesem Artikel erfährst du, welche Gründe es für dieses Verhalten gibt und, wie du am besten damit umgehst, wenn dein Kind lügt.

Lesezeit: Etwa 6 Minuten
Kopf der Pinocchio Holzpuppe mit langer Nase.

Flunkern, Notlügen und „echte“ Lügen

Der Begriff „Lügen“ kann vieles abdecken – von kleinem, eher harmlosen „Flunkern“  („Nein, ich hatte noch kein Bonbon heute“) über „Notlügen“ (z.B. erzählen, man sei krank, um die Freundin nicht zu enttäuschen) bis hin zu großen Lügen mit weitreichenden Folgen (z.B. behaupten, die Mutter habe Krebs oder der Vater sei verstorben).

Warum lügen Kinder?

Grundsätzlich fällt es Kleinkindern im Vorschulalter oft noch schwer, zwischen Realität und Fantasie zu unterscheiden. Häufig wünschen sie sich eine Lösung, wenn sie einen Konflikt erleben. Diese Lösung verwechseln diese dann mit der Wirklichkeit. Das Lügen findet also in diesem Alter oft sehr unbewusst und unabsichtlich statt.

Etwa ab dem Grundschulalter verstehen und registrieren Kinder besser, wenn sie lügen. Oft ist dies auch das Alter, in dem sich notorisches Lügen verfestigt. Eltern haben dann den Eindruck, dass ihr Kind ständig lügt und sogar Spaß daran zu haben scheint. Obwohl Kinder ab dem Grundschulalter meist merken, wenn sie nicht die Wahrheit sagen, steckt keine böse Absicht hinter dem Verhalten. Meist sind Lügen eine Notlösung, weil das Kind bisher noch keine bessere Alternative gefunden hat, um etwas Wichtiges zu erreichen oder ein Problem zu lösen.

Häufig haben die Kinder nach einer Lüge auch ein schlechtes Gewissen und nehmen sich vor, von nun an die Wahrheit zu sagen, lügen dann aber doch wieder. Das liegt auch daran, dass Kinder noch sehr viel kurzfristiger denken und handeln als Erwachsene. Auch wenn sie sich bemühen — sie haben immer eher die kurzfristigen Folgen vor Augen (und da ist Lügen oft hilfreich) und verlieren schnell wieder den Blick für die langfristigen Schäden, die das Lügen ihnen und anderen bereitet. Es ist ihnen noch nicht immer möglich, sich in andere einzufühlen, weshalb Kinder die Folgen von Lügen für andere Menschen noch nicht richtig einschätzen können.

Lügen beim Thema Schule

Auch wenn die meisten Kinder sich auf den ersten Schultag freuen, überwiegt oft spätestens in der dritten Klasse Stress und Druck. Das ist schade, aber tatsächlich gehen viele Kinder nicht gern oder zumindest mit gemischten Gefühlen zur Schule. Wenn Kinder sich unter Leistungsdruck oder sich in der Klasse nicht sicher fühlen, können Lügen ein willkommener Ausweg sein, um z.B. öfter zuhause zu bleiben oder die Menge von Aufgaben zu verringern.

Auch wenn Kinder oft wissen, dass Lügen keine gute Lösung sind, fehlen ihnen in diesem Alter oft noch die Ideen, wie sie Probleme anders bewältigen können. Wenn Lügen dann kurzfristig helfen, kann ein Teufelskreis entstehen: Die Kinder bekommen den Eindruck, dass sich Lügen lohnen und lügen daher erneut. Sie gewöhnen sich daran und lernen keine alternativen Lösungsmöglichkeiten kennen, weil das Lügen ja zumindest erst einmal gut zu funktionieren scheint.

Mein Kind lügt und erfindet Geschichten

Wenn dein Kind sehr ausufernde Lügenmärchen erzählt, dann hat es vermutlich eine Eigenschaft, die an sich eine Stärke ist: Eine ausgeprägte Fantasie. Es hat viele Ideen und Einfälle und ist vermutlich tendenziell kreativ. Ganz ehrlich, das ist ein Charakterzug, der deinem Kind im weiteren Leben sehr nutzen kann! Es muss nur lernen, diese Kreativität auf gesunde Weise einzusetzen.

Wenn Kinder verrückte Lügengeschichten erzählen, dann versuchen sie oft unbewusst, sich auch selbst davon zu überzeugen. Sie spüren so stark das dahinter liegende Bedürfnis und wissen nicht recht, wie sie dieses anders erfüllen können. Deshalb können Lügengeschichten ein Weg sein, Aufmerksamkeit zu suchen, Freunde zu finden, indem man sich beliebt macht oder das eigene Selbstbewusstsein zu stärken, wenn man sich gerade sehr unsicher fühlt. Auch die Angst vor Strafen kann Kinder dazu bringen, sich Geschichten auszudenken.

