Format: Interview – Mikrofon auf dem Tisch
Interview

Regenbogenfamilie – Zu wem von Ihnen sagt das Kind dann Mama?

Interviewpartner - Bjoern & Christian von papaundpapi

Eine ganz normale Regenbogenfamilie – das sind Bjoern und Christian mit ihrem Sohn Lukas. Im Interview erzählen sie uns, welchen aufreibenden, lehrreichen und spannenden Weg sie gegangen sind und noch gehen, um als homosexuelles Paar mit Kind leben zu können. Sie wollen aufrütteln und wachmachen, für Toleranz und Akzeptanz kämpfen und Vorurteile abbauen. Sie haben sich geschworen: „Solange unser Thema ein Thema ist, muss es auch ein Thema bleiben!

Lesezeit: Etwa 20 Minuten
Von hinten zu sehen. Zwei Männer umarmen sich und haben Jungen auf der Schulter.

War für euch von Anfang an klar, dass ihr mit Kindern leben möchtet?

Christian
Ich hatte mein ganzes Leben lang den Wunsch, Kinder zu haben. In meiner Jugend, als das Thema Outing noch kein so großes Thema war, war für mich klar, mit einer Frau zusammen zu sein und Kinder zu bekommen. Bis ich gemerkt habe, dass es mit den Frauen eher schwieriger ist und ich begriffen habe, dass ich mich zu Männern hingezogen fühle und dass ich schwul bin. Ab da hatte ich diesen Wunsch irgendwie begraben. Vor über 20|25 Jahren war das überhaupt kein Thema – es war undenkbar, dass ein homosexuelles Paar Kinder großziehen können. Ich hatte dies schon damals bei der Partnerwahl nie das als Kriterium gesetzt. Aber ich habe es irgendwie immer versucht abzuklopfen. Zukunft, Heirat, Kinder? Das war mir schon immer wichtig.

Bjoern
Christian und ich haben uns beide mit Mitte 20 geoutet. Ich war damals Babysitter der Straße. Ich habe z.B. Betriebspraktikum im Kindergarten gemacht, also sehr kinderaffin. Aber für mich war klar, in dem Moment wo ich ausspreche, dass ich schwul bin, setze ich einen Haken dahinter. Es gibt prominente Beispiele, wie Patrick Lindner und sein Mann, wo das Kind aus dem Ausland kam. Sowas ist nur möglich ist, wenn man über entsprechende Mittel verfügt. Für mich war dann klar, dass ich da nicht hinkommen würde – und so habe ich es abgehakt. Interessanterweise genauso wie meine Mutter. Das Thema war dann auch für sie vom Tisch. Als wir dann vor fünf Jahren gesagt haben: „Wir kriegen ein Kind,“ ist die Emotion erst mal ausgeblieben. Dass sie Oma wird und auch das Thema heiraten – damit kam sie erstmal gar nicht klar, weil das für sie vor 24 Jahren abgehakt wurde.

Ein Kind zu adoptieren, bevor die Ehe für alle kam, war wahnsinnig aufwendig und irgendwie auch unrund. Das Thema war damals noch ein Stück weiter weg. Abgesehen davon hat uns jeder abgeraten und gesagt, in Deutschland zu adoptieren ist unmöglich. Vom Pflegekind hat nie jemand gesprochen. Wir waren da insgesamt relativ blauäugig. Wir hatten uns informiert, kurz bevor die Ehe für alle kam, und da gab es schon die ersten Zweifel, ob Adoption unser Weg sein würde. Aber dann hat uns das Glück in die Karten gespielt. Der Ausspruch von Angela Merkel 2017, dass die Ehe für alle gilt und wir somit die gleichen Rechte hatten, war für uns der Startschuss damals. Plötzlich gab es immer mehr Beispiele, auch aus unserem eigenen Bekannten-und Freundeskreis von homosexuellen Paaren, die Kinder bekamen.

Kam die Option ‚Leihmutter‘ für euch in Frage?

