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Legasthenie erkennen und gezielt fördern: So hilfst du deinem Kind

Legasthenie bei Kindern ist eine Herausforderung, die viele Eltern betrifft – und du bist nicht allein. Wenn dein Kind Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben hat, kann das frustrierend und beängstigend sein. Doch es gibt Hoffnung! In diesem Artikel erfährst du, was Legasthenie genau ist, wie du sie erkennst und welche Unterstützung dein Kind dabei braucht, seine Fähigkeiten zu entwickeln. Wir geben dir praktische Tipps an die Hand, damit du deinem Kind helfen kannst, seine Stärken zu entdecken und seine Schwächen zu überwinden.

Lesezeit: Etwa 8 Minuten
Vater hilft Sohn bei den Hausaufgaben. Mit Frustration

Was ist eine Legasthenie / Lese-Rechtschreibstörung (LRS)?

Legasthenie, auch als Lese-Rechtschreibstörung (LRS) bekannt, betrifft das Lesen und Schreiben und wird durch eine neurologische Verarbeitungsschwäche verursacht. Dein Kind könnte Informationen anders verarbeiten, was seine Lernfähigkeit beeinträchtigen kann. Etwa 4% bis 7% der Schulkinder weltweit sind betroffen, was bedeutet, dass in einer Klasse mit 20 Kindern ca. 1-3 Schüler Schwierigkeiten haben könnten. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. Viele Eltern stellen oft überraschend fest, dass ihr Kind Probleme mit dem Lesen und Schreiben hat, obwohl es ansonsten normal intelligent ist. Es handelt sich dabei um ein Kind mit einer spezifischen Schwäche im Lesen und Schreiben, die die schulischen Leistungen und das emotionale Wohlbefinden deines Kindes beeinflussen kann.

Was sind die Ursachen einer Legasthenie?

Die Ursachen für Legasthenie liegen nicht in Umwelteinflüssen wie wenig Zeit oder zu viel Medienkonsum. Es handelt sich um eine Entwicklungsstörung, die biologische Ursachen hat und mit der Reifung des Nervensystems zusammenhängt. Studien zeigen, dass Legasthenie oft vererbt wird – bei Lesestörungen zu etwa 50% und bei Rechtschreibstörungen sogar zu 60%. Auch bestimmte Chromosomen könnten eine Rolle spielen. Viele Kinder mit Legasthenie hatten schon im Kindergartenalter Schwierigkeiten mit der Phonologischen Bewusstheit – also dem Umgang mit Lauten, Wörtern und Silben. Diese Fähigkeit hilft uns, die Struktur von Wörtern zu erkennen und zu verändern. Wenn diese Fähigkeit beeinträchtigt ist, kann das Lernen der Schriftsprache erschwert werden.

Was sind die Symptome einer Legasthenie?

Die Symptome einer Legasthenie zeigen sich oft in der Lesegeschwindigkeit, im Rechtschreiben und beim schriftlichen Ausdruck. Dein Kind könnte zum Beispiel ein Wort trotz Verbesserung im nächsten Satz wieder falsch lesen oder schreiben. Es scheint, als ob das Wort nicht erkannt oder erinnert werden kann. Im Alltag bemerkst du möglicherweise auch, dass dein Kind unaufmerksam oder unkonzentriert wirkt, besonders beim Lesen und Schreiben. Vielleicht kommt es häufig zu Frustration bei den Hausaufgaben oder sogar zu Schulangst, mit Beschwerden wie Bauch- oder Kopfweh. Wenn du solche Symptome bei deinem Kind beobachtest und den Verdacht hast, dass es Probleme mit dem Lesen und Schreiben hat, solltest du frühzeitig Hilfe suchen.

Im folgenden sind typische Symptome aufgeführt, die jedoch nicht alle gleichzeitig auftreten müssen

Lesegeschwindigkeit bei einer Legasthenie

Betroffene Kinder können kurze, häufig auftretende Einzelwörter oft sicher und flüssig lesen. Bei längeren und/oder unbekannten Wörtern und Sätzen ist die Lesegeschwindigkeit aber verlangsamt. Es kommt auch zu:

  • Startschwierigkeiten beim Lesen
  • Zögern oder Verlieren der Zeile im Text
  • Stockendem Lesen
  • Erraten von Wörtern oder ganzen Sätzen

Lesefehler – Beispiele

Es kommt zu Dehnungen, Auslassung, Ersetzen, Verdrehen oder Hinzufügen von Wörtern/Wortteilen und Buchstaben. Hier einige Beispiele:

  • Handfahr,-Randfar-weg statt Radfahrweg
  • Mitwohnung statt Mietwohnung
  • ihr statt hier
  • Mehrrindfi statt Märchenfee
  • Hühnereiei – Hünnerrei statt Hühnerei
  • Epaar statt Ehepaar

Leseverständnis bei Legasthenie

Betroffene Kinder zeigen Schwierigkeiten aus dem Gelesenen Schlüsse zu ziehen oder Zusammenhänge zu sehen. Sie können häufig inhaltliche Fragen zu einem gelesenen Text nicht beantworten. Sie haben also Probleme, den Sinngehalt des Gelesenen zu erfassen.

