Eine Trennung oder Scheidung ist immer herausfordernd – aber mit Kind umso mehr! Es gilt, herauszufinden, wie sich beide Eltern auch getrennt gut um das Kind kümmern können. Einige wählen dafür die Variante der Nestwohnung bzw. das nesting oder Nestmodell. Hier erfährst du, welche Herausforderungen und Vorteile das Nestmodell hat und welche Erfahrungen Eltern damit machen.
Beim Nestmodell bleibt das Kind nach der Trennung oder Scheidung der Eltern in seiner vertrauten Umgebung – also dem Haus oder der Wohnung. In dieser Nestwohnung halten sich stets das Kind und abwechselnd je ein Elternteil auf. Das bedeutet, dass beim nesting nicht das Kind zwischen den Eltern pendelt, sondern die Eltern pendeln zwischen der Nestwohnung und einer externen Wohnung hin- und her.
Definitiv ist das nesting eine herausfordernde Variante, die den getrennten oder geschiedenen Eltern einiges an Kooperation, Aufopferungsbereitschaft und Rücksichtnahme abverlangt.
Denn: Es muss weiter ein gemeinsamer Haushalt geführt werden. Wer putzt, wer staubsaugt, wer kauft ein? Wann muss welche Mülltonne an die Straße, wer mäht den Rasen? All das bleibt weiter Thema zwischen den beiden, die eigentlich getrennte Wege gehen wollen.
Deshalb ist es wohl auch bisher ein Modell, das eher selten gewählt wird. Einige Eltern nutzen das Nestmodell als Übergangslösung nach der Trennung.
Grundsätzlich kann das Nestmodell eine gute Lösung sein, um dem Kind einen festen Wohnort zu ermöglichen. Es müssen keine Kinderjacken, Spielsachen, Schulmaterialien usw. hin- und her transportiert werden. Dafür nehmen natürlich die Eltern das ständige Pendeln in Kauf.
Beim Nestmodell haben beide Eltern wie auch bei vielen anderen Umgangsformen in der Regel beide das Sorgerecht. Schwierig wird es, wenn ein Elternteil das Nestmodell durchsetzen will, die andere aber dagegen ist. Das kann einen Rechtsstreit auslösen, was für alle Beteiligten oft sehr belastend ist. Tatsächlich ist es schwierig, das Nestmodell gegen den Willen des anderen durchzusetzen. Denn das Familiengericht ist bestrebt, auf das Kindeswohl zu achten und dieses ist gefährdet, wenn einer der beiden Getrennten gegen seinen Willen weiter so eng einen gemeinsamen Alltag mit dem Ex-Partner führen muss. Das führt unweigerlich zu Spannungen, die für das Kind nicht gut sein können. Daher gibt es hier rechtlich gesehen, auch wenn es Ausnahmefälle geben mag, nur geringe Chancen, dass nesting zu erzwingen.
Beim Unterhalt wird auch beim nesting geschaut, wer das Kind in welchem Umfang betreut. Wenn das je zur Hälfte geschieht, wird der Unterhalt meist vergleichbar sein mit dem beim Wechselmodell.
Da die Ex-Partner*innen beim Nestmodell meist jede noch eine Wohnung zusätzlich zur Nestwohnung brauchen, bedeutet diese Betreuungsvariante häufig eine hohe finanzielle Belastung.
Wenn Mitwohnen bei neuen Partnern möglich ist, wird es natürlich einfacher. Dann kann es sogar günstiger sein, als wenn beide eine eigene Wohnung haben wie beim Wechselmodell.
In der Regel bedeutet das Nestmodell noch mehr gemeinsame Finanzen als beim Wechselmodell oder anderen Varianten. Denn es bietet sich an, ein Haushaltskonto zu teilen für Anschaffungen für die Nestwohnung sowie Einkäufe und auch die Miete bzw. Kreditzahlungen werden gemeinsam gezahlt.
Das Kind muss nicht zwischen Mama und Papa pendeln. Es behält ein stets gleichbleibendes Zuhause, wo es alle seine Sachen hat. Dies fördert das Gefühl von Sicherheit und Stabilität, gerade bei jüngeren Kindern. Auch das soziale Umfeld bleibt gleich, was Treffen von Freunden und das Ausüben von Hobbys erleichtert.