Bjoern
Nein, das Thema Leihmutter war kein Thema zwischen uns. Warum es von Anfang an nicht stattgefunden hat, kann ich gar nicht sagen. Vielleicht weil es sich für uns damals schon so fremd anfühlte, dass es für uns einfach nicht in unser System passte. Heute würden wir dies sehr klar unterstreichen, weil wir sehr viel gelernt haben – auch über Wurzeln von Kindern. Über Bindung und was Kindern wichtig ist und welche Fragen sie irgendwann stellen. Ich selbst kenne meinen biologischen Papa nicht. Das ist und war völlig ok für mich, denn ich habe eine Wurzel, nämlich meine Mutter. Und bei einer Leihmutterschaft geht es dann da schon los. Was erkläre ich dem Kind? Für die ganze Welt ist klar, dass die Frau den dicken Bauch bekommt, das Kind dann gebärt und das ist die Mama. Aber das ist bei einer Leihmutterschaft nicht so. Ich finde das für ein Kind ganz schwer nachzuvollziehen und zu erklären. Und das wollten wir nicht.

Christian
Hinzu kommt, dass uns klar war, dass es bereits so viele Kinder da draußen gibt – auch in Deutschland. Viele glauben immer noch, man muss ins Ausland. Das ist ein bisschen irritierend. Man geht oft erst ins Ausland, bevor man im eigenen Land schaut. Uns war damals relativ schnell klar, nachdem wir uns informiert hatten, dass es viele Kinder innerhalb dieses Landes gibt, die in einem Heim oder in Pflegefamilien leben. Warum schenkt man einem Kind nicht, das eh schon auf der Welt ist, ein tolles Zuhause? Anstelle noch ein Kind zusätzlich in die Welt zu setzen, nur damit wir sagen können, dass einer von uns beiden seine Gene weitergibt. Das war uns nie wichtig, weil wir nie die Liebe und die Zuneigung abhängig davon machen wollten, ob das Kind jetzt ein Teil von uns ist, genetisch, oder eben nicht. Es hat für uns nie einen Unterschied gemacht.

Bjoern
Auf der anderen Seite ist der Vorteil einer Leihmutterschaft, sowie bei Adoption auch – wenn man durch das ganze Prozedere durch ist – das man quasi auch Ruhe hat. Da sitzt dann kein Amt mehr hinter dir. Aber die Auseinandersetzung mit den Ämtern, war und ist letztlich etwas, das für uns dazugehört.

Christian
Außerdem kommt erschwerend hinzu, dass wir bei einer Leihmutterschaft von extrem hohen Kosten sprechen. Auch das Thema Anonymität spielt eine Rolle. Normalerweise ist die Eizellen-Spenderin anonym. Mittlerweile haben wir gelernt, dass es auch so etwas wie eine ‚offene Spende‘ gibt, also keine anonyme Spenderin. Das wiederum ist gut für das Kind, weil es die Möglichkeit hätte, seine Ursprungs-Wurzel kennenzulernen, sprich die der Spenderin – also die Mutter. Aber das ist relativ neu und gibt es noch nicht so lange.

Ist der Adoptions-Prozess für hetero- und homosexuelle-Paare gleich?

Bjoern
Wir wissen natürlich nicht, wie alle Jugendämter in Deutschland das handhaben. Wir gehen aber davon aus, dass es keine gesonderten Prozesse gibt! Aber die Menschen dahinter, sind unterschiedlich. Da geht es meist um Prozesse, die jahrzehntelang so waren, wie sie waren. Dokumente, die so waren, wie sie waren. Dann kommen wir bunte Vögel daher, und wirbeln dieses ganze System plötzlich durcheinander. Ich glaube, an vielen Stellen kann man den Mitarbeiter*innen gar keinen Vorwurf machen, weil sie jahrzehntelang in diesem Korsett gearbeitet haben. Man hat es uns sicherlich nicht schwerer gemacht als Hetero-Paaren. Wir haben gemerkt, dass es sich das eine oder andere Amt selbst schwer macht, weil sie den Horizont so schnell gar nicht aufbekommen. Ich weiß nicht, wie oft sich Christian in irgendeine Spalte eingetragen hat, wo dann FRAU stand, weil sie mit der Umstellung der Dokumente nicht schnell genug waren. Andere Pärchen, mit denen wir z.B. über Instagram im Kontakt sind, berichten uns, dass diese Dokumente bis heute nicht geändert wurden. Oft genug sah uns der Mitarbeiter*in an und stellte die legendäre Frage: „Zu wem von Ihnen sagt das Kind dann Mama?“

