Dass das eigene Kind sexuelle Gewalt erleben könnte, ist wohl der Albtraum aller Eltern. Und leider kommen entsprechende Vorfälle noch immer viel zu häufig vor. Als Mutter oder Vater hat man oft Schreckensbilder von Fremden vor den Augen, die dem Kind heimlich auflauern – der Großteil der sexuellen Übergriffe an Kindern geschieht allerdings durch Menschen, die der Familie bekannt sind. Daher sollten Eltern es immer ernst nehmen, wenn das Kind plötzlich bestimmte Menschen nicht mehr besuchen will oder nach Besuchen bei diesen ganz anders ist als sonst. Im Folgenden findet ihr konkrete Tipps, die euch zeigen, wie ihr euer Kind stark machen könnt, um das Risiko eines sexuellen Übergriffs zu reduzieren.
Schon im Baby- und Kleinkindalter sollten Eltern die Grenzen des Kindes respektieren. Das bedeutet z.B: Keinen Zwang zum Küsschen für die Tante oder zum Kuscheln mit dem Opa. Man sollte möglichst auch Festhalten beim Zähneputzen o.ä. vermeiden – das ist nicht immer umsetzbar, aber wann immer möglich, sollten Mütter und Väter auf körperlichen Zwang verzichten und versuchen, Situationen spielerisch lösen oder dem Kind noch ein paar Minuten zu geben und es dann noch einmal probieren. Wenn das Kind sich trotzdem weigert und die Eltern sich durchsetzen müssen (z.B. beim Anschnallen im Auto), sollten Eltern dabei ruhig bleiben und dem Kind erklären, dass es gerade nicht anders geht: „Du, ich finde das gerade auch ganz blöd, dich festzuhalten, aber ohne Anschnallen darf man nicht Auto fahren und wir müssen jetzt einfach los!“ Wichtig ist, das notwendige Festhalten in solchen Situationen nicht mit Aggression oder Wut zu verbinden, damit das Kind diese nicht als Gewalt erlebt. Wenn Kinder zuhause Gewalt durch Schläge oder häufiges Anschreien o.ä. erfahren, können sie sich meist schlechter gegen Gewalt von anderen Erwachsenen wehren.
Da Kinder vieles am Vorbild ihrer Eltern lernen, sollten diese ebenfalls eigene Grenzen freundlich, aber entschieden kommunizieren. Wenn beispielsweise Kleinkinder der Mutter in der Öffentlichkeit ständig das Oberteil herunterziehen oder, wenn Kinder kratzen oder beißen, dürfen und sollten Eltern mit ruhigen, aber klaren Worten deutlich machen, dass dieses Verhalten nicht in Ordnung ist.
Eltern sollten ihren Kindern vermitteln, dass ihr Körper ihnen selbst gehört und sie darüber bestimmen, wer ihn anfasst oder etwas anderes damit macht. Dazu gehört auch Respekt vor der Privatsphäre: Kinder dürfen selbst entscheiden, wann und von wem sie fotografiert werden.
Eltern sollten Kinder darin fördern, ihre eigene Gefühle wahrzunehmen und zum Ausdruck zu bringen, damit sie sich mitteilen können, wenn sie bedrängt werden oder (sexuelle) Gewalt erlebt haben. Dazu können Eltern schon Kleinkindern helfen, ihre Gefühle in Worte zu fassen. Wenn ein Kleinkind schreit, weil es etwas nicht darf, kann man mit mitfühlender Stimme sagen: „Ich sehe, du bist jetzt ziemlich wütend.“ Dabei ist es bedeutsam, die Gefühle der Kinder ernst nehmen, ohne sie zu verharmlosen oder infrage zu stellen. Verzichten sollten Eltern daher unbedingt auf Aussagen wie: „Es gibt überhaupt keinen Grund, jetzt wütend zu werden!" oder „Das ist doch nicht schlimm, da muss man doch nicht weinen!“
Außerdem sollten Eltern ihren Kindern beibringen, dass das eigene „Bauchgefühl“ wichtig ist, z.B.: „Wenn du mit jemand anderem zusammen bist und ein seltsames Gefühl hast, dann nimm' dieses Gefühl ernst. Geh' lieber nach Hause oder sprich' jemanden an, dem du vertraust.“
Selbstbewusste Kinder können sich besser wehren! Man kann das Selbstbewusstsein von Kindern fördern, indem man ihre Meinung ernst nimmt und sie häufig mitbestimmten lässt. Kinder sollten auch erleben, dass Erwachsene nicht immer Recht haben. Das ermöglicht es ihnen, Erwachsenen, die Grenzen überschreiten, wiedersprechen zu können. Dazu ist es wichtig, dass Eltern mit Kindern bestimmte Entscheidungen verhandeln, diese verständlich erklären und sich auch selbst mal entschuldigen, wenn sie einen Fehler gemacht haben (z.B. Anschreien, Ungeduld, etc.).
