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Ist mein Kind hochsensibel?

Autorin - Melanie Schüer

Wenn du dich fragst, ob dein Kind hochsensibel sein könnte, dann sind dir vermutlich einige Besonderheiten in seinem Verhalten aufgefallen, die dich stutzig machen. Besonderheiten, die darauf hinweisen, dass dein Kind möglicherweise seine Umgebung anders wahrnimmt als die meisten anderen Menschen.

Lesezeit: Etwa 10 Minuten
Mädchen lässt Papierflugzeug im Wald steigen

Ist dein Kind hochsensibel ? – Hieran erkennst du es

Diese Kriterien beruhen auf dem Hochsensibiliäts-Test der Expertin Elaine N. Aaron, der in ihrem Buch „Das hochsensible Kind“ zu finden ist. Solltest du viele dieser Anzeichen bestätigen können, mache am besten den vollständigen Test in dem genannten 

Dein Kind:

  • ist schreckhaft
  • es merkt oft, wenn es jemandem nicht gut geht
  • es fühlt stark mit anderen mit
  • es reagiert empfindlich auf Veränderungen
  • es macht sich sehr viele Gedanken
  • es ist sehr empfindlich, was z.B. kratzende oder harte Stoffe, Gerüche oder Schmerzen angeht
  • es ist schnell gestresst, wenn es in lauter Umgebung ist
  • es bemerkt selbst kleinste Veränderungen in seiner Umgebung

Hochsensibilität – dein Kind hat eine stärkere Wahrnehmung

Wenn du vermutest, dass dein Kind hochsensibel ist, sei beruhigt: Hochsensibilität ist keine Krankheit, sondern eine besondere Eigenschaft, die etwa 10–20 % der Menschen betrifft. Hochsensible Kinder nehmen ihre Umgebung intensiver wahr – das ist einerseits eine Gabe, kann aber auch anstrengend sein. Stell dir vor, normale Lautstärke wäre doppelt so laut oder eine etwas kratzige Hose fühlt sich unangenehm hart an. Dein Kind spürt Stimmungen, Veränderungen und Details viel stärker, was oft zur Erschöpfung führt, weil es diese Eindrücke ständig verarbeiten muss. Hochsensible Kinder „stellen sich nicht an“ – sie reagieren einfach auf intensivere Reize. Das kann bedeuten, dass Veränderungen oder laute Umgebungen schnell überfordernd werden. Wichtig ist, dass dein Kind lernt, mit dieser Eigenschaft umzugehen, und dass du es dabei unterstützt, indem du ihm Ruhepausen gönnst und Verständnis für seine intensiven Empfindungen zeigst. So kann es seine Besonderheit positiv erleben.

5 Formen der Hochsensibilität

Im Wesentlichen gibt es fünf verschiedene Formen der Hochsensibilität. Nähere Beschreibungen der Formen und was ihr als Mutter oder Vater tun könnt, findet ihr in den unten aufgeführten Kapiteln.

Psychomotorisches Empfindungsvermögen bei hochsensiblen Kindern

Eine hohe (psycho-)motorische Sensibilität äußert sich z.B. früh in schnellem Sprechen, in einer Vorliebe für schnelle Sportarten oder das ständige „Nochmal rutschen!“ oder „Schneller, schneller!“  auf dem Spielplatz. Weitere Anzeichen sind eine deutliche Begeisterungsfähigkeit, Schauspielern, zwanghaftes Reden und Plaudern, impulsive Handlungen, manchmal auch nervöse Angewohnheiten wie Nägelkauen oder Tics. Bei manchen Kindern zeigt es sich auch in zwanghaftem Organisieren und Konkurrieren: „Ich mache schon mal einen Plan“ und „Wer schneller am Baum ist!“.

Tipp: Aktion, Bewegung, Machen – oft reicht es, wenn du als Mutter oder Vater den Raum schaffst, dass dein Kind sich hier ausleben kann. So kann sich auch ein sportliches Talent gut entwickeln. Diesen hohen Bedarf an Bewegung und Aktivität sollte man nicht verwechseln mit Hyperaktivität, da die hochsensiblen Kinder bei ihren Interessen zu fokussierter Aufmerksamkeit und Konzentration fähig sind.

