Unsere ElternLeben-Autorin Andrea Zschocher beschreibt einen Konflikt, den du selbst bestimmt auch kennst, wenn du Mutter von zwei (Klein)kindern bist, und sie gibt Anregungen, wie du lernst, mit dieser manchmal fast unlösbaren Situation zurechtzukommen:
„Mama, schau mal, was ich gemacht habe! Schau doch mal, Mama. Schau!“ kommt es aus der einen Ecke. „Maaaammmmm, Maaaammmm!“ ruft mich mein Sohn aus der anderen. Ich sitze im Wohnzimmer auf der Couch und will eigentlich nicht schauen, sondern einfach mal durchatmen. Nachmittage mit zwei kleinen Kindern können so anstrengend sein.
Situationen wie diese passieren gefühlt 100 Mal am Tag. Meine Dreijährige geht schon in den Kindergarten, mein einjähriger Sohn ist noch bei mir zuhause. Wenn nachmittags beide vereint sind, dann wollen sie ganz viel Zeit miteinander verbringen. Lieder singen, Bücher lesen, Äpfel naschen. Und mit mir kuscheln. Das aber bitte allein. Denn so sehr wie die Beiden sich lieben, die Aufmerksamkeit ihrer Eltern zu teilen, das schmeckt den Kleinen nicht immer. Und so wie sie lernen müssen, dass ich mich nicht teilen kann, dass eben jeder eine Hälfte Mama bekuscheln kann, so muss auch ich lernen: Ich kann beiden Kindern nicht permanent gerecht werden.
Diese Einsicht ist hart. Aber es ist die Wahrheit, egal wie sehr ich es versuche, ein Kind muss manchmal zurückstecken, wird ein anderes Mal bevorzugt.
Als ich mit meinem Sohn schwanger war und eine Freundin, die drei Kinder hat befragte, sagte die zu mir: „Andrea, du wirst in den Augen deiner Kinder nie gerecht sein. Eins wird sich zurückgesetzt fühlen. Und du wirst immer Abwägungsentscheidungen treffen müssen: Gehe ich jetzt zu dem Kind, was auf der Toilette sitzt und nach mir ruft, oder bleibe ich sicherheitshalber eben doch lieber bei demjenigen, der gerade in der Badewanne badet.“
Damals, voll mit Schwangerschaftshormonen und voller Liebe für meine Tochter dachte ich: Quatsch. Bei mir wird das anders. Ich werde mich nicht zerteilen, wir lieben uns einfach alle. Und ja, die Liebe ist da und sie trägt die Kinder und mich.
Aber nach über einem Jahr mit zwei kleinen Kinder sehe ich das natürlich etwas anders. Denn es gibt so oft Situationen, in denen ich entscheiden muss: Wer ist jetzt gerade wichtiger?
Wir Eltern müssen uns manchmal zerreißen. Müssen blitzschnell Entscheidungen treffen, welches der Kinder nun gerade in der Sekunde wichtiger ist. Bei oben beschriebener Szene auf der Couch wählte ich den Kompromiss, nahm meinen Sohn auf den Arm und lief zur großen Schwester, die mir ihr 28. selbstgemaltes Bild zeigen wollte. Das sind Kompromisse, mit denen am Ende alle leben können, bei denen meine Kinder sich nicht zurückgesetzt fühlen.
Klar, ich bin weder für meine Tochter noch für meinen Sohn allein verfügbar, es ist immer noch ein Geschwisterkind dabei. Aber in meinen Augen sind Geschwister auch ein großes Glück und ein Geschenk füreinander.
So lernen sie Kompromisse eingehen, aufeinander Acht zu geben und eben auch: manchmal muss ich warten. Zurückstecken. Das ist doof, bringt sie im Leben aber weiter.
Es gibt aber auch Situationen, in denen ich mich ganz klar für ein Kind, meist das Jüngere, entscheiden muss. Wenn mein Sohn allein in der Küche am Herd spielt, etwas, das ich natürlich 50 Mal besprochen habe, das er aber auch ein 51. Mal überprüfen muss. Oder wenn mein Kleiner in der Badewanne sitzt und seine Schwester unbedingt genau jetzt ihre Haare gekämmt haben möchte. Da muss sie warten. Findet sie manchmal blöd und manchmal ok. Aber so lernt sie eben auch mit ihrem Frust umzugehen. Und ihre Wünsche klar zu kommunizieren.
Ich finde es schwer darauf zu achten, dass keines meiner Kinder, aber auch ich selbst nicht zu kurz komme. Ist das nicht am Ende auch etwas, dass wir Eltern lernen müssen? Dass unsere Geduld, unsere Aufnahmefähigkeit endlich ist?
Ich jedenfalls merke, dass es Tage gibt an denen ich denke: Ich brauche jetzt eine Pause. Ich möchte nicht mehr zuständig sein, nicht mehr entscheiden. Sich diese Pause, wenn die Kinder schlafen, auch zu nehmen, das ist etwas, das ich tatsächlich lernen musste. Denn nur, wenn es mir gut geht, dann kann ich dafür sorgen, dass es meinen Kindern gut geht.
Wenn ich entspannt bin, kann ich sie durch ihre kleinen Zankereien, ihr Austesten von Grenzen und ihr Buhlen um Aufmerksamkeit begleiten und sie so annehmen wie sie sind. Kleine, wunderbare Menschen, die durch mich lernen, sich in dieser Welt zurecht zu finden.
Gemeinsam lernen wir, dass nicht alle Bedürfnisse erfüllt werden und, dass man manchmal zurückstecken muss. Eine Erfahrung, die den Kindern später in Kita oder Schule bestimmt weiterhelfen wird. Ich lerne auch weiterhin sehr viel von meinen Kindern und freunde mich langsam mit dem Gedanken an, dass ich eben nicht immer gerecht sein kann. Ich kann es mir wünschen und ich kann danach streben, aber ich bin soweit, dass ich anerkenne: Ich kann nicht beiden Kindern in jeder Sekunde gerecht werden. Dann bin ich ganz kurz die gemeine Mama, weil ich meinem Einjährigen die Jacke zuknöpfe, meine Dreijährige aber bitte das selbst zu tun. Aus Sicht meiner Dreijährigen kann ich das verstehen, es ist unfair, dass ich ihren Bruder unterstütze und sie selbst klar kommen soll. Aber ich kann mich nun mal nicht teilen und wir wollen ja eigentlich alle auf den Spielplatz. Das geht aber nur, wenn wir es schaffen endlich mal die Wohnung zu verlassen. Und dafür brauche ich dann eben Hilfe von meiner Tochter.
Meine Kinder ahnen: Mama ist nicht perfekt, und wir müssen das auch nicht sein. Fehler sind ok, und ungerecht behandelt werden ist richtig doof. Aber dann den Mund aufzumachen, gehört zu werden und gemeinsam darüber zu diskutieren ist so wahnsinnig viel wert.