Häufig handeln Kinder dabei unbedacht: In einem ersten impulsiven Moment lügen sie und verstricken sich dann selbst immer mehr in die Lügenfantasie, weil sie nicht wissen, wie sie ohne Schaden wieder herauskommen können. Manchmal erzählen Kinder auch sehr ausgeschmückte, unwahre Geschichten, weil es ihnen gerade in einem Lebensbereich nicht gut geht und sie deshalb unbewusst aus der Wirklichkeit „fliehen“. Sie überlegen sich als Flucht vor den Belastungen eine Traumwelt und wollen diese mit anderen teilen. Und damit die Flucht sich echter anfühlt, behaupten sie, all das sei wirklich wahr.

Du siehst: Sehr häufig stecken echte, keineswegs boshafte Bedürfnisse hinter erfundenen Geschichten. Wusstest du? Wenn Kinder in der 'magischen Phase' sind, werden sie in ihrer Denkweise besonders kreativ.

Mein Kind lügt und klaut plötzlich

Wenn Kinder auf einmal stehlen, ist das häufig ein Hilferuf. Meist sind sie durch bestimmte Umstände oder Veränderungen gestresst und wissen nicht, wie sie mit der Belastung umgehen soll. Stehlen kann dann einen kurzfristigen „Kick“ geben. Es kann auch der Versuch sein, sich etwas Schönes zu „gönnen“, was sonst nicht ginge oder schwer erreichbar scheint. Wenn das Kind dann nicht erwischt wird, kann sich ein Gefühl von Erfolg und Gelingen einstellen – und das motiviert natürlich zur Wiederholung. Gleichzeitig spüren die Kinder ein mehr oder weniger starkes Gewissen, sind dadurch angespannt und dann kann der erneute „Kick“ ein Versuch sein, sich wieder besser zu fühlen. Ein Teufelskreis!

Gelegentlich lassen Kinder sich auch einfach von Gleichaltrigen überreden und/oder von ihrer Neugierde treiben. Sie wollen es mal ausprobieren und spüren, wie es ist, etwas Verbotenes zu tun. Oder sie wollen andere Kinder beeindrucken und denken – typisch für das Gehirn von Kindern und Jugendlichen – mehr an die kurzfristigen Vorteile und weniger an die langfristigen Folgen. Wenn solche Vorfälle also nur ausnahmsweise vorkommen, muss kein schwerwiegender Grund dahinter stecken.

Häufig zeigt das Stehlen aber, dass das Kind sich gerade nicht wohl und ausgeglichen fühlt. Besonders, wenn es mit verstärktem Lügen zusammen auftritt. Das Kind scheint aktuell Fluchten und Ausgleiche für etwas zu suchen, das es als Stress und Überforderung erlebt. Deshalb treten diese Verhaltensweisen oft zusammen oder leicht versetzt auf und sollten immer ernst genommen werden. Es gibt auch Kinder, die sich sozial benachteiligt fühlen und sich durch das Stehlen schöner Gegenstände einen höheren Wert geben möchten.

Was tun, wenn das Kind lügt?

Wie schon erwähnt, sollten Lügen nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Eltern sollten aber vermeiden, das Verhalten zu dramatisieren. Empfehlenswert ist es, das Kind ernsthaft, aber ruhig und freundlich auf das Lügen anzusprechen und erst einmal nach seiner Wahrnehmung zu fragen, z.B. „In letzter Zeit hast du öfter nicht die Wahrheit gesagt, z.B. gestern bei Oma und heute Morgen beim Frühstück. Was meinst du, warum war das so?“

So zeigst du, dass es nicht um Beschuldigungen oder Vorwürfe geht, sondern, dass du hinter deinem Kind stehst und mit ihm gemeinsam eine Lösung finden willst. Vielleicht ist das Thema deinem Kind so unangenehm, dass es nicht viel antworten mag. Dann reagiere geduldig und erkläre ihm, warum du dir wünschst, dass es die Wahrheit sagt. Versuche deinem Kind liebevoll aufzuzeigen, wie sich andere Menschen bei Lügen fühlen, indem du Übungen zur Perspektivübernahme machst.

Drohe nicht mit Strafen und arbeite bitte auch nicht mit Belohnungen, sondern erläutere einfach, warum Ehrlichkeit wichtig ist. Frage auch gern, ob du etwas ändern kannst, damit es deinem Kind leichter fällt, die Wahrheit zu sagen. Wenn das Lügen trotzdem weiter ein Problem bleibt, scheue nicht den Besuch bei einer Erziehungsberatungsstelle (www.dajeb.de). Manchmal lassen sich Schwierigkeiten leichter mit einer neutralen Person zusammen lösen.

Bei Lügen ruhig und aufmerksam sein

Lügen ist ein Verhalten, das nahezu jedes Kind früher oder später zeigt. Eltern sollten also nicht in Panik geraten, wenn ihr Kind mal flunkert, aber doch achtsam sein, damit das Lügen sich nicht zu einer ungesunden Gewohnheit entwickelt.