Im Interview beantwortet Monika Ziebart viele Fragen zum Thema Kinderernährung. Sie gibt vor allem viele praktische Tipps und hilfreiche Informationen, um sich als Elternteil entspannen zu können. Sie zeigt Auswege auf, wenn das Kind nicht essen will, zu wenig isst oder kaum Gemüse isst. Monika Ziebart möchte Mütter und Väter über frühkindliche Essstörungen aufklären, sie stärken und aufzeigen, dass Essen mit Kindern viel Freude machen darf.
Die meisten Mütter und Väter kommen mit großer Sorge und viel Angst in meine Beratung. Meist werden diese Gefühle bei den Eltern ausgelöst, weil das Kind zu wenig oder zu einseitig isst. Das Thema Essen ist dann schon zu einem sehr belastenden Bereich in der Familie geworden und die Anspannung, vor allem bei den Eltern, ist stark spürbar.
Die Gefühle der Eltern, wie z.B. die Angst, dass das Kind zu wenig isst, überträgt sich dann unbewusst auf das Kind, was zu weiterer Verweigerung beim Kind führen kann. Deshalb ist es sehr hilfreich, wenn Eltern sich in diesem Fall professionelle Unterstützung holen und sie sich darüber das Bedürfnis nach Sicherheit stillen.
Oft reicht dann schon eine kurze Begleitung, durch die ich Eltern beruhigen kann. Die Sicherheit und Ruhe überträgt sich dann automatisch auf das Kind und die Situation beim Essen kann sich entspannen.
Also erstmal möchte ich sagen, dass es ganz normal ist, dass Kinder nicht in jeder Entwicklungsphase gleich viel essen. Das hat mit Entwicklungsschüben zu tun und damit, dass das Kind nicht immer genau die gleiche Menge an Essen benötigt. In der Regel holen sich Kinder, die Nahrung die sie brauchen.
Eltern lassen sich häufig von den Mengenangaben auf Verpackungen verunsichern und denken sie hätten versagt, wenn das Kind nicht genau so viel isst, wie auf der Verpackung steht. Deshalb versuche ich mit Müttern und Vätern ersteinmal herauszufinden, ob das Kind wirklich im Verhältnis „zu wenig“ isst. Ich erkenne dann z.B. auf Videoaufnahmen, die mir Eltern von ihren Kindern zeigen, dass die Menge völlig im Rahmen liegt und Eltern vor lauter Sorge gar nicht mehr bemerken, was alles im Mund des Kindes landet.
Die Erwartungshaltung der Eltern kann dann durch meine Begleitung angepasst werden.
Solange das Kind nicht untergewichtig ist, besteht häufig gar kein Grund zur Sorge und es reicht dann völlig aus, dem Kind immer wieder zu geregelten Mahlzeiten Essen anzubieten. Auch bei uns Erwachsenen ist es ja manchmal so, dass wir mal mehr und auch mal weniger essen, was davon abhängt, wie viel wir uns bewegt haben, wie viel wir gerade arbeiten oder wie viel Zeit und Freude wir am Essen haben.
Genau diese Zwischenmahlzeiten wie z.B. Quetschies, Reiswaffeln oder Kekse sorgen dafür, dass das Kind an den Hauptmahlzeiten keinen oder nur noch wenig Hunger und bereits genug Kalorien aufgenommen hat. Deswegen empfehle ich Eltern ca. 5 geregelte Mahlzeiten am Tag, an denen dem Kind ausgewogene Nahrung angeboten wird. Mit ausgewogen meine ich, dass sowohl Kohlenhydrate, Proteine, Fisch oder Fleisch und Vitamine in Form von Obst über den Tag verteilt angeboten werden. Auch eine ausgewogene vegetarische Ernährung mit pflanzlichen Proteinen in Form von Erbsen, Bohnen und Linsen ist natürlich möglich.
Natürlich kann ein Kind auch mal einen Keks, ein Eis oder Süßigkeiten essen, sofern die Menge auf eine gesundes Maß begrenzt wird.