Wichtig ist, dass Kinder Aggression nicht als Normalität erleben. Höchstwahrscheinlich wird in jeder Familie mal geschrien und jeder Mensch wird mal wütend. Doch wenn Eltern ihre Kinder regelmäßig anschreien, schüchtern sie diese ein und vermitteln die Botschaft, dass Erwachsene Kinder aggressiv behandeln dürfen. Das macht es Kindern schwer, sich gegen Aggressionen und Grenzüberschreitungen zu wehren. Völlig tabu sollten Schläge oder andere Formen körperlicher Gewalt sein. Kinder entwickeln dadurch Angst vor ihren Eltern und oft gravierende psychische Probleme. Sich selbstbewusst gegen Gewalt anderer Erwachsener zu wehren, fällt diesen Kindern besonders schwer.
Probleme und Konflikte sollten in der Familie offen besprochen werden, damit Kinder es wagen, sich ihren Eltern anzuvertrauen. Dazu ist es hilfreich, wenn Mütter und Väter auch mal von sich erzählen – dass sie z.B. gerade Streit mit einem Kollegen hatten oder der Chef*in gemein war oder der Rücken schlimm weh tut, etc. Natürlich sollte man sich dabei kurzfassen und das Kind nicht mit Weinkrämpfen oder ähnlichen Gefühlsausbrüchen überfordern. Aber es hilft, wenn Kinder erleben, dass auch ihre Eltern offen über Belastungen reden. Wenn Kinder von Problemen erzählen, sollten Eltern aufmerksam zuhören und das Kind nicht direkt mit Lösungen überfallen. Sinnvoller ist es, zuerst Anteilnahme auszudrücken und die Gefühle des Kindes in Worte zu fassen. „Da bist du jetzt richtig enttäuscht, was? Das kann ich gut verstehen.“ Etwas später kann man dann versuchen, das Kind bei einer eigenen Lösung zu unterstützen.
Eltern sollten Kindern vermitteln: „Wenn jemand dir sagt, dass du etwas nicht weitersagen darfst und es geht dir aber schlecht damit, dann höre nicht auf ihn! Es gibt schlechte Geheimnisse – Geheimnisse, die uns nicht gut tun – und die muss man jemand anderem sagen. Und uns darfst du alles erzählen.“
Sexualität sollte in der Familie kein Tabu-Thema sein: Ein unverkrampfter, sachlicher Umgang mit Sexualität hilft Kindern, selbstbewusst mit ihrem Körper umzugehen. Das heißt nicht, dass man ständig darüber sprechen sollte, aber Eltern sollten Kindern ihre Fragen zur Sexualität angemessen beantworten. Also keine "Bienchen und Blümchen"-Geschichten, sondern altersentsprechende und zugleich wahrheitsgemäße Erklärungen (siehe Aufklärung - wann und wie erklär ich's meinem Kind? und Hannah Löwe-Video Sexuelle Aufklärung - schon kleine Kinder sind neugierig!).
Kindern sollten wissen, dass sie nie mit Fremden mitgehen dürfen (auch nicht, wenn diese Bonbons oder etwas anderes Tolles versprechen) und, dass sie keine Fremden in das Haus lassen sollte, wenn die Eltern nicht dabei sind. Fremden sollte man auch nicht einfach sagen, wie man heißt und wo man wohnt.
Gerade jüngere Kinder sollten möglichst nicht allein gehen, sondern längere Wege mit Schulkameraden oder Freunden gehen (z.B. den Schulweg). Eltern sollten mit ihrem Kind besprechen, was es machen kann, wenn z.B. jemand es festhalten oder anfassen will: Laut um Hilfe rufen ("Hilfe! Feuer! Lassen Sie mich los!"), wegrennen (möglichst zu anderen Menschen, in ein Geschäft o.ä. und diese um Hilfe bitten), Strampeln, Treten oder Kratzen (Notwehr ist immer erlaubt!).
Sobald Kinder bzw. Jugendliche im Internet unterwegs sind, sollten die Eltern mit ihnen besprechen, wie man sein Profil sichert, welche Informationen man nicht online stellen sollte (z.B. die Adresse), dass man sich nie allein mit Internetbekanntschaften treffen und vorsichtig mit eigenen Fotos umgehen sollte.
Eltern sollten ihre Kinder immer ernst nehmen und nie den Eindruck vermitteln, dass sie ihnen nicht glauben. Wenn ein Kind z.B. eine bestimmte Person nicht mehr treffen will, sollte man das darauf Rücksicht nehmen und vorsichtig nach den Gründen fragen. Auch wenn das Kind sich verändert, bedrückt wirkt oder sich plötzlich ständig "daneben benimmt" sollten Eltern wachsam reagieren.