Format: Elternfrage
Elternfrage

Mein Kind hat starke Wutanfälle, wie soll ich reagieren?

Wutanfälle von Kindern sind anstrengend und verwirrend – für das Kind selbst, das manchmal am Ende erschöpft zusammenbricht, aber auch für die Eltern, die ihr Kind in einer solchen Situation nicht wiedererkennen. Wutanfälle sind eine Begleiterscheinung der Trotzphase. Sie treten völlig unkontrolliert und manchmal aus heiterem Himmel auf. Manchmal kann man die Ursache für den Wutausbruch erkennen – Müdigkeit, Frustration – aber nicht immer. Besonders unangenehm sind Wutausbrüche dann, wenn das Kind so sehr von seinen Gefühlen überschwemmt wird, dass es andere Kinder/Geschwister schlägt oder Gegenstände zerstört.

Warum haben Kinder Wutausbrüche und wie kann man damit umgehen?

Lesezeit: Etwa 8 Minuten
Kleiner Junge hockt auf der Straße und ist wütend

Wutausbrüche bei Kindern

Wutausbrüche können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein und auch ganz verschiedene Ursachen haben. Meist steht bei Wutanfällen ein unerfülltes Bedürfnis dahinter, das Eltern feinfühlig erkennen können. Viele Expert*innen sprechen ganz bewusst nicht von Wutanfällen, sondern Wutausbrüchen, weil die Wut aus dem Kind einfach so herausbricht.

Mein Kind hat hysterische Wutausbrüche

Manchmal sind die Wutausbrüche so extrem, dass sie regelrecht hysterisch wirken. Das Kind schreit, als würde es fürchterlich gequält und als Eltern fühlt man sich hilflos und manchmal auch wütend, weil man doch alles versucht und scheinbar nichts hilft. Dazu ist es wichtig zu wissen, dass Kinder unter sechs bis sieben Jahren ihre Gefühle noch kaum kontrollieren können. Sie werden daher oft von ihrem Emotionen „überrollt“ und haben sich selbst dann überhaupt nicht mehr im Griff. Wenn sie ohnehin schon gestresst, angespannt oder müde waren, kann der Wutausbruch dann oft so stark ausfallen, dass wir Eltern ihn als hysterisch wahrnehmen.

Wichtig ist es dann, selbst ruhig zu bleiben und Gelassenheit auszustrahlen. Also: Wirklich tief ein- und vor allem ausatmen! Sich vorstellen, wie man beim ausatmen alle Anspannung loslässt. Dem Kind mitteilen, dass alles okay ist, dass es nicht allein ist und Körpernähe wie eine Umarmung oder Streicheln anbieten. Wenn das Kind das nicht zulässt, abwarten, dem Kind Zeit geben, nicht schimpfen, sondern positive Ruhe signalisieren: „Wenn du was brauchst, ich bin da!“. Manchen Kindern, je nach Temperament, hilft es auch die Wut gemeinsam mit den Eltern rauszulassen. Kinder können z.B. gemeinsam mit den Eltern in ein Kissen schlagen oder in einen Boxsack hauen.

Unkontrollierte Wutausbrüche

Manchmal scheinen Wutausbrüche aus heiterem Himmel zu kommen. Soeben war das Kind noch gut gelaunt und plötzlich schreit es das Haus zusammen. Auch das hängt mit der bereits erwähnten noch geringen Selbstkontrolle zusammen und man sollte vorgehen wie oben zu den hysterischen Wutausbrüchen beschrieben.

Wichtig ist immer, sich zu erinnern: Mein Kind macht das nicht absichtlich! Es ist selbst gerade überfordert! Gerade unkontrollierte Wutausbrüchen helfen Kindern manchmal dabei Stress abzubauen. Es kann also auch helfen, den Alltag so zu organisieren, dass das Kind gar nicht erst in einen sehr gestressten Zustand kommt.

Extreme Trotzanfälle bei Kindern

Gerade im Alter zwischen zwei und sechs Jahren treten Wutausbrüche oft im Zusammenhang mit wahrgenommenem Trotz auf. Der Begriff Trotz bewertet das Verhalten des Kindes negativ, weshalb wir bei Elternleben.de nicht von der Trotzphasen, sondern der Autonomiephase sprechen: Das Kind soll z.B. etwas tun, das es absolut nicht möchte (z.B. aufhören, zu spielen, um sich anzuziehen) oder darf etwas nicht, dass es sich in den Kopf gesetzt hat (z.B. ein zweites Eis essen).