Oft nehmen Eltern allerdings gar nicht wahr, wie viel das Kind bereits „zwischendurch“ gegessen hat und wundern sich dann, dass das Kind an den Hauptmahlzeiten das Essen verweigert. Zwischenmahlzeiten werden leider auch oft eingesetzt, um das Kind tagsüber zu beruhigen. Wenn ein Kind z.B. quengelnd im Kinderwagen sitzt, beruhigt es sich oft schnell, wenn es einen Riegel in die Hand bekommt. Eltern dürfen also lernen auch mal auszuhalten, wenn ein Kind frustriert ist oder quengelt. Dieses sogenannte emotionale Essen führt langfristig nämlich zu keinem gesunden Essverhalten.
Ich empfehle Eltern immer, Kinder am Essenstisch normal mitessen zu lassen, anstatt ständig ein extra Gericht zu kochen. Natürlich können Mütter und Väter auch darauf achten, was das Kind besonders gerne mag und dann entspannt bleiben, wenn das Kind eine Zeit lang hauptsächlich die Nudeln isst, die auf dem Tisch angeboten werden. Wichtig ist, darauf zu vertrauen, dass das Kind am Vorbild seiner Eltern lernt. Das heißt, dass es z.B. beobachtet, wenn Mama oder Papa mit viel Genuss und Freude Salat und Gemüse essen. Gerade dann, wenn dem Kind alle gesunden Lebensmittel immer wieder angeboten werden und es immer wieder probieren darf, ist das ein guter Weg.
Auch wenn das Kind vielleicht 10-mal das Gemüse verweigert, könnte es durchaus beim 11. Mal klappen. Weil Geschmack erlernt wird, je häufiger etwas gegessen wird, desto eher lernt man es zu mögen.
Hierzu möchte ich zunächst eine lustige Anekdote erzählen. Es kam einmal eine Mutter zu mir in die Beratung, die meinte: „Jetzt hat mein Kind fast ein halbes Jahr fast nur Nudeln gegessen und von heute auf morgen mag es keine Nudeln mehr. Ich fühle mich wirklich veräppelt“.
Als ich sie dann fragte, ob sie nicht auch bestimmte Phasen habe, in denen sie etwas besonders gerne und viel esse, wurde der Mutter bewusst, dass es ihr ähnlich ging.
Von Kindern erwarten viele Erwachsenen, vermutlich weil uns deren Gesundheit wichtig ist, dass sie von sich aus ausgewogen essen, dabei gelingt das vielen Erwachsenen genau so wenig. Deshalb empfehle ich Eltern immer, sich zu entspannen, wenn ein Kind sich eine zeitlang einseitig ernährt. Das ist natürlich nicht immer einfach, weil sich Eltern dann Sorgen machen.
Wenn Kinder tatsächlich über einen langen Zeitraum hinweg gar kein Obst und Gemüse essen, empfehle ich Eltern vorrübergehend z.B. Quetschies mit Obst und Gemüse. Wie gesagt, meist essen Kinder allerdings mehr Gemüse und Obst, als Eltern das aus ihrer subjektiven Perspektive wahrnehmen.
So hatte ich z.B. mal eine Mama, die mir erzählt hat, ihr Kind würde gar kein Gemüse essen und auf dem Video konnte ich dann die Gurkenscheiben mitzählen, die das Kind sich in den Mund schob.
Natürlich gilt auch hier wieder, ein gutes Vorbild zu sein und mit Genuss Gemüse und Obst vor den Kindern zu essen. Es gibt z.B. auch den Trick mit dem sogenannten „Elternsalat oder Elterngemüse“. Mit viel Humor sagen Eltern dann beim Essen z.B.: „Nein, das ist nur für die Eltern. Da drin ist Gemüse. Das schmeckt so lecker, das wollen wir nur für uns haben.“ Viele Kinder werden dann neugierig und möchten den Salat oder das Gemüse auch ausprobieren.
Davon halte ich gar nichts, weil die Lebensmittelindustrie damit natürlich viel Geld verdient und die besondere Kindernahrung meist gar nicht so gesund für die Kleinen ist, wie es in der Werbung versprochen wird. Hinzu kommt noch, dass diese Lebensmittel viel teurer, aber nicht besser sind.
