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Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen

Autorin - Melanie Schüer

Nahrungsaufnahme ist ein Grundbedürfnis. Nur wenn Kinder ausreichend essen, können sie wachsen und sich gesund entwickeln. Deshalb sind Eltern verständlicherweise schnell alarmiert, wenn ihnen beim Essverhalten ihres Kindes etwas Ungewöhnliches auffällt. Und das ist erst einmal gut, denn Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen sind ernstzunehmende Erkrankungen, die gravierende Folgen haben können. Damit du mögliche Anzeichen erkennst, verstehst und dann auch die richtigen Schritte für passende Unterstützung findest, vermittelt dir dieser Artikel die wesentlichen Grundlagen über Ursachen, Anzeichen und Hilfsmöglichkeiten. 

Lesezeit: Etwa 7 Minuten
Mutter und Kind sitzen auf Sofa und sprechen miteienander. Kind ist abgewandt.

Welche Essstörungen gibt es und welche Folgen haben sie?

Eine Essstörung liegt immer dann vor, wenn regelmäßig und anhaltend zu viel, zu wenig oder auf auffällige und schädliche Weise gegessen wird. Mit „auffällig“ und „schädlich“ ist gemeint, dass das Essverhalten deutlich von dem abweicht, was die meisten Menschen als „normal“ erleben. Es bedeutet auch, dass es Anzeichen für eine gesundheitliche Gefährdung gibt.

Konkrete Essstörungen sind:

Ursachen von Essstörungen bei Kindern verstehen

Viele Eltern fragen sich: Warum isst mein Kind plötzlich so wenig? Oder warum kann es mit dem Essen nicht aufhören? Diese Fragen sind nicht nur verständlich, sondern auch wichtig. Denn wer die Ursachen kennt, kann seinem Kind gezielter helfen und langfristig für Veränderung sorgen. Essstörungen entstehen meist nicht aus einem einzigen Grund – oft spielen mehrere Faktoren zusammen. Hier findest du die häufigsten Ursachen im Überblick.

Psychische Ursachen: Wenn Essen zur emotionalen Strategie wird

Essen und Emotionen hängen ganz eng zusammen. 

  • So kann Essen dazu dienen, Stress und Frust abzubauen. Es kann Glücksgefühle auslösen, von denen vielleicht gerade zu wenige da sind oder von Langeweile, Sorgen, Überforderung und Traurigkeit ablenken.
  • Ebenso kann ein sehr kontrolliertes, striktes Essverhalten bzw. ein Verzicht auf Essen ein Gefühl von Kontrolle und Sicherheit schaffen. Während der Corona-Pandemie beispielsweise, haben Essstörungen stark zugenommen, besonders Magersucht. Denn der vermeintliche Erfolg, sein Essverhalten im Griff zu haben, ist oft ein Versuch, das Gefühl von Unsicherheit und Kontrollverlust in anderen Lebensbereichen auszugleichen. Dies kann auch bei Verlusterfahrungen oder Mobbing eine Rolle spielen.
  • Auch Selbstwertprobleme und soziale Ängste können dazu führen, sich mit „Dünn-sein“ besser und liebenswerter zu fühlen. Und nicht zuletzt kann eine Depression mit anhaltend gedrückter Stimmung, Gleichgültigkeit oder dauerhafter Stress zu Appetitverlust führen. 

Es ist daher besonders wichtig, neben einer gesunden Ernährung auch auf die mentale Gesundheit zu achten, um emotionale Auslöser für Essstörungen zu erkennen und zu bearbeiten.

Körperliche Ursachen: Wenn der Körper mitentscheidet

Es kann auch körperliche Faktoren geben, die eine Essstörung auslösen – zum Beispiel Probleme mit der Schilddrüse und hormonelle Abweichungen. Es gibt außerdem eine genetische Veranlagung für Essstörungen wie z. B. Magersucht, die gehäuft familiär auftritt.

Familiäre Ursachen: Wenn Beziehungen das Essverhalten prägen

Manchmal können Essstörungen Ausdruck von Machtkämpfen oder anderen Beziehungsproblemen zwischen Eltern und Kindern sein. 

  • So tritt Magersucht besonders häufig auf, wenn die Eltern hohe Anforderungen an ihre Kinder stellen und diese beispielsweise schulisch unter Druck setzen.
  • Familiärer Stress, wie zum Beispiel häufige Konflikte, belastende Erkrankungen, Trennungen oder Umzüge können ebenfalls Auslöser sein.
  • Außerdem spielt das Essverhalten der Eltern eine große Rolle, da diese als Vorbilder fungieren. Hier sei allerdings gesagt, dass dies ein Faktor von vielen und kein Automatismus ist. Es gibt durchaus Eltern, die sich sehr ausgewogen und gesund ernähren und dennoch ein Kind haben, das ein „Picky Eater“ ist. 

Gesellschaftliche Ursachen: Schönheitsdruck und soziale Medien

Social Media und andere Medien können eine wichtige Ursache für Essstörungen sein. Wenn Kinder oder Jugendliche mitten in der Identitätsentwicklung im Internet mit lauter (oft künstlich bearbeiteten) Bildern von scheinbar perfekten Körpern konfrontiert werden, kann das stark verunsichern. Auch Gruppendruck in der Schule, im Leistungssport oder im Freundeskreis kann ein entscheidender Faktor für Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper sein. 

Woran erkennen Eltern eine Essstörung?