Die Kinder spüren in der Autonomiephase ihren eigenen Willen ganz stark. Und gleichzeitig verstehen sie noch nicht, warum sie diesen nicht immer durchsetzen können. Sie können sich noch nicht in die Perspektive anderer versetzen und somit nicht verstehen, dass andere Menschen andere Bedürfnisse oder Wünsche haben als sie. Das frustriert – und dann kommt wieder die geringe Impulskontrolle ins Spiel.

Oft hilft es, Veränderungen und Unterbrechungen rechtzeitig anzukündigen (z.B. 5 Minuten vorher) und auf einer Uhr (ab ca. vier Jahren) zu zeigen, wann die Zeit um ist. Auch Wahlmöglichkeiten (Willst du die pinke oder die grüne Jacke anziehen?) können dem Autonomiebedürfnis des Kindes entgegenkommen. Dennoch wird es immer wieder Wutausbrüche geben und da hilft nur eine Mischung aus Verständnis (Genau, das ärgert dich! Du wolltest gern noch spielen, das weiß ich!) und logischer Konsequenz (Leider müssen wir nun wirklich los, sonst verpassen wir den Bus). Manchmal helfen Aussagen wie: „Ich wünschte, ich könnte uns jetzt noch eine Stunde Extra-Zeit herbeizaubern!“ - einfach, um zu verdeutlichen: Auch wenn es jetzt sein muss, ich höre und sehe dich!

Wutanfälle sind Teil einer gesunden Entwicklung

Zwischen anderthalb und vier Jahren entdecken Kinder ihr eigenes Ich, streben nach Selbstständigkeit und wollen zeigen, was sie können. Dabei überfordern sie sich oft und sind entsprechend frustriert: ihre Arme sind zu kurz, um ein begehrtes Spielzeug alleine aus dem Regal zu holen, ihre Motorik ist nicht ausgeprägt genug, um schon selbst eine Strumpfhose anzuziehen u.v.m. Der Alltag eines Kleinkinds ist voller Situationen, in denen es etwas erkunden möchte, aber es alleine nicht schafft. Eltern sind jetzt als Unterstützer gefragt. Während Verbote oder Sprüche wie „Siehst du, ich habe es dir doch gesagt“ die Frustration eher erhöhen und Wutanfälle begünstigen, ist es besser dem Leitgedanken der großen Pädagogin Maria Montessori zu folgen. Ihr Leitspruch: „Hilf mir, es selbst zu tun“.

Auch die Hirnentwicklung eines Kleinkindes begünstigt Wutanfälle: die obere Hirnhälfte, die zuständig für Kontrolle, rationales Denken und Vernunft ist, ist noch nicht entwickelt. Erst mit etwa 25 Jahren ist die Entwicklung dieses Hirnbereichs abgeschlossen. Die Gefühle beim Kleinkind sind stark – und es hat ihnen noch nichts entgegenzusetzen.

Die Gefühle und Instinkte werden nämlich von der unteren Gehirnhälfte gesteuert und die ist schon bei der Geburt nahezu fertig entwickelt. Somit ist dieser Teil des Gehirns – das „Gefühls-Gehirn“ - viel stärker und dominanter als der obere Teil, der für Vernunft und Selbstkontrolle zuständig ist. Das führt dazu, dass Kinder (und auch Jugendliche) häufiger als Erwachsene von ihren eigenen Gefühlen überrumpelt werden und es dann nicht schaffen, sich „zusammenzureißen“.

Hinzu kommt bei kleinen Kindern, dass sie ihre Gefühle noch nicht gut oder noch gar nicht in Worte fassen können. Das macht es noch schwieriger, sich „ruhig“ und „gelassen“ auszudrücken und zu erklären, was gerade los ist. Auch älteren Kindern und Jugendlichen fällt es oft noch schwer, ihre Emotionen mit Worten auszudrücken.