Schreibschwierigkeiten im Rechtschreiben / schriftlicher Ausdruck

Schreibschwierigkeiten zeigen sich in:

  • lautgetreue Fehler im Schreiben, z. B. „Ferd“ statt „Pferd“ oder „Schtul“ statt „Stuhl“
  • Verdrehungen/Spiegelung von Buchstaben im Wort, z.B.: b-d, p-q, u-n
  • Umstellung von Buchstaben im Wort, z.B.: die – dei
  • Auslassung von Buchstaben, z.B.: ach – auch, gesehen – gsen
  • Ersetzung von Buchstaben, z.B.: gelb – belb, Blume – Plume, Watte – Wadde
  • Verwechslung ähnlich aussehender Buchstaben, z.B.: a, o, und f, t und b, d
  • Fehler in der Groß- und Kleinschreibung, z.B.: Hand – hand
  • Fehler in der Buchstaben-Laut-Regel, z.B.: /Sp, St/- Schpiel, Schpinne/, /ver/- ferlaufen, /ei, ai/- Ais, /eu, äu/- Loite, /er, a/ Hefta, Wassa
  • Fehler bei der Anwendung von Rechtschreibregeln: Spinne – Spine, Wald – Walt, Wälder – Welder, Stuhl – Stul
  • Zudem kann der schriftliche Ausdruck stark eingeschränkt sein, was sich im schriftlichem (Nach-)Erzählen und freien Schreiben zeigt, z.B. Wortwiederholungen, Satzabbrüche

Wie und wo wird die Legasthenie festgestellt?

Um festzustellen, ob eine Legasthenie gemäß ICD-10 (= Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) vorliegt, sollten die Kinder von Experten untersucht werden. Hierzu zählen Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –Psychotherapie, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten oder Ärzte und Psychotherapeuten, Logopäden, pädagogische Fachkräfte mit einer entsprechenden Fortbildung. Eine Testung ist ab dem 2. Schuljahr möglich.

Zur Diagnosestellung werden mehrere Tests durchgeführt, u.a.:

  • Standardisierter Lese- und Rechtschreibtest
  • Überprüfen der phonologischen Bewusstheit
  • Intelligenzdiagnostik; bestenfalls sprachfrei
  • Untersuchung des Verhaltens (z.B. Aufmerksamkeit, Impulsivität, Emotionalität)
  • Neurologische Untersuchung einschließlich der Überprüfung der Hör- und Sehfähigkeit
  • Vorlage eines Schulberichtes bzw. Bericht über die individuelle Lernentwicklung

Was sind die Folgen einer Legasthenie?

Legasthenie kann zu großen Problemen in der Schule führen, da vieles in Textform vermittelt wird. Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben wirken sich daher auf alle Fächer aus. Dein Kind merkt schnell, dass viel Mühe nicht zu besseren Noten führt, was zu Frustration und einem schlechten Selbstwertgefühl führen kann. Es könnte denken: „Ich kann das nicht!“ Das Gefühl, „dumm“ oder „unbegabt“ zu sein, belastet die Motivation und steigert die Angst zu versagen. Diese negativen Gedanken können zu Vermeidungsverhalten und sogar zu körperlichen Beschwerden wie Bauch- oder Kopfweh führen. In einigen Fällen zeigen Kinder dann auch Verhaltensauffälligkeiten wie Konzentrationsstörungen oder Hyperaktivität.

Förderung und Therapie von Kindern mit Legasthenie

Eines vorab: durch vermehrtes Üben wird sich allein keine Verbesserung einstellen. Betroffene Kinder brauchen eine individuelle Therapie! Die Kinder können zwar nicht von Legasthenie geheilt werden, aber bei einer guten Förderung können sie sich gut weiterentwickeln und ihr Potential ausschöpfen! Eine frühe Förderung durch Fachpersonal (qualifizierte Legasthenietherapeuten) ist deshalb besonders wichtig.

Eine spezielle Förderung für LRS-Kinder in der Schule ist leider nicht selbstverständlich. Jedes Bundesland regelt den Umgang mit LRS-Kindern durch eigene Rahmenrichtlinien. LehrerInnen sind leider nicht notwendigerweise im Umgang mit Legasthenie ausgebildet. Beim Verdacht auf eine Legasthenie solltest du dich daher erkundigen, inwiefern eine schulische Förderung möglich ist und auch außerschulische Hilfe holen.

