Format: Artikel – Schreibfeder auf dem Tisch
Artikel

Magersucht in der (Vor-) Pubertät - Kind, warum isst du denn nichts?

Autorin - Melanie Schüer

Wenn Kinder und Jugendliche plötzlich viel weniger essen, löst das bei den Eltern Sorgen und Unsicherheit aus. Und tatsächlich ist es wichtig, solche Verhaltensweisen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Denn Essstörungen können lebensgefährlich werden. Gleichzeitig ist Panikmache selten hilfreich. Daher findest du hier einige Informationen und Tipps, wie du am besten reagierst, wenn dir das Essverhalten deines Kindes Sorgen bereitet.

Lesezeit: Etwa 7 Minuten
Personenwaage auf der ein Apfel und ein Maßband liegen

Magersucht bei Kindern – ab wann ist es eine Essstörung?

Wenn Kinder und Jugendliche über längere Zeit nichts oder sehr wenig essen und zu viel Gewicht verlieren, spricht man von einer Essstörung. Bei der üblichen Form von Magersucht ist das Hungern verbunden mit dem Wunsch, abzunehmen. Mädchen sind deutlich häufiger betroffen als Jungen, doch es gibt auch eine beträchtliche Anzahl magersüchtiger Jungen.

In den vergangenen Jahren hat sich abgezeichnet, dass das Einstiegsalter sich nach vorn verlagert hat – teils schon vor Beginn der eigentlichen Pubertät. Denn auch die Vorpubertät ist eine anstrengende, konfliktreiche Zeit – die jungen Menschen spüren, dass große Veränderungen bevorstehen und wissen noch nicht, wie sich diese anfühlen werden.

Woran erkenne ich eine Magersucht bei meinem Kind?

Anzeichen für eine Magersucht sind ein deutlich zu niedriges Gewicht (BMI bei oder unter 17,5 – man sollte aber durchaus schon vorher reagieren!), absichtlich herbeigeführter Gewichtsverlust durch Diät, Erbrechen, Abführen, Diurethika (Medikamente, die eine verstärkte Ausscheidung von Wasser und Elektrolyten bewirken), exzessiven Sport etc.

  • Ausgeprägte Angst, zu dick zu sein oder zuzunehmen

  • Verzerrte Körperwahrnehmung (Wahrnehmung als dick, obwohl das nicht zutrifft)

  • Ausbleiben der Regelblutung

  • Haarausfall

  • brüchige Fingernägel

  • Ständige Beschäftigung mit dem Gewicht, Ernährung, Körper

  • Extremer Sport, Bewegungsdrang

Die Betroffenen haben eine verzerrte Wahrnehmung ihres eigenen Körpers, nehmen sich also als viel dicker wahr, als sie eigentlich sind.

Ursachen für Magersucht bei Kindern

Für eine Magersucht gibt es nicht die eine Ursache, sondern mehrere Faktoren, die eine Rolle spielen können:

  • Einfluss von Schönheitsidealen in der Gesellschaft, in Medien oder in der Familie
     
  • Probleme, sich in der Pubertät von den Eltern zu lösen
     
  • Erfahrungen mit Ablehnung wegen des Aussehens (z.B. bei Übergewicht)
     
  • Krisen und emotionaler Stress, z.B. Konflikte in der Familie, mit Freunden oder in der Schule
     
  • genetische Veranlagung (diese führt aber nicht automatisch zum Ausbruch, sondern macht nur „anfälliger“)
     
  • Perfektionismus, hohes Leistungsstreben
     
  • verzerrte Denkmuster (z.B. Schlanksein als Garant für Erfolg)

Es entsteht schnell ein Teufelskreis, denn die Betroffenen machen eine zerstörerische Lernerfahrung: Der Verzicht auf Essen (z.B. bei kurzen Diäten) führt zu Gefühlen von Kontrolle, Aufmerksamkeit und Erfolg. Auch bekommen sie teilweise Komplimente für die Gewichtsabnahme. Dadurch erleben sie das Hungern als etwas Positives. Gleichzeitig wird durch längeres Hungern das Sättigungsgefühl gestört und es wird immer weniger „natürlicher Hunger“ empfunden. Weil dem Körper durch das Hungern die Energie fehlt, leidet oft auch die Stimmung, wodurch häufig aus einer Magersucht zusätzlich eine Depression entsteht.

Oft entsteht die Magersucht aus dem Wunsch, ein paar Kilos abzunehmen, manchmal auch berechtigterweise, wenn die Betroffenen wirklich übergewichtig sind. Dann kann es aber passieren, dass der rechtzeitige Ausstieg verpasst wird und das Beenden der Diät immer schwieriger wird. Manchmal steht am Anfang auch weniger das Abnehmen und mehr die Beschäftigung mit gesunder, oft auch veganer, Ernährung im Vordergrund. Dann kann es passieren, dass die Auswahl des Essens immer strenger wird und die Betroffenen schließlich in die Magersucht abrutschen. Unbehandelt kann eine Magersucht zum Tod führen, deshalb ist es wichtig, frühzeitig Hilfe zu suchen und anzunehmen.