Kinderlebensmittel zeichnen sich meist dadurch aus, dass sie viel Zucker, Salz und/oder Fett und dazu noch Farbstoffe enthalten. Die normal verfügbaren Grundnahrungsmittel sind hier die deutlich bessere Wahl für das Kind. Deshalb empfehle ich Müttern und Vätern, gar keine besonderen Lebensmittel im Supermarkt zu kaufen, sondern einfach gesunde Lebensmittel zu erwerben, die auch Erwachsene essen und auch genau mit diesen Lebensmitteln zu Hause zu kochen.
Also die erste Frage, die ich Eltern stellen, wenn mir von diesem Dilemma berichtet wird ist: „Wer geht denn bei Ihnen einkaufen?“
Ich empfehle deshalb Müttern und Vätern so wenig Zucker und ungesunde Lebensmittel wie möglich zu Hause zu haben, um dem Kind gar nicht erst dieses breite Angebot zu ermöglichen. Natürlich können Kinder durch liebevolle Grenzen beim Süßigkeitenkonsum auch einen verantwortungsvollen Umgang damit lernen, doch braucht das viel Führung durch die Eltern.
Fest steht, dass die Eltern die Verantwortung dafür tragen, wie viel Zucker konsumiert wird und das darf Kindern genauso vorgelebt werden.
Konsequent sein ist bei diesem Thema natürlich dann besonders schwierig, wenn man selbst gerne nascht. Deshalb reflektiere ich mit Eltern dann gerne auch den eigenen Süßigkeitenkonsum und wir überlegen, wie dieser durch gesunde Zwischenmahlzeiten ersetzt werden könnte.
Kinder passen sich im Verlauf ihrer Entwicklung an neue Arten des Fütterns und Essens an und das kann immer wieder zu vorübergehenden Anpassungproblemen führen, die nicht gleich bedenklich sein müssen.
Eine sogenannte Fütterungsstörung liegt erst vor, wenn das Füttern mehrmals am Tag schwierig ist – über einen Zeitraum von länger als vier bis sechs Wochen. Anzeichen für eine solche Störung sind z.B. sehr lange Mahlzeiten, die von Machtkämpfen geprägt sind, Würgen, Erbrechen, Mund verschließen, Löffel wegschieben, ständiges Wegdrehen des Kindes beim Füttern usw.
Das Fütterproblem wirkt sich dann nicht selten auch sehr negativ auf die Eltern-Kind-Beziehung und das familiäre Klima aus. Eltern fällt es in diesen Phasen auch zunehmend schwerer zu erkennen, wann das Kind Hunger hat und wann es satt ist. Eine Abklärung beim Kinderarzt/Kinderärztin oder einer Beratungsstelle ist bei diesen Anzeichen deshalb sehr empfehlenswert.
Manchmal kann zu einer Fütterstörung auch eine sogenannte Gedeihstörung hinzukommen, die sich in Gewichtsabnahme oder fehlender Zunahme äußert, auch weitere Symptome wie Unruhe, Schlafprobleme oder lange Schreiphasen können Begleiterscheinungen sein. Meist hat diese Störung körperliche Ursachen, die vom Arzt/Ärztin ausgeschlossen werden können.
Laut ICD-10 gibt es auch noch weitere Formen von Fütterstörungen, die über eine aufwändige Anamnese und eine umfassende Diagnostik eingestuft werden können. Im Fokus steht allerdings bei meiner Arbeit immer, den Eltern Vertrauen und Sicherheit zu vermitteln, dass sie ihre Kinder beim Essen begleiten können. (Anm.d.Red.: ICD-10 steht für "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems". Übersetzt: "Internationale Klassifikation der Krankheiten. Die '10' bedeutet: 10. Ausgabe).
Kriterien für eine Fütterstörung auf einen Blick:
Je nachdem, wie alt das Kind ist, sprechen wir z.B. über die Still- oder Füttersituation, die Beikost, Essgewohnheiten in der Familie, feste Mahlzeiten im Tagesablauf und auch weitere Belastungsfaktoren der Eltern, die sich ebenso auf das Essverhalten des Kindes auswirken können.
Auch eine videogestützte Verhaltensbeobachtung dient einer umfangreichen Analyse der Füttersituation. Ganz besonders wichtig ist auch, welche Bindung die erwachsenen Bezugspersonen zu ihrem Kind haben und wie sehr Mütter und Väter selbst belastet sind.