Die Diagnose ADHS bei Kindern bringt oft gemischte Gefühle mit sich. Einerseits ist es erleichternd, endlich eine Erklärung für die besonderen Verhaltensweisen deines Kindes zu haben. Andererseits kann es beunruhigend sein, zu wissen, dass diese Herausforderungen langfristig bestehen bleiben. Ob beim Lernen, im Umgang mit Gefühlen oder bei alltäglichen Aufgaben wie Ordnung und Zeitmanagement – der Umgang mit ADHS Kindern erfordert Geduld und neue Ansätze. In diesem Artikel erfährst du praktische Tipps, wie du dein Kind im Alltag unterstützen und ihm helfen kannst, sein volles Potenzial zu entfalten.
ADHS bringt nicht nur Herausforderungen mit sich, sondern auch einzigartige Chancen. Kinder mit ADHS denken oft anders und haben ein enormes Potenzial für Kreativität und besondere Begabungen. Dieses Potenzial zu erkennen und zu fördern, kann deinem Kind helfen, seine individuellen Stärken zu entfalten und selbstbewusster mit den Schwierigkeiten umzugehen.
Erkläre deinem Kind dabei ruhig immer wieder, dass ADHS nicht nur eine Herausforderung ist, sondern auch eine Stärke sein kann. So lernt dein Kind, seine Diagnose auch positiv zu sehen und daran zu wachsen.
Du könntest es so ausdrücken:
Kindern mit ADHS fällt es schwerer als anderen Kindern, sich zu fokussieren. Sie lassen sich schnell ablenken und es kostet sie besondere Kraft, ausdauernd an Aufgaben zu arbeiten, die ihnen keine Freude bereiten. Ihr Gehirn reagiert sprunghafter und achtet eher auf kurzfristige Erfüllung ihres Bedürfnisses (z. B. “jetzt Spaß haben” vs. “später eine gute Note schreiben”) und damit leben sie sehr im “Hier und Jetzt”. Das ist durchaus eine Stärke! Doch für die Organisation von Schulaufgaben und die Einhaltung von Terminen stellt diese Eigenschaft oft eine Hürde dar. Daher brauchen ADHS Kinder Hilfe durch klare Strukturen. So können Eltern unterstützen:
Feste Abläufe klar besprechen – Hier drei Beispiele:
Visualisierung der Abläufe:
ADHS-Kinder fällt es schwer, an alles zu denken. Es hilft ihnen, wenn sie zum Beispiel an ihrer Zimmertür einen kleinen Ablaufplan oder eine Checkliste für Abläufe wie Morgenroutine und Abendritual haben. Gerade bei jüngeren Kindern ist die Verdeutlichung mit Bildern nützlich - Eltern und Kinder dürfen das gern gemeinsam gestalten, das erhöht die Motivation zur Umsetzung.
An diese Abläufe kannst du dein Kind dann auch immer wieder liebevoll erinnern: „Mir ist wichtig, dass wir pünktlich sind. XY wartet sonst auf uns. Komm wir beeilen uns. Was passiert auf dem Poster als Nächstes?“
Eng verbunden mit Strukturen sind Regeln und Vereinbarungen. ADHS bedeutet auch eine Tendenz, impulsiv zu reagieren und vieles ausprobieren zu wollen. Das kann in manchen Lebensbereichen durchaus förderlich sein. In anderen ist es wichtig, dass Vereinbarungen verinnerlicht und eingehalten werden.
ADHS Kindern fällt das leichter, wenn die Absprachen sehr klar und prägnant sind. Oft ist es nötig, diese wiederholt zu besprechen und auch schriftlich bzw. bildlich darzustellen. So können gemeinsam kleine Poster mit Regeln gestaltet werden. Diese können bei Bedarf in gewissen Abständen neu verhandelt und angepasst werden.
Vereinbarungen können zum Beispiel sein:
Anweisungen sollten kurz, klar und freundlich sowie positiv formuliert werden. Aussagen wie “Jetzt pack doch endlich deine Schultasche!”, stoßen mit ihrer eher auf Ablehnung. Besser ist zum Beispiel: „Marie, pack jetzt gerne noch deine Schultasche!“
ADHS Kinder neigen auch sehr dazu, in ihrer eigenen Welt zu versinken und bekommen dann Aufforderungen oft nur zum Teil mit. Dann kann es helfen, das Kind einmal kurz zu berühren (z. B. an der Schulter), Blickkontakt aufzunehmen und freundlich zu fragen: „Hey, hörst du mich? Jetzt ist Zeit, die Schultasche zu packen.“
ADHS Kinder werden häufig von ihren Gefühlen übermannt. Die sogenannte Impulskontrolle („erst denken, dann handeln“) ist schwächer ausgeprägt und braucht mehr elterliche Unterstützung oder auch Co-Regulation genannt.
