„Können wir das Baby wieder zurückgeben?“ Diese oder ähnliche Aussagen von älteren Geschwistern nehmen sich viele Eltern sehr zu Herzen. Sie wünschen sich nichts mehr, als dass ihr Kind sein Geschwisterchen liebt und annimmt, wie sie selbst. Diese Erwartung wird jedoch in zahlreichen Fällen nicht erfüllt. Auch wenn ältere Kinder ihr Geschwisterchen gerne mögen, sehen sie in ihm gleichzeitig eine Konkurrenz. Warum das so ist und was du in dieser Situation tun kannst, erfährst du in diesem Artikel.
Die Beziehung zum Erstgeborenen ist etwas ganz Besonderes. Eltern spüren dabei bedingungslose Liebe, wie nie zuvor in ihrem Leben. Gleichzeitig schenken sie ihrem Kind viel Zeit und Aufmerksamkeit und wachsen mit den neuen Herausforderungen in ihre Rolle hinein.
Sobald ein kleines Geschwisterchen geboren wird, ist die Situation deswegen nicht nur für das Erstgeborene ganz ungewohnt und neu. Je nach Temperament und Entwicklungsphase können sich Kinder schneller oder langsamer an diese Situation gewöhnen.
In vielen Fällen freuen sich Erstgeborene zunächst über ihr Geschwisterchen und kümmern sich fürsorglich um das Baby. Bedrohlich erscheint das neue Familienmitglied allerdings ganz besonders ab dem Zeitpunkt, wenn es mobil wird und mehr und mehr Zeit und Raum in der Familie für sich beansprucht. Dem älteren Kind wird dadurch zunehmend bewusst, dass es die elterliche Aufmerksamkeit und Zuwendung teilen muss. Ganz natürlich ist es deshalb, dass durch den Neuzukömmling Verlustängste ausgelöst werden können. Die Furcht davor die Zuwendung der Eltern zu verlieren, äußerst sich dann instinktiv in Eifersucht und Neid gegenüber dem Geschwisterkind. Diese Gefühle sind natürlich und zeigen nur, dass Kinder ihre Eltern in dieser Situation ganz besonders brauchen.
Es lohnt sich deshalb, bewusst mit der Geburt eines zweiten Kindes umzugehen.
Dein Erstes kann sich besser an die neue Situation gewöhnen, wenn es bereits eine grobe Vorstellung davon hat, was ein Baby braucht.
Gib deinem ersten Kind das Gefühl, dass es ganz wichtig für die Familie ist und du sehr froh bist, seine Hilfe zu haben. Dein älteres Kind fühlt sich angenommen, geliebt und gesehen, wenn es verantwortungsvolle Aufgaben für das Baby übernehmen darf. Somit stärkst du sein Selbstwertgefühl und ermöglichst ihm, sich in seiner neuen Rolle als Ältestes stark und gebraucht zu fühlen.
Vielen Eltern reißt der Geduldsfaden verständlicherweise spätestens dann, wenn das ältere Kind grob mit dem Baby oder dem noch hilflosen Kleinkind umgeht. Da das Geschwisterchen in nächster Nähe und ungefährlich ist, lassen Erstgeborene ihre unbefriedigten Bedürfnisse häufig an ihren Geschwistern aus. Wenn sie sich so verhalten, haben sie noch keine andere Strategie und brauchen deine Hilfe, diese durch deine Anleitung zu lernen.
Das kannst du tun:
Beispiele:
„Du möchtest mit dem Baby spielen, oder? Schau, so kannst du das machen. Dieses Spielzeug kann es schon halten oder du kannst es so streicheln. Ich zeige dir wie.“
„Du hast gerade deiner Schwester auf den Kopf geschlagen. Bist du wütend auf das Baby, weil du mit mir spielen möchtest? Das ist in Ordnung. Du kannst ins Kissen schlagen, wenn du wütend bist und mir SAGEN, dass du spielen willst.“
Alle Kinder haben DAS RECHT DARAUF, RIVALITÄT ZU SPÜREN. Dieses Gefühl ist in Geschwisterbeziehungen und auch anderen menschlichen Beziehungen völlig natürlich. Kinder brauchen für ihre gesunde emotionale Entwicklung allerdings die Bestätigung ihrer Eltern, dass alle negativen Gefühle in Ordnung sind. Umgekehrt fühlen sich Kinder schuldig, ungeliebt und abgelehnt, wenn sie bspw. für ihre Eifersucht gemaßregelt werden.
Sätze wie:
„Das ist doch dein Bruder. Den musst du doch liebhaben!“
oder
„Sei doch nicht schon wieder so eifersüchtig! Du kommst schon nicht zu kurz!“
wirken sich deshalb sehr negativ auf das Selbstwertgefühl aus. Kinder lernen nämlich darüber, dass ihre Gefühle und damit sie selbst nicht ok sind. Sie bekommen das Gefühl, dass Mama oder Papa sie nicht mehr liebt, was die Eifersucht nur noch verstärkt.
Aus meiner Beratungstätigkeit weiß ich, dass viele Mamas und Papas die Rivalität unter Geschwistern als große Belastung empfinden. Das hängt auch damit zusammen, dass viele Eltern in ihrer eigenen Kindheit kein Verständnis für diese Gefühle bekommen haben.
Durch den oben beschriebenen Umgang mit diesen Gefühlen, gibst du deinen Kindern die Chance, mit Rivalität umgehen zu lernen. Das Schönste an Geschwistern ist nämlich, dass sie die gesamte Bandbreite von Gefühlen auslösen. Wenn sie dann durch ihre Eltern lernen dürfen, liebevoll mit diesen Emotionen umzugehen (wie oben beschrieben), ist das für die Persönlichkeitsentwicklung ein großes Geschenk.