Sensorisches Empfindungsvermögen von hochsensiblen Kinder

Gerüche oder Geräusche können von hochsensiblen Kindern wesentlich intensiver wahrgenommen werden. Zum Teil kommt es zu Reaktionen auf bestimmte Textilien, Pullover sind „kratzig“ auch eingenähte Schilder können als sehr störend empfunden werden. Die sensorische Sensibilität kann sich z.B. in einer Unverträglichkeit bestimmter Nahrungsmittel ausdrücken. Dann ist z.B. Milchreis oder ein Gemüse „eklig“, und es geht dem Kind wirklich schlecht beim Essen. Viele Kinder ertragen keine hohe Lautstärke, vor allem in Kita oder Schule. In manchen Schulen dürfen sich hochsensible Kinder bei der Stillarbeit oder bei Klassenarbeiten deshalb Kopfhörer aufsetzen.

Kinder mit einer sensorischer (Über)Empfindlichkeit sind auf der anderen Seite oft sehr genussfähig und zeigen häufig eine ausgeprägte Wertschätzung für schöne Objekte, Farben und Wörter. In der Kita ist es deiner Tochter immer zu laut, zu Hause hört sie aber gern Musik. Dein Kind will vielleicht Holz im Wald immer anfassen und daran riechen, will es mit allen Sinnen aufnehmen. Dann gibt es eine kuschelige Lieblingsdecke oder dein Kind schmilzt beim Lieblings-Schoko-Eis fast dahin. Solche Genuss-Momente lassen sich oft schon mit Kleinigkeiten erreichen und vielleicht kannst du dich auf dieses intensive Erleben zusammen mit deinem Kind einlassen. Im Artikel „Hilfe, ist mein Kind hochsensibel?“ finden sich viele Tipps für Eltern.

Intellektuelles Empfindungsvermögen von hochsensiblen Kindern

Eine intellektuelle Sensibilität äußert sich oft schon im Kita-Alter. Dein Kind stellt früh untersuchende und testende Fragen oder kann sich in langen Phasen von Konzentration und Ausdauer mit neuen Inhalten beschäftigen. Hier ist eine große Ähnlichkeit zur klassischen Hochbegabung zu sehen. Dazu findest du bei Elternleben viele Artikel, z.B. Tipps für Eltern hochbegabter Kinder

Intellektuelle Sensibilität zeigt sich oft in leidenschaftlichem Lesen, in detailliertem Planen und vorausschauendem, gedanklichem Verarbeiten von Handlungen oder Ereignissen. Häufig beobachtet man die Fähigkeit zu ausgedehnten intellektuellen Anstrengungen wie beispielsweise dem „Denken über das Denken“.

Diese Eigenschaften sind nicht mit denen schnelldenkender Normalbegabter zu verwechseln, denn das Denken geht bei hochbegabten oder intellektuell hochsensiblen Kindern nicht nur schneller, sondern auch tiefer. Eine hohe intellektuelle Sensibilität schließt moralische und intuitive Aspekte ein und geht somit auch über das Konstrukt von „kognitiver Intelligenz“ hinaus. Hier lohnt auch ein Blick auf die verschiedenen Formen von Intelligenz von Howard Gardner: IQ bei Kindern ist nicht alles: Begabungen sind bunt!

Imaginäres Empfindungsvermögen bei Hochsensibilität

Diese hohe Sensibilität ist eng verbunden mit Kreativität. Kinder mit hoher imaginärer Sensibilität erfinden oft Begleitpersonen oder -objekte als Gesellschaft für sich. Sie träumen komplex und sind anfällig für Alpträume. Es ist nicht gut, die Fantasie-Monster abzutun. Besser ist es, gemeinsam Fantasie-Verteidigungen zu finden. Bei ElternLeben findest du diese z.B. bei den Einschlaf-Tipps.

Manchmal haben hochsensible Kinder schnell Angst vor Unbekanntem, da für sie vieles vorstellbar ist, aber emotional noch nicht verarbeitet werden kann. Da werden z.B. Krankheiten oder der Tod sehr bildlich als Monster dargestellt. Du kannst dein Kind dazu anregen, seine Vorstellungen zu malen oder zu beschreiben. So könnt ihr euch darüber austauschen und dein Kind ist mit seinen Vorstellungen nicht allein.