Christian
Es gibt eine große Unsicherheit seitens der Mitarbeiter*innen. Z.B. Wie stelle ich die Fragen? Wie weit darf ich mich trauen, intime Fragen zu stellen? Wer übernimmt denn von Ihnen, um beim Rollenklischee zu bleiben, die Mama?  Es ist sicher auch für sie totales Neuland. Weg vom klassischen Vater-Mutter-Kind-Modell hin zu zwei Papas oder Mamas. Ich finde es noch nicht einmal verwerflich das zu fragen, weil wir damit auch manchmal kokettieren, Spaß machen und sagen: „Ich bin jetzt halt die Mama und Bjoern ist eher der Papa.“ Tatsächlich ‚kreiert‘ das Kind letztendlich ‚unsere Rolle‘ selbst. Wenn es ihm beispielsweise schlecht geht und es Zuneigung braucht, weil es gerade krank ist, dann bin ich eher der Ansprechpartner. Wenn es ums Bauen, Klettern, Basteln, Erkunden, Ritter spielen geht, dann ist es Bjoern.

Ich gehe noch eine Stufe weiter und frage: Warum braucht es diese Rollen überhaupt? Warum müssen wir denn überhaupt in Rollen denken? Jeder Mensch hat doch unterschiedliche Dinge, der er gut und weniger gut kann. Wenn man zu zweit ist, dann ist es ja völlig legitim und sehr schön, wenn man sich aufteilen kann. Das Kind spürt und versteht sehr schnell welche Bedürfnisse es bei wem erfüllt bekommt. Aber dabei geht es nicht um Mann, Frau, Mama, Papa, sondern darum, dass da zwei Menschen sind, die unterschiedliche Talente in sich tragen.

Statt Adoption habt ihr euch für den Weg ‚Pflegekind‘ entschieden. Warum?

Bjoern
Christian fragte mich: „Kannst du dir vorstellen, ein Pflegekind aufzunehmen?“ Da habe ich gesagt: „Nein, natürlich nicht.“ Das war eine Horrorvorstellung. Kind kommt, bleibt zwei Jahre und geht dann wieder raus. Dann habe ich ihn gefragt: „Kannst du dir vorstellen, ein Kind zu adoptieren?“ Er sagte: „Ja klar, Hauptsache, der Kinderwunsch wird erfüllt.“ Dann haben wir den kompletten Adoptions-Prozess durchlaufen und viel über Wahrscheinlichkeiten gelernt. Du bewirbst dich im eigenen Landkreis und darfst dich ggfs. auch in anderen Landkreisen bewerben. Nicht jeder nimmt dich auf, weil es einfach zu viele Bewerber*innen gibt, die adoptieren möchten und zu wenig Adoptivkinder. Währenddessen haben wir sehr viel über Pflege gelernt. In einem anderen Landkreis gibt es eine Art Kurzzeitpflege. Da wird abgeklopft, kommt das Kind wieder? Kann es wieder zurückkommen? Und erst wenn das mit Nein beantwortet wird, geht es in die Dauerpflege. So ist das bei uns. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind aus der Dauerpflege wieder rausgenommen wird, ist unfassbar gering. Und mit dieser Wahrscheinlichkeit konnte ich leben. Daher haben wir uns dann für den Pflege-Prozess entschieden.

Christian
Wenn man beispielsweise an Adoption denkt, ist es meist eine anonyme Adoption, das heißt, man hat wenig Informationen über die Herkunft des Kindes, über die Eltern. In vielen Fällen gibt es Probleme, die das Kind von seiner Herkunftsfamilie ‚mitbekommt‘. Oft spielen Drogen und Alkohol seitens der leiblichen Eltern eine große Rolle. Dass ist nicht zu unterschätzen. Als Pflegeeltern, das haben wir gelernt, bekommt man in den meisten Fällen mehr Informationen. Oft gibt es auch Kontakt zu den leiblichen Eltern.
Es ist das Recht der leiblichen Eltern, Besuchskontakt zu ihrem Kind zu haben. Insgesamt haben wir das Thema Pflege sehr positiv kennengelernt. Wir sind froh, dass wir das gemacht haben. Letztlich wurde uns auch ganz klar gesagt, Adoption in Deutschland funktioniert, aber kann tatsächlich sehr lange dauern oder gar nicht. Für uns ist es kein wirklich großer Unterschied mehr zwischen Adoption und Pflege. Klar, es gibt ein Jugendamt, dass dabei ist.