Beachte: Oft zeigen betroffene Kinder beim Lesen und Schreiben zusätzlich Verhaltensveränderungen, wie Unruhe, Unaufmerksamkeit etc. Dies ist jedoch meist ein Ausdruck der Überforderung beim Schreiben und Lesen. Sobald sie etwas anderes machen, existieren die Symptome nicht mehr. Aber es gibt auch legasthene Kinder, die zusätzlich an Hyperaktivität oder Konzentrationsstörungen leiden. Hier können dann weitere Fördermaßnahmen nötig werden, wie z.B. Ergotherapie, Verhaltenstherapie etc.

Wie Eltern im Alltag bei Legasthenie unterstützen können

Grundsätzlich können Eltern folgende Tipps beherzigen:
 

  • Besprich die Symptomatik mit der Lehrerin/dem Lehrer. So könnt ihr Maßnahmen vereinbaren, die vermeiden, dass dein Kind ständig Misserfolge (z.B. beim lauten Vorlesen in der Klasse) erlebt.
     
  • Unterstütze in Zusammenarbeit mit der behandelnden Therapeutin und Lehrerin/Lehrer den Übungsplan. Einige dich mit der Lehrkraft auf sinnvolle Hausaufgaben, die dein Kind nicht überfordern.
     
  • Erfrage, ob die Möglichkeit für einen Nachteilsausgleich besteht. Unter „Nachteilsausgleich“ versteht man besondere Maßnahmen, mit denen man die Benachteiligung des Kindes durch seine Störung ausgleichen möchte. Hierzu zählen beispielsweise längere Bearbeitungszeiten, mündliche statt schriftliche Tests, das Nichteinbeziehen der Rechtschreibung in die Note, Nutzung von Tablet etc.
     
  • Weniger ist mehr! Unterstützungsmaßnahmen sollten dein Kind nicht zusätzlich belasten. Vermeide also stundenlanges Üben, fokussiere stattdessen auf kurze und regelmäßige Übungszeiten. Dein Kind braucht auch Zeit zum Spielen, für Freunde oder einfach zum Entspannen.
     
  • Fördere die Stärken deines Kindes: Kinder, die ihre Stärken kennen, können besser mit ihren Schwächen umgehen. Das hilft, schulische Herausforderungen besser zu meistern. Gebe deinem Kind Möglichkeiten, seine Stärken zu entdecken und auszubauen; z.B. in Sport, Musik Hobbys.
     
  • Schaffe zu Hause eine positive Lernumgebung durch Geduld, Zeit, eine ruhige konzentrierte Umgebung und anregende Lernsituationen. Zeige deinem Kind, dass du hinter ihm stehst und es annimmst - mit all seinen Stärken und Schwächen. Bringe immer wieder Verständnis für seine Schwierigkeiten auf.
     
  • Lese deinem Kind weiterhin vor. Dabei sollte es die Bücher nach seinen Interessen aussuchen dürfen. Sprich im Rahmen des Vorlesens mit deinem Kind über die Geschichte. Stelle Verständnisfragen und verknüpfe das Gelesene mit seiner Lebenswirklichkeit. So unterstützt du seinen Wortschatz und sprachlichen Ausdruck.
     
  • Vermittle die Bedeutung der Schriftsprache im Alltag: Überall gibt es Geschriebenes – im Supermarkt, auf Werbeflächen, in öffentlichen Verkehrsmitteln usw. Kinder können selbst Buchstaben und Wörter entdecken. Wenn du einen Einkaufszettel schreibst, kannst du dein Kind daran beteiligen. Auch kleine geschriebene Merkzettel, Geburtstagsgrüße, Grüße aus dem Urlaub zeigen wie schön es ist, wenn Sprache zu Schrift wird.
     
  • Nutze Sprachspiele und Reime. Alte Kinderspiele wie „Mein rechter, rechter Platz ist leer...“ oder „Ich sehe was, dass du nicht siehst...“ können umgewandelt werden. Der gesuchte Gegenstand bzw. der zu besetzende Platz fängt dann beispielsweise mit „M“ an oder hat zwei Silben, reimt sich mit … oder endet auf „L“.

Fazit

Legasthenie ist eine Form der Neurodiversität, die mit der richtigen Unterstützung gut gemeistert werden kann. Als Eltern kannst du entscheidend dazu beitragen, dass dein Kind seine besonderen Fähigkeiten erkennt und entfaltet. Indem du frühzeitig auf die Symptome achtest und gezielte Fördermaßnahmen ergreifst, hilfst du deinem Kind, Selbstvertrauen zu entwickeln und seine Stärken zu nutzen. Jedes Kind ist einzigartig, und durch Geduld, Verständnis und passende Hilfsmittel kann dein Kind die Herausforderung der Legasthenie erfolgreich meistern und in seiner Neurodiversität aufblühen.