Wenn die Eltern es schaffen, auch nach der Trennung noch respektvoll und kooperativ miteinander umzugehen und sich gemeinsam gut um Kind und Nestwohnung zu kümmern, können sie den Kindern damit ein positives Vorbild vermitteln. Das Kind erlebt, wie freundliches Miteinander funktioniert, selbst wenn die Eltern nicht mehr zusammen sind.
Wenn die Eltern während ihrer „kindfreien Zeit“ kostenlos oder sehr günstig unterkommen können (z.B. neue Partnerin, Eltern, WG-Zimmer …), kann diese Lösung günstiger sein als eine Wohnung mit Kinderzimmer für beide Eltern.
Der Vorteil für das Kind bedeutet natürlich gleichzeitig einen Nachteil für die Eltern: Das Pendeln übernehmen sie. Viele Eltern, die das Nestmodell praktizieren, finden das fair, da sie schließlich diejenigen sind, die sich für die Trennung entschieden haben. Dennoch kann das ständige Packen der Sachen natürlich belastend und stressig sein. Hier ist es schwierig, zu entscheiden, ob diese Belastung für Eltern oder Kinder größer ist: Kinder sind noch in der Entwicklung und damit verletzlicher; gleichzeitig haben Eltern mehr Aufgaben und Pflichten, die ohnehin oft viel Stress bedeuten. Und chronisch gestresste Eltern sind auch für ein Kind auf Dauer nicht förderlich. Auch können die Kinder den Eindruck bekommen, dass beide Eltern nur noch „zu Besuch“ kommen.
Es hat Gründe, warum das Paar sich getrennt hat. Dann nach diesem Schritt noch weiter einen gemeinsamen Haushalt in der Nestwohnung zu führen, kann viel Kraft und Nerven kosten und den Abstand verhindern, der nötig wäre, um die Trennung zu verarbeiten und einen Neuanfang zu schaffen.
Die neue Flamme hat noch eine gemeinsame Wohnung mit dem/der Ex? Auch wenn diese nicht zusammen bewohnt wird, kann diese Situation mögliche neue Partner:innen eifersüchtig machen und vor allem auf Dauer einen gemeinsamen Alltag mit diesen erschweren oder unmöglich machen.
Wenn es keine günstige Möglichkeit für die Unterkunft außerhalb der Nestwohnung gibt, also die Eltern im Grunde drei Wohnungen finanzieren müssen, ist dies meist teurer als zwei getrennte Wohnungen.
Hier gibt es bisher sehr unterschiedliche Rückmeldungen. Manche berichten von positiven Erfahrungen, wenngleich sie zugeben, dass das Pendeln zwischen Nestwohnung und anderem Wohnort Stress bedeutet. Viele nehmen das aber gern in Kauf, weil sie überzeugt sind, dass diese Lösung für ihr Kind die beste ist.
Einige Eltern berichten aber auch, dass das nesting nur als Übergangsmöglichkeit gut machbar war, solange kein Elternteil eine neue Beziehung hatte. Und auch ohne Beziehung kann irgendwann doch der Wunsch nach mehr Abstand zum Ex stärker werden. Das geht natürlich besser ohne eine Nestwohnung, um die man sich gemeinsam kümmert.
Auch entsteht oft nach einer Trennung eine Phase mit viel Feindseligkeit gegenüber dem/der Ex. Hier ist ein friedliches Miteinander dann sehr schwierig und macht Absprachen bzgl. der Nestwohnung noch herausfordernder.
Viele berichten, dass die Stabilität den Kindern gut tut. Einige geben das Nestmodell aber auch auf mit dem Eindruck, dieses sei für die Kinder irgendwann nur noch wie ein Besuchsmodell gewesen: Sie seien die einzigen eigentlichen „Bewohner“ der Nestwohnung und die Eltern nur noch Besucher. Wenn dieses Gefühl entsteht, können zwei Zuhause bei Mama und Papa getrennt möglicherweise doch besser.
Das Nestmodell ist ein grundsätzlich kindorientiertes Betreuungsmodell nach einer Trennung oder Scheidung. Kindorientiert, weil es besonders dem Kind viel Stabilität ermöglicht und im Alltag eher den Eltern viel Wechsel abverlangt. Wenn die Eltern aber nicht gut kooperieren, zu belastet vom Pendeln sind oder das Kind das Gefühl bekommt, dass im Grunde kein Elternteil mehr in der Nestwohnung „zuhause“ sei, können die Nachteile sowohl für Eltern und Kind überwiegen.