Wie präsent ist das Jugendamt?

Wir haben ein gutes Verhältnis zu den Mitarbeiter*innen des Jugendamts. Man kann sagen, dass sich über die Zeit ein gegenseitiges Vertrauen aufgebaut hat. Das schätzen wir natürlich sehr. Wir bekommen regelmäßig Besuch vom Jugendamt. Da es bei uns wie in einer ‚ganz normalen Familie läuft‘, sind die Besuche sehr entspannt. Es kommt meist dieselbe Person, daher fühlt es sich über die Zeit schon fast an, als würde eine gute Bekannte zu Besuch kommen. Wir tauschen uns über das Familienleben aus und es wird abgeklärt, ob wir uns an irgendeiner Stelle Unterstützung wünschen etc. Dann kommt es auch schonmal vor, dass alle auf dem Fußboden sitzen und mit dem Kind spielen.

Wie sind eure Familien und Freunde mit euch als Regenbogenfamilie umgegangen?

Christian
Viele Freunde haben sich gefreut. Sie wussten schon aus zahlreichen Gesprächen, dass es ein Wunsch von uns ist und haben uns sehr unterstützt. Auch wenn ich glaube, dass der eine oder andere sich gefragt hat, ob wir das wirklich durchziehen. Gerade von den Freunden, die selber Kinder haben, kam immer dieser klassische Spruch: „Ja, aber mit Kind verändert sich alles.“ Wir wollten ja genau diese Veränderung. Viele haben mitgefiebert und sich riesig gefreut und uns oft gefragt, wann es denn so weit ist. Irgendwann waren wir es leid und haben uns sehr lange mit Informationen zurückgehalten, wie weit wir im Prozess sind. Wenn man nicht im Prozess drinsteckt, ist es sehr schwer zu verstehen ist, wie lange alles dauert.
Als wir dann mit dem Prozess durch waren, haben wir Freunden und der Familie gesagt, dass es jetzt jeden Tag passieren kann. Dann ging es auch sehr schnell. Es hat nur vier Tage gedauert, bis das Telefon klingelte.

Bjoern
Ich weiß ich nicht, ob das bei heterosexuellen Paaren auch so ausgeprägt ist. Bei uns gab es Stimmen aus dem Freundeskreis, die dann hinterfragt haben, wie und ob wir das überhaupt hinbekommen. Ich, als geradliniger, sehr lösungsorientierter Mensch der genau weiß, was er tut. Und Christian, der eher ein Lebemensch ist – was will der mit einem Kind? Innerlich dachte ich: Was soll das? Wir haben gar nicht nach eurer Meinung gefragt.

Ist das bei Schwangeren auch so, dass plötzlich jeder eine Meinung dazu hat, ob die Schwangerschaft gut ist oder nicht? Zumindest hat man das uns gegenüber auch oft geäußert und das fand ich schrecklich und schlimm. Wir werden uns ja Gedanken gemacht haben, ob wir das wollen oder nicht. Ich bin sicher, wenn sich jemand Gedanken macht, dann sicherlich Regenbogenfamilien. Insbesondere schwule Regenbogenfamilien, einfach auch, weil es ein großer ‚technischer‘ Aufwand ist.

Wie eingangs schon gesagt, bei meiner Mutter war Stille am Telefon, weil sie das in dem Moment komplett überfordert hat. Nach 20 Jahren kommt der Bub um die Ecke und sagt:
„Du bist Oma“. Wir haben in unserer Podcastfolge gerade darüber gesprochen und meine Mutter sagte, dass ihr das im Nachhinein total leid tut. Das war halt die erste Emotion. Heute ist es für meine Eltern ganz klar, dass es ihr Enkelkind ist. Da stellt keiner mehr in Frage, ob es nun die eigenen Gene sind oder nicht.