Das bedeutet:
Das Gehirn von ADHS Kindern läuft meistens auf Hochtouren. Sie denken viel, kreativ und schnell und sind größtenteils sehr aktiv. Das kann eine Stärke sein – doch wenn Phasen der Erholung zu kurz kommen, entstehen Schwierigkeiten. Dann fällt es schwer, mit Frust umzugehen und sich selbst zu strukturieren. Da genau dieser Ausgleich zwischen Aktivität und Erholung viel mit Selbstorganisation zu tun hat (die ADHS Kindern meist schwer fällt), sollten Eltern unterstützend eingreifen.
Achte deshalb darauf, dass dein Kind keinen übermäßig vollen Tages- und Wochenablauf hat. Sorge dafür, dass es auch immer wieder ruhige Nachmittage oder Wochenenden gibt, an denen dein Kind mal ganz ohne Termindruck frei spielen und gestalten kann.
Hilfreich sind auch Rituale und Techniken, die sowohl an stressigen Tagen als auch abends vor dem Einschlafen helfen, sich zu entspannen, z. B.:
Sport tut gut – ganz besonders ADHS Kindern. Wenn wir uns bewegen, können wir überschüssige Stresshormone, Anspannung und Überreizung loswerden und fühlen uns hinterher entspannter, ruhiger und fokussierter.
Daher suche mit deinem Kind nach Sportarten, die ihm Spaß machen. Sei geduldig – viele Kinder brauchen Zeit zum Ausprobieren, bis sie etwas Passendes finden. Und es ist auch normal, dass manchmal nach der ersten Begeisterung deutlich wird „Das ist doch nichts für mich.“ Oder, dass eine Sportart eine Weile Spaß macht und dann nicht mehr gefällt. Bleibe locker – auch wir Erwachsenen sind schließlich nicht immer stabil in unseren Hobbys. Besprich mit deinem Kind, wie lange es eine Sportart ausprobiert, z. B. 3-5 Termine, bis es beurteilen kann, ob das Angebot passt oder nicht.
Baue Bewegung auch gerne in den Alltag ein, z. B. durch gemeinsame Spaziergänge, Ausflüge zu Spielplätzen oder Parks, Schwimmbadbesuche, Tanz- und Workout-Sessions im Wohnzimmer o.ä. Auch kleine Sportgeräte wie Wackelbretter und sensomotorische Drehsitze regen zur Bewegung im Alltag an.
Mehr Tipps erhältst du in unserem Artikel Ernährung und Bewegung: Wie ein gesunder Lebensstil gegen Stress hilft.
Die meisten ADHS Kinder lieben Medien. Spiele und Videos kommen ihrem Reizhunger entgegen - das macht Spaß, fördert jedoch im Übermaß genau das, was wir vermeiden wollen: Überreizung, Anspannung und Unruhe. Bedauerlicherweise werden durch digitale Medien Hormone (z. B. Dopamin, Serotonin usw.) ausgeschüttet, die dem Kind für kurze Zeit angenehme Gefühle machen. Gerade ADHS Kinder haben in der Gesellschaft weniger Erfolgserlebnisse, die sie dann in der virtuellen Welt finden. Das kann sehr gefährlich sein, denn digitale Medien können süchtig machen.
Begrenze deshalb die Zeit, die dein Kind vor dem Bildschirmen verbringt und vermeidet Computerspiele mit hohem Suchtpotential. Sprich transparent und wertschätzend darüber, z. B. so: „Ich weiß, dass du total viel Spaß mit der Konsole hast. Das freut mich! Und du sollst den Spaß auch genießen. Wir brauchen eine Lösung, dass dir andere Sachen auch Spaß machen. Denn wenn man das zu viele Stunden am Tag spielt, ist das Gehirn total gestresst. Dann wird man unruhig, genervt und kann sich kaum noch konzentrieren. Und für den Körper ist das viele Sitzen auch ungesund. Da ich dich so liebe und du mir so wichtig bist, brauchen wir Vereinbarungen, die dich schützen.“
Die Website „Schau hin“ empfiehlt als Faustregel etwa 10 Minuten pro Lebensjahr des Kindes. Daran kann man sich ab einem Alter von etwa drei bis 13 Jahren orientieren. Bei Jugendlichen ab ca. 14 Jahren gilt es, etwas mehr Freiraum zu geben und gleichzeitig darauf zu achten, dass andere Aktivitäten nicht zu kurz kommen. Das ist ohnehin ein gutes Kriterium für Eltern: Es geht nicht um strenge Zeitvorgaben, sondern vielmehr darum, dass andere wichtige Unternehmungen wie Verabredungen mit Freunden, Zeit an der frischen Luft, Sport, etc. nicht zu kurz kommen.