Wenn dein Kind auffällig zu- oder abgenommen hat, anhaltend abwertend über sein Aussehen spricht, sich beim Essen ungewöhnlich verhält, möglichst oft gar nicht mehr an den Mahlzeiten teilnimmt oder immer direkt nach dem Essen ins Bad verschwindet (häufig bei Bulimie, um die Nahrung zu erbrechen) – dann solltest du aufmerksam werden, denn all das können Anzeichen für eine Essstörung sein.

Manchmal sind die Zeichen auch nicht sofort so klar erkennbar und die Erkrankung zeigt sich zunächst durch gedrückte Stimmung, Müdigkeit, Rückzug und Verlust von Interessen. 

Körperliche Anzeichen sind z. B. Schwindel, Verstopfung, Durchfall, trockene Haut, Haarausfall, Zahnprobleme (durch Erbrechen) und Kreislaufprobleme.

Was kannst du tun, wenn dein Kind an einer Essstörung leidet?

Wenn du tatsächlich eine Essstörung bei deinem Kind vermutest, fragst du dich bestimmt: Was kann ich tun, wenn mein Kind kaum noch isst oder ständig isst? Und: wie spreche ich mein Kind auf sein Essverhalten an, ohne es unter Druck zu setzen? Hier findest du konkrete Tipps, wie du dein Kind sensibel unterstützen kannst.

Sprich offen und behutsam mit deinem Kind

Sprich in einer ruhigen Situation freundlich und ohne Vorwürfe mit deinem Kind. Sei dabei behutsam und bleibe erst einmal bei dem, was dir auffällt, z. B.: „In letzter Zeit habe ich festgestellt, dass du deutlich weniger isst. Du wirkst auch irgendwie bedrückt und ziehst dich viel zurück. Ich glaube, du hast auch abgenommen, kann das sein?“ 

Setze dein Kind im Gespräch nicht unter Druck – versuche, deutlich zu machen, dass du Verständnis hast und, dass Unsicherheiten in Bezug auf den eigenen Körper nichts Ungewöhnliches sind, z. B.: „Viele Menschen erleben Zeiten im Leben, in denen sie sich in ihrem eigenen Körper irgendwie nicht wohl fühlen. Und manchmal entwickelt man dann Essgewohnheiten, die einem auf Dauer nicht gut tun. Kann es sein, dass du in letzter Zeit weniger isst, um abzunehmen?“

Schaffe positive Essgewohnheiten und sei selbst Vorbild für dein Kind

Grundsätzlich ist es hilfreich, wenn Eltern angenehme Essensituationen schaffen. Versuche, die Mahlzeiten möglichst oft ruhig, ohne Stress und ohne äußere Ablenkungen wie Fernseher, Radio, Handy o.ä. einzunehmen. Achte auch als Mutter oder Vater darauf, eine positive Einstellung zum eigenen Körper vorzuleben. Verzichte auf strikte Kalorienkontrolle, extreme Diäten und abwertende Kommentare über deinen Körper. 

Betone lieber, wie wertvoll und leistungsfähig unser Körper ist:

  • „Unser Körper macht so viel für uns – laufen, lachen, spielen. Dafür können wir dankbar sein!“
  • „Ich liebe meinen Körper. Es ist wichtig, gut auf ihn aufzupassen.“
  • „Durch Schlaf, gutes Essen und Bewegung sorgen wir für unseren Körper. Das ist in unserer Familie wichtig.“
  • „Unser Körper ist faszinierend. Er macht so viel für uns. Dafür braucht er gute Nährstoffe, damit unsere Organe gut funktionieren.“

Hab Geduld – besonders bei sehr wählerischem Essverhalten

Gelassenheit und Ausdauer: Beim „Picky Eating“, wenn Kinder nur eine sehr geringe Auswahl von Lebensmitteln essen, lohnt sich meist eine Kombination von Geduld und Durchhaltevermögen. Zwinge dein Kind nicht, Gemüse zu essen, sondern biete es in gewissen Abständen immer mal wieder an. Schwärme auch einfach mal davon, wie lecker es schmeckt oder scherze ein bisschen: „Oh, wie gut, dann habe ich die leckeren Gurken ganz für mich allein!“ Oft siegt bei den Kindern dann doch irgendwann die Neugierde.

Hol dir Unterstützung – lieber zu früh als zu spät

Gerade bei Essstörungen wie Magersucht, Bulimie und Binge Eating sollten Eltern nicht zu lange warten, bevor sie fachliche Unterstützung suchen. Wenn du merkst, dass dein Kind sich im Gespräch mit dir nicht öffnet, oder zwar mit dir spricht, sich allerdings dennoch nichts ändert, solltest du unbedingt eine Fachmeinung einholen. Auch, wenn dein Kind einsichtig ist, jedoch schon gravierende Folgen zu sehen sind wie ein deutlicher Gewichtsverlust oder starke körperliche Symptome, ist es für Selbsthilfe oft zu spät. 

Erste Anlaufstellen sind:

  • Kinderärztliche Praxis
  • niedergelassene Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie-Praxen
  • Jugendberatungsstellen (www.dajeb.de).

Weitere Informationen findest du auch beim Bundesfachverband Essstörungen: Hilfe bei Essstörungen

Fazit

Essstörungen sind ein ernstes Problem und wenn du dir Sorgen um das Essverhalten deines Kindes machst, solltest du nicht lange zögern, zu reagieren! Dennoch gilt auch hier: Keine Panik! Mit rechtzeitiger Unterstützung durch Beratung und/oder Therapie können langfristige Folgen in den meisten Fällen verhindert werden und gesunde Ernährung kann wieder zum Genuss werden!