Format: Artikel – Schreibfeder auf dem Tisch
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Eifersucht unter Geschwistern

Autorin - Dr. Martina Stotz

„Können wir das Baby wieder zurückgeben?“ Diese oder ähnliche Aussagen von älteren Geschwistern nehmen sich viele Eltern sehr zu Herzen. Sie wünschen sich nichts mehr, als dass ihr Kind sein Geschwisterchen liebt und annimmt, wie sie selbst. Diese Erwartung wird jedoch in zahlreichen Fällen nicht erfüllt. Auch wenn ältere Kinder ihr Geschwisterchen gerne mögen, sehen sie in ihm gleichzeitig eine Konkurrenz. Warum das so ist und was du in dieser Situation tun kannst, erfährst du in diesem Artikel.

Lesezeit: Etwa 7 Minuten
Geschwister auf Bank. Größeres Kind küsst Baby.

Das erstgeborene Kind

Die Beziehung zum Erstgeborenen ist etwas ganz Besonderes. Eltern spüren dabei bedingungslose Liebe, wie nie zuvor in ihrem Leben. Gleichzeitig schenken sie ihrem Kind viel Zeit und Aufmerksamkeit und wachsen mit den neuen Herausforderungen in ihre Rolle hinein.

Sobald ein kleines Geschwisterchen geboren wird, ist die Situation deswegen nicht nur für das Erstgeborene ganz ungewohnt und neu. Je nach Temperament und Entwicklungsphase können sich Kinder schneller oder langsamer an diese Situation gewöhnen.

In vielen Fällen freuen sich Erstgeborene zunächst über ihr Geschwisterchen und kümmern sich fürsorglich um das Baby. Bedrohlich erscheint das neue Familienmitglied allerdings ganz besonders ab dem Zeitpunkt, wenn es mobil wird und mehr und mehr Zeit und Raum in der Familie für sich beansprucht. Dem älteren Kind wird dadurch zunehmend bewusst, dass es die elterliche Aufmerksamkeit und Zuwendung teilen muss. Ganz natürlich ist es deshalb, dass durch den Neuzukömmling Verlustängste ausgelöst werden können. Die Furcht davor die Zuwendung der Eltern zu verlieren, äußerst sich dann instinktiv in Eifersucht und Neid gegenüber dem Geschwisterkind. Diese Gefühle sind natürlich und zeigen nur, dass Kinder ihre Eltern in dieser Situation ganz besonders brauchen.

Es lohnt sich deshalb, bewusst mit der Geburt eines zweiten Kindes umzugehen.

Auf die neue Situation vorbereiten

Dein Erstes kann sich besser an die neue Situation gewöhnen, wenn es bereits eine grobe Vorstellung davon hat, was ein Baby braucht.

  • Schau mit ihm gemeinsam Babyfotos an und erzähle, dass auch es selbst gewickelt, getragen, gestillt und liebevoll umsorgt wurde.
     
  • Spiele mit deinem Kind und einer Babypuppe zukünftige Situationen nach. Sprich dabei darüber, dass das Baby nichts allein kann und viel Hilfe braucht, um ein realistisches Bild der neuen Situation aufzuzeigen.
     
  • Schaue Bilderbücher zu Geschwistern an und erzähle viele Geschichten zu der Situation, die auf dein Kind zukommt (Krankenhausaufenthalt, Besuch im Krankenhaus, Betreuung des Babys etc.)
     
  • Beziehe die Betreuungsperson (Oma, Kindermädchen) während deines Krankenhausaufenthaltes bereits schon vorher in viele Aktivitäten mit ein und achte darauf, dass dein Kind auch mal alleine, sowie über Nacht bei ihr ist. So kann bereits eine Bindung aufgebaut werden und es fühlt sich zum Zeitpunkt der Geburt wohl und nicht abgeschoben.

Dem Erstgeborenen das Gefühl geben, wichtig zu sein

Gib deinem ersten Kind das Gefühl, dass es ganz wichtig für die Familie ist und du sehr froh bist, seine Hilfe zu haben. Dein älteres Kind fühlt sich angenommen, geliebt und gesehen, wenn es verantwortungsvolle Aufgaben für das Baby übernehmen darf. Somit stärkst du sein Selbstwertgefühl und ermöglichst ihm, sich in seiner neuen Rolle als Ältestes stark und gebraucht zu fühlen.

  • Beziehe es beim Kauf von Babysachen mit ein und frage bei Vorbereitungen für das Geschwisterchen um seine Meinung und Hilfe (je nach Alter).
     
  • Lass dein Kind selbst entscheiden, welches Eigentum es eventuell mit dem Baby teilen möchte bzw. was es dem Baby von seinen Besitztümern geben möchte.
     