Dementsprechend kann es ein guter Ansatz sein, medienfreie Zeiten zu definieren. Das können bestimmte Situationen sein, zum Beispiel „Kein Handy beim Essen“ oder „Kein Handy nach 19 Uhr“ oder auch Zeitfenster, die mit älteren Kindern und Jugendlichen besprochen werden, z. B. „keine Medien vor der Schule, ab 20 Uhr und mindestens anderthalb medienfreie Stunden am Nachmittag.“ Mehr Tipps findest du in unserem Artikel Digital Detox für Kinder: Tipps für gesunde Medienpausen.
ADHS Kinder haben oft einen starken Willen und viel Energie. Wenn sie „von oben herab“ begrenzt werden, wird damit oft Ablehnung und Widerstand provoziert. Das Geheimnis liegt in einer wertschätzenden, klaren Kommunikation auf Augenhöhe.
Eine solche Art der Kommunikation ist:
Ein Beispiel für eine liebevolle Aufforderung, das Zimmer aufzuräumen: „Hey, Paul, hör mal bitte zu. Ich finde es schön, dass du so viel Spaß mit dem neuen Computerspiel hast. Das ist echt super! Du darfst auch nachher noch eine halbe Stunde weiterspielen. Jetzt habe ich dir schon vor zwanzig Minuten gesagt, dass du aufräumen sollst. Bitte unterbrich das Spiel sobald es geht, allerdings spätestens in 5 Minuten. Wenn du dann aufgeräumt hast, gehen wir raus und danach darfst du nochmal weitermachen. Verstanden?“
Möchtest du mehr erfahren? Dann lies gern unseren Artikel Die wichtigsten Grundregelen für Gespräche mit Kindern.
ADHS Kinder können immer mal wieder das Gefühl haben, durch ihre Besonderheiten im Nachteil zu sein. Umso wichtiger sind Hobbies und Interessen, an denen sie Spaß haben, Gemeinschaft erleben und Erfolgserlebnisse haben. Das können Musikinstrumente sein, Singen im Chor, Kunst, Tier- oder Umweltschutz, Jugendfeuerwehr, Pfadfinder, Sport, Spiele wie Brettspiele (z. B. Schach), Pen&Paper-Rollenspiele, Sudoku o.ä. Achte darauf, was dein Kind gerade interessiert und schau mit ihm gemeinsam, welche entsprechenden Angebote es in der Nähe gibt. Manchmal bieten auch Jugendzentren oder Mehr-Generationen-Häuser spannende Aktivitäten.
ADHS Kinder können lernen, mit den besonderen Arbeitsweisen ihres Gehirns umzugehen. Dazu sind Eltern die besten und wichtigsten Vorbilder. Lebe deinem Kind vor, wie du dich selbst beruhigst und strukturierst:
Kommuniziere offen mit dem Kita-Team, welche besonderen Bedürfnisse du bei deinem Kind siehst, z. B. wiederkehrende Rituale (wo und wie wird das Kind begrüßt, wie läuft der Abschied von den Eltern?). Auch Möglichkeiten zum Rückzug, wenn deinem Kind mal alles zu viel wird, können besprochen werden.
Vielleicht können heikle Situationen, in denen dein Kind ungeduldig wird, entschärft werden, indem es gewisse Möglichkeiten bekommt, sich zu bewegen oder, indem die Zeit etwas verkürzt wird.
Nutze Elterngespräche, um dich mit dem Team auszutauschen und gewisse Regeln zwischen Familie und Kita abzustimmen.
Der Schulalltag ist für ADHS Kinder herausfordernd, denn es wird viel Konzentration verlangt – und das bei wenig Bewegung und vielen Reizen, die ablenken können.
Eine gute Sitzposition (meist vorne, nicht direkt neben anderen eher unruhigen Kindern) macht einen entscheidenden Unterschied. Kleine Helferchen wie Wutbälle oder Fingerspielzeuge können dazu beitragen, Anspannung abzubauen.
Checklisten oder farbige Markierungen auf den Heften sowie Ablegesysteme zuhause sind hilfreich, um den Überblick zu behalten.
Wenn du noch unsicher bist, ob dein Kind von ADHS betroffen sein könnte, findest du hilfreiche Informationen in unserem weiterführenden Artikel Hat mein Kind ADHS?.
ADHS macht den Familienalltag häufig herausfordernder, gleichzeitig auch bunter und lebendiger. Der Umgang mit ADHS bei Kindern erfordert zwar Geduld und Flexibilität, doch mit ein wenig Struktur und Know-how lassen sich viele Fallstricke gut bewältigen. Doch es ist auch normal, dass wir Eltern immer mal wieder an unsere Grenzen kommen. Es ist ein Merkmal verantwortungsvoller Eltern, sich professionell beraten zu lassen – zum Beispiel in der Kinderarztpraxis, bei einer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in oder einer Erziehungsberatungsstelle.