Mein Kind isst nichts – was kann ich tun?

Alle Menschen haben Tage, an denen sie weniger Appetit haben als an anderen. Und es kann auch mal sein, dass man an ein oder zwei Tagen nichts oder kaum etwas essen mag – z.B. bei besonderem Stress in der Schule, bei der Arbeit, Infekten oder zwischenmenschlichen Konflikten. Druck im Sinne von „Du musst aber etwas essen!“ macht oft alles noch schlimmer.
 

  • Achte darauf, dass dein Kind zumindest trinkt und biete ganz ruhig im Laufe des Tages Verschiedenes zum Essen an. Erkundige dich ohne Vorwürfe, warum dein Kind nichts essen möchte. Frage behutsam, ob es gestresst oder traurig ist. Manchmal erzählen Kinder und Jugendliche dann, was sie bedrückt – manchmal mögen sie sich aber auch (noch) nicht mitteilen oder wissen selbst nicht so recht, was los ist. Respektiere das und lass dein Kind einfach wissen, dass es jederzeit mit dir reden kann und du immer für es da bist.
     
  • Wenn dein Kind aber länger als zwei bis drei Tage ohne ersichtlichen Grund kaum etwas isst, solltest du dich an einen Arzt wenden, um überprüfen zu lassen, ob das Verhalten medizinische Ursachen hat. Auch solltest du mit dem Arzt besprechen, wie du vorgehen sollst, wenn keine Ursache gefunden wird und dein Kind das Essen weiter verweigert.
     
  • Wenn medizinische Gründe ausgeschlossen wurden, gilt es, nach psychischen Bedingungen zu suchen. Sprich deine Sorgen gegenüber deinem Kind behutsam, aber offen an – nicht als Vorwurf, sondern als „Ich-Botschaft“, z.B.: „Ich mache mir Sorgen, dass du vielleicht eine Essstörung haben könntest, weil du so viel abgenommen hast. Ich möchte, dass es dir gut geht.“
     
  • Es ist ganz normal, dass die Betroffenen das Problem erst einmal verleugnen. Das ist kein böswilliges Lügen, sondern sie wollen sich die Schwierigkeiten oft selbst nicht eingestehen, schämen sich und haben Angst vor den Folgen. Wenn dein Kind zurzeit nicht mir dir reden kann, gibt es vielleicht einen anderen Erwachsenen, der ein einfühlsames Gespräch führen kann?
     
  • Außerdem ist es wichtig, sich professionelle Hilfe zu suchen. Erkundige dich bei Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen in deiner Region (z.B. www.therapie.de). Wenn die Wartezeiten dort lang sind, sind Termine bei einer Beratungsstelle oft eine gute Überbrückung. Auch eine Ernährungsberaterin, die nach dem „Anti-Diät-Konzept“ arbeitet, kann einen guten Einstieg in die Behandlung bieten.

Wie Magersucht behandelt wird

In einer Psychotherapie wird die Magersucht folgendermaßen behandelt:

  • Förderung von Selbstwert und sozialer Kompetenz
  • Veränderung des verzerrten Körperbildes
  • Maßnahmen zur Gewichtssteigerung
  • Auseinandersetzung mit negativen Gedankenmustern
  • Bearbeitung weiterer Stressfaktoren wie Leistungsdruck, familiäre Konflikte, etc.

Die Rolle der Eltern bei Kindern mit Magersucht

Neben der Organisation von ärztlicher und therapeutischer Hilfe ist es auch ganz wichtig, dass du deinem Kind die Botschaft vermittelst: Ich bin für dich da. Ich mache dir keine Vorwürfe und du darfst über alles mit mir reden. Stärke das Selbstbewusstsein deines Kindes, indem du ihm regelmäßig sagst, was du an ihm magst (charakterlich und äußerlich).

Eltern sollten auch – am besten schon, bevor ihr Kind Essprobleme zeigt – ihren eigenen Umgang mit Ernährung und Aussehen reflektieren. Wenn ein Elternteil oft Diät hält und extrem viel Wert auf eine schlanke Figur und ein makelloses Aussehen legt, kann das ein Nährboden für Essstörungen bei den Kindern sein. Denn Eltern sind die wichtigsten Vorbilder und sie bringen ihren Kindern bei, welche Rolle das Aussehen spielt und wie man mit dem eigenen Körper umgeht.

Nimm dir Zeit, um regelmäßig etwas Schönes mit deinem Kind zu unternehmen wie Ausflüge, Kino, Spaziergänge, Radtouren oder Spiele zuhause. Achte darauf, dass sich der Alltag nicht nur noch um das Essen dreht und dein Kind nicht den Eindruck bekommt, darauf reduziert zu werden. Oft hilft es, auch für sich als Elternteil Gespräche in einer Familienberatungsstelle in Anspruch zu nehmen. Denn nur, wenn du selbst gut mit der Situation zurechtkommst, kannst du als Elternteil Sicherheit ausstrahlen und Orientierung vermitteln.