  • Frag dein Kind auch, wenn das Baby da ist, um Hilfe und signalisiere, dass du sehr froh bist, seine Unterstützung zu haben. „Das kann keiner hier so gut, wie du! Ich bin so froh, dass du mir hilfst!“
     
  • Signalisiere, dass das Baby sein älteres Geschwisterchen braucht. „Oh, schau mal, wie es sich freut, weil du mit ihm spielst!“ oder „Zum Glück hat das Baby dich als große Schwester/Bruder, sonst wäre ihm bestimmt langweilig!“

Was tun, wenn Kinder grob werden?

Vielen Eltern reißt der Geduldsfaden verständlicherweise spätestens dann, wenn das ältere Kind grob mit dem Baby oder dem noch hilflosen Kleinkind umgeht. Da das Geschwisterchen in nächster Nähe und ungefährlich ist, lassen Erstgeborene ihre unbefriedigten Bedürfnisse häufig an ihren Geschwistern aus. Wenn sie sich so verhalten, haben sie noch keine andere Strategie und brauchen deine Hilfe, diese durch deine Anleitung zu lernen.

Das kannst du tun:

  • Unterbrich das grobe Verhalten sofort sanft und gleichzeitig bestimmt
  • Zeige Verständnis für das Gefühl (nicht für das Verhalten!)
  • Zeige altersgerechte Alternativen durch Erklären (bei größeren Kindern) oder direktes Zeigen (bei größeren und kleineren Kindern) auf.

Beispiele:

„Du möchtest mit dem Baby spielen, oder? Schau, so kannst du das machen. Dieses Spielzeug kann es schon halten oder du kannst es so streicheln. Ich zeige dir wie.“

„Du hast gerade deiner Schwester auf den Kopf geschlagen. Bist du wütend auf das Baby, weil du mit mir spielen möchtest? Das ist in Ordnung. Du kannst ins Kissen schlagen, wenn du wütend bist und mir SAGEN, dass du spielen willst.“
 

Rivalität unter Geschwisteren akzeptieren

Alle Kinder haben DAS RECHT DARAUF, RIVALITÄT ZU SPÜREN. Dieses Gefühl ist in Geschwisterbeziehungen und auch anderen menschlichen Beziehungen völlig natürlich. Kinder brauchen für ihre gesunde emotionale Entwicklung allerdings die Bestätigung ihrer Eltern, dass alle negativen Gefühle in Ordnung sind. Umgekehrt fühlen sich Kinder schuldig, ungeliebt und abgelehnt, wenn sie bspw. für ihre Eifersucht gemaßregelt werden.

Sätze wie:
„Das ist doch dein Bruder. Den musst du doch liebhaben!“

oder

„Sei doch nicht schon wieder so eifersüchtig! Du kommst schon nicht zu kurz!“

wirken sich deshalb sehr negativ auf das Selbstwertgefühl aus. Kinder lernen nämlich darüber, dass ihre Gefühle und damit sie selbst nicht ok sind. Sie bekommen das Gefühl, dass Mama oder Papa sie nicht mehr liebt, was die Eifersucht nur noch verstärkt.

So kannst du konkret reagieren, wenn deine Kinder Neid und Eifersucht zeigen

  • „Ich kann gut verstehen, dass du Mama und Papa lieber ganz für dich allein hättest. Du bist deswegen richtig wütend, stimmt’s? Das Gefühl ist ok. Ich bin auch manchmal eifersüchtig auf andere.“
  • „Gerade bist du ganz traurig, dass ich dich nicht auch auf den Arm nehmen kann. Das kann ich so gut verstehen. Gleichzeitig kann das Baby noch nicht laufen. Was hältst du davon, wenn ich dich trage, sobald Papa zu Hause ist?“
  • „Heute warst du den ganzen Tag so geduldig, als ich mich um das Baby gekümmert habe. Ich bin sehr froh, dass ich jetzt endlich mal Zeit für dich ganz alleine habe und wir kuscheln können."
  • „Gerade wünscht du dir, dass das Baby nicht da ist. Du hättest gerne nur Zeit mit mir alleine, stimmts? Das verstehe ich gut. Das ist manchmal wirklich anstrengend für dich.“
  • Auf die Frage: „Wen magst du lieber Mama?“ kannst  du antworten: „Ich liebe euch beide über alles. Du warst zuerst da, deswegen liebe ich dich schon etwas länger über alles.“

Zusammengefasst

Aus meiner Beratungstätigkeit weiß ich, dass viele Mamas und Papas die Rivalität unter Geschwistern als große Belastung empfinden. Das hängt auch damit zusammen, dass viele Eltern in ihrer eigenen Kindheit kein Verständnis für diese Gefühle bekommen haben.

Durch den oben beschriebenen Umgang mit diesen Gefühlen, gibst du deinen Kindern die Chance, mit Rivalität umgehen zu lernen. Das Schönste an Geschwistern ist nämlich, dass sie die gesamte Bandbreite von Gefühlen auslösen. Wenn sie dann durch ihre Eltern lernen dürfen, liebevoll mit diesen Emotionen umzugehen (wie oben beschrieben), ist das für die Persönlichkeitsentwicklung ein großes Geschenk.