Die Fantasie dieser hochsensiblen Kinder mit hohem Vorstellungsvermögen ist sehr lebendig, was unter anderem an der Fähigkeit zu detaillierter Visualisierung und an dem poetischen und dramatischen Ausdrucksvermögen zu beobachten ist.

 

Viele zeigen einen ausgeprägten Sinn für Humor und denken sich völlig unsinnige Geschichten, Figuren oder Situationen aus. Auch animistisches und magisches Denken, wie z. B. das Beleben von Objekten oder die Vermischung von Realität, Fiktion und Illusion, sind häufige Anzeichen hoher imaginärer Sensibilität. Wenn du dich darauf einlassen kannst, dann könnt ihr damit viel Spaß haben! Wenn Kinder diese Geschichten aufschreiben, dann kann das eine Art Geschichten-Tagebuch werden. Manche mögen ihre Vorstellungen auch teilen und ihr könnt später noch darauf zugreifen. Viele berühmte Autoren und Autorinnen haben so angefangen!

Emotionales Empfindungsvermögen bei hochsensiblen Kindern

Die hohe emotionale Sensibilität ist wahrscheinlich die wichtigste der fünf genannten Aspekte bei Hochsensibilität. Sie drückt sich in der Fähigkeit zu emotionaler Intensität, Sensibilität und Empathie aus. Diese Zuneigung und emotionale Bindung zu anderen zeigt sich oft auch gegenüber Tieren. Häufig erleben sich Kinder mit emotionaler Sensibilität, als wäre etwas mit ihnen nicht in Ordnung, da sie von Inhalten betroffen sind, an denen andere sich nicht stören: „Wie kann man diesen Film ansehen, ohne weinen zu müssen?“. Es hilft ihnen nicht, sie nur als zu sensibel zu bezeichnen, sondern sie brauchen Hilfe, um ihre Emotionen schätzen und nutzen zu lernen. Extrem positive und negative Gefühle sind z. B. Angst, Wut, Sorgen und Schuldgefühle, aber auch Begeisterung, Glück und Euphorie.

Kinder mit emotionaler Sensibilität identifizieren sich oft mit den Gefühlen anderer. Sie können sich mit anderen mitfreuen oder mit ihnen mitleiden. Dies äußert sich oft in tiefen Freundschaften, weil sie sich ganz auf die Gefühle von Freunden einlassen, z.B. ein Freund, der sich wirklich über meinen Erfolg mit-freut, oder eine Freundin, die meinen Schmerz wirklich mit-erlebt. Dies hängt eng zusammen mit der interpersonellen Intelligenz (nach Gardner). Auch zu ihren eigenen Gefühlen haben Kinder mit hohem emotionalen Einfühlungsvermögen einen guten Zugang: sie können ihre Gefühle oft gut beschreiben, erinnern und reflektieren. Dieser gute Blick „nach innen“ wird auch als „intrapersonelle Intelligenz“ bezeichnet.