Wutanfälle sind also eine Kombination aus

  • der Entdeckung und starken Wahrnehmung des eigenen Willens ab ca. 1,5-2 Jahren
  • dem starken Wunsch nach „selber machen“ und „selbst entscheiden“
  • einer noch geringen Selbstkontrolle bei gleichzeitig starken Gefühlen
  • einer noch schwachen Sprachkompetenz, v.a. im Ausdruck von Bedürfnissen und Gefühlen

Bei Wutausbrüchen richtig reagieren

Wutausbrüche von Kindern sind für uns Erwachsene auch deshalb schwer zu ertragen, weil sie unsere eigenen Gefühle aus uns herausholen. Plötzlich steigt auch in uns die Wut hoch; wir merken, dass wir uns nur mit Mühe beherrschen können. Hilflosigkeit, Ärger, Verzweiflung – starke Gefühle, die wir teilweise aus unserer eigenen Kindheit kennen. Um sie nicht unangemessen auf das wütende Kind zu übertragen ist es wichtig, gelassen zu bleiben. Lieber kurz den Raum verlassen, tief Luft zu holen, als sofort loszupoltern.

Oft hilft auch das Wissen, das die meisten Wutausbrüche nach 5-15 Minuten aufhören oder zumindest nachlassen. Manchmal kommt es aber auch vor, dass die Kinder sich „hereinsteigern“ und länger brauchen, um aus der Anspannung herauszufinden.

Was aber kannst du tun, besonders wenn getreten, gehauen und geschlagen wird? Das Wichtigste: ruhig bleiben! Lese bei uns Tipps um zu sehen, was du tun kannst, wenn dein Kind aggressiv wird. Mache dir immer wieder bei Wutausbrüchen deines Kindes klar, dass es das nicht mit Absicht tut. Dein Kind ist hilflos, frustriert, verzweifelt – auch wenn es sich vielleicht anders anfühlt. Deshalb nützt es auch wenig, wenn du selbst laut wirst und dein Kind bestrafst, denn es macht das ja nicht mit Absicht. Besser ist es, die Gefühle in Worte zu fassen oder Dinge auszuprobieren, die als „Blitzableiter“ funktionieren können: in ein Kissen boxen, einen Stoffball in die Ecke schmettern o.ä.

Gefühle in Worte zu fassen ist übrigens etwas, das man wunderbar vorleben und damit trainieren kann. Sage deinem Kind, welche Gefühle du gerade bei ihm wahrnimmst, ohne Ablehnung oder Urteil, z.B.: „Ich glaube, du bist gerade ganz schön traurig und auch wütend, stimmt das?“ Oder „Irgendwie scheinst du dich zu ärgern, richtig?“ So lernt dein Kind nach und nach, wie es seine Emotionen verbal äußern kann.

Ansonsten sollte man bei akuten Wutausbrüchen mit Worten eher sparsam sein. Lange Diskussionen und Lösungsvorschläge sind fehl am Platz, weil das Kind bei starker Wut gar nicht auf der Vernunftsebene zugänglich ist. Man muss das Kind daher erstmal auf der Gefühlsebene erreichen – durch Beschreibungen, was man gerade wahrnimmt und durch körperliche Angebote wie eine Umarmung, Streicheln, das Reichen eines Wutballs o.ä. Keinesfalls sollte man ein Kind aber gegen seinen Willen festhalten. Manchmal brauchen Kinder auch einfach Ruhe und Abstand. Akzeptiere das – nicht beleidigt, sondern mit der Botschaft: „Nimm‘ dir die Ruhe, die du brauchst, ich bin da, wenn du sprechen oder kuscheln willst.“

Es gibt Phasen, da haben Kinder 5-10 Wutanfälle an einem Tag und das kann Teil einer normalen Entwicklung sein. Wenn diese Phase aber monatelang anhält, die Wutanfälle extrem lange (länger als 15-20 Minuten) dauern, mit starker körperlicher Gewalt einhergehen oder dich als Elternteil aus anderen Gründen sehr verunsichern, ist es sinnvoll, sich an eine Erziehungsberatungsstelle

Wutanfälle als Zeichen der Erschöpfung

Wutanfälle treten manchmal auch dann auf, wenn dein Kind erschöpft ist. Denke darüber nach, ob euer Alltag zu hektisch ist, ob zu viele Eindrücke und Menschen auf dein Kind einwirken. Dann heißt es „weniger ist mehr“. Verbringt lieber einen ruhigen Nachmittag auf dem Spielplatz als einen weiteren Förderkurs zu buchen oder noch Spielfreunde einzuladen. Besonders wenn dein Kind tagsüber viel fremdbetreut wird, braucht es am Wochenende und abends eure Nähe und genug Entspannung – ganz ohne „Programm“.