Tipps: Hochsensible Kinder unterstützen – So geht's

  • Erkläre deinem Kind in einfachen Worten, was es heißt, hochsensibel zu sein: „Menschen merken und spüren Dinge unterschiedlich stark. Manche Menschen stört es z.B. gar nicht, wenn es laut ist, für sie hört es sich gar nicht so laut an. Andere Menschen bemerken aber Geräusche viel genauer und sind deshalb auch schnell gestresst, wenn etwas laut ist. Und es gibt Menschen, die machen sich auch viel mehr Gedanken oder Sorgen als andere. Du bist ein Mensch, der alles sehr genau merkt und spürt. Du achtest genau auf alles, bemerkst direkt, wenn sich etwas ändert. Man könnte sagen, du bist ein „Viel-Fühler“. Und deshalb machst du dir auch viele Gedanken und manchmal Sorgen. Und erschrickst dich auch schneller. Aber keine Sorge, es gibt noch viele andere Menschen, die auch solche Viel-Fühler sind wie du. Das ist nichts Schlimmes und es gibt Tipps, damit man nicht so schnell gestresst ist.“
  • Kuscheln und Massagen tun allen Kindern gut – auch Hochsensiblen. Wenn es die Massage nicht mag, schau' mal, ob etwas festere, größere Berührungen besser sind. Oder Kraulen, Streicheln oder gemeinsam auf dem Sofa schmusen…
  • Übe mit deinem Kind einfache Entspannungsübungen. Es gibt u.a. tolle Fantasiereisen für Kinder (z.B. „Fantasiereisen für Kinder“ von Sabine Kalwitzki).
  • Höre deinem Kind geduldig zu und hilf' ihm, Sorgen auszusprechen und loszulassen. Vielen Kindern hilft ein Sorgenfresser (Kuscheltier mit Reißverschluss für Zettel, auf die Sorgen notiert werden) oder eine Sorgen-Box.
  • Ermutige dein Kind, indem du ihm positive Rückmeldungen gibst: „Toll, dass du so fleißig übst!“ oder „Es ist echt mutig, wie du heute einfach allein bei Tina geblieben bist.“ oder auch immer mal wieder: „Du bist einfach etwas Besonderes! Ich liebe dich, genauso, wie du bist!“
  • Vermeide zu viele Termine! Jeden Tag Programm ist meist zu viel für hochsensible Kinder. Sie brauchen viel Zeit, in der sie einfach in ihrer vertrauten Umgebung sind.
  • Suche nach passender Betreuung. Schon normal sensible Babys und Kleinkinder sind vom Krippenalltag oft überfordert – für hochsensible ist es eine extreme Belastung mit 14 anderen Kindern in einem Raum zu sein! Besser ist es, wenn hochsensible Kinder in den ersten drei bis vier Jahren zuhause oder stundenweise von einer liebevollen Tagesmutter betreut werden. Die Eingewöhnung sollte langsam und behutsam sein. Wenn möglich, suche auch ab drei bis vier Jahren einen Kindergarten mit kleineren Gruppen, z.B. Elterninitiativen oder Integrationsgruppen. Denn Regelgruppen mit 25 Kindern bedeuten viel Gewusel und Lautstärke, was für Hochsensible sehr belastend ist. Und: Versuche, auf Ganztags-Fremdbetreuung zu verzichten. Die meisten Kinder, besonders aber hochsensible, sind nach spätestens 5-6 Stunden Kindergarten völlig erschöpft.
  • Mache keinen Druck. Hochsensible Kinder brauchen besonders viel Zeit, sich an neue Situationen zu gewöhnen. Begleite dein Kind in den ersten Tagen und ziehe dich dann schrittweise zurück.
  • Achte auf regelmäßige Ruhezeiten. Z.B. ausreichend Schlaf und Pausen am Tag, damit dein Kind Zeit hat, alle Eindrücke zu verarbeiten. Verzichte nicht zu früh auf den Mittagsschlaf. Auch wenn dein zweijähriges Kind sich weigert versuche, dich zumindest kurz mit ihm zusammen hinzulegen oder z.B. eine ruhige CD anzustellen.
  • Rücksicht nehmen. Versuche, auf die Feinfühligkeit deines Kindes Rücksicht zu nehmen – man kann hochsensible Kinder nicht „abhärten“! Zwinge es also nicht, bei Menschen zu bleiben, die es noch nicht gut kennt. Suche geduldig nach Klamotten, die es gern trägt – meist weiche Stoffe und Knöpfe statt Reißverschlüssen.
  • Rituale und klare Strukturen. Es hilft, wenn bestimmte Abläufe gleichbleiben. So erleichtert ein Abendritual (z.B. Kuscheln, über den Tag reden, Vorlesen, Gute Nacht Lied) den Abschied vom Tag. Ein bestimmter Segensspruch oder gleichbleibender Abschiedssatz mit Kuss morgens gibt Sicherheit, bevor es zur Kita oder in die Schule geht. Kündige auch an, was heute ansteht, wie viel Zeit dein Kind noch hat, z.B. vor einem Termin.

Fazit

Keine Sorge – Hochsensibilität ist keine Einschränkung, sondern eine wertvolle Gabe. Dein Kind hat ein besonders feines Gespür und nimmt mehr wahr als andere. Es ist aufmerksam, einfühlsam und kreativ – alles Stärken, die im Leben sehr hilfreich sein können. Natürlich bringt diese Sensibilität auch Herausforderungen mit sich, aber das bedeutet nicht, dass Probleme unausweichlich sind. Indem du die Besonderheiten deines Kindes verstehst und ihm dabei hilfst, gut mit seiner Sensibilität umzugehen, kannst du es bestmöglich unterstützen.