Christian
Bei mir war es in der Familie genauso. Direkte Offenheit, Vorfreude, Neugier. Ich glaube, die Überraschung war nicht ganz so groß, weil es immer ein Wunsch von mir war. Sie waren eher überrascht darüber, dass ich es wirklich durchgezogen habe. Tatsächlich muss ich sagen, wäre Bjoern nicht an meiner Seite gewesen, wäre ich nie so schnell und so weit mit dem Prozess gewesen. Dieser bürokratische Irrsinn ist einfach so riesig. Das ist etwas, was ich gerne zur Seite schiebe. Da waren sie alle überrascht, dass es dann doch so schnell geht und wir das so zielstrebig gemacht haben. Das muss ich Bjoern aufs Plus-Konto schreiben, dass er da so Gas gegeben hat.

Bjoern
Es gab auch Freundschaften, die sich aufgelöst haben. Das erleben sicherlich heterosexuelle Paare genauso. Da geht es dann oft um Freunde, die selber keine Kinder haben. Die Themen drehen sich dann natürlich vermehrt um das Kind. Die Party endet für dich dann früher, weil du genau weißt, dass du früh aufstehen musst. Das verstehen und akzeptieren nicht alle.

Christian
Eine Sache fand ich noch ganz spannend. Es gab Menschen, die haben während des Prozesses extremst mitgefiebert, haben sich aber, seit das Kind da ist, komplett zurückgezogen. Andere wiederum, die sich am Anfang überhaupt nicht für das Thema interessiert haben und es nicht greifen konnten, haben jetzt eine enge Bindung zu unserem Sohn aufgebaut. Für sie ist es total wichtig, ihn regelmäßig zu sehen. Also auch das hat sich verändert und ist total spannend zu sehen.

Die leiblichen Eltern könnten jederzeit wieder auftauchen. Wie geht ihr mit dieser Unsicherheit um?

Bjoern
Grundsätzlich weiß man ja nie, was da ‚auf der anderen Seite‘ passiert. Auch wenn es Kontakte gibt und diese toll laufen, können die Eltern jederzeit den Antrag auf Rückführung stellen, solange, bis das Kind volljährig ist. Ob sie damit durchkommen, ist die andere Frage. Es ist schon ein bisschen ein Tanz auf dem Drahtseil, auch emotional. Da ist Christian viel emotionaler. Er hat dies in der Vergangenheit immer wieder durchgekaut. Und ich habe irgendwann immer klarer gesagt, dass ich das nicht kann. So wie Christian immer darüber reden musste, genau so kann ich nicht darüber reden. Es schränkt mich in meinem alltäglichen Dasein mit dem Kind emotional ein. Ich kann mir nicht jeden Tag darüber Gedanken machen, ob jetzt irgendwer kommt und irgendwelche Ansprüche stellt. Ich kann immer nur versuchen, in den Situationen bestmöglich damit umzugehen.
Tatsächlich haben ja auch Pflegeeltern Rechte, wenn ein Kind eine bestimmte Zeit in einer Pflegefamilie ist. Hierfür gibt es Fachanwälte und es gibt Richter. Natürlich gibt es konservative Richter, die nicht gerade gut auf unser Familienmodell zu sprechen sind. Es gibt Richter, die sagen würden, ein Kind gehört zu seiner Mutter, also zu einer Frau und nicht zu zwei Männern. Aber Gott sei Dank stehen wir an so einem Punkt nicht, dass wir das gerade irgendwo diskutieren müssen. Aber klar, wenn man da länger drüber nachdenkt, dann wird einem ganz schlecht.

Christian
Aus dem Alltag muss dieses Thema raus, sonst schwebt da immer diese Wolke über dir. Es gibt Momente, wo man kurz darüber nachdenkt. Im Laufe der Zeit und mit den Jahren wird das aber besser. Man wird selbstsicherer. Es kommt auch immer darauf an, in welchem Alter ein Kind zu einem kommt. Gerade in den ersten drei Lebensjahren ist Bindung extrem wichtig. Wenn ein Kind im ersten Lebensjahr in eine Pflegefamilie vermittelt wird, gehen wir davon aus, dass es unwahrscheinlich ist, dass man es mit sechs, sieben Jahren dort rausreißen würde, weil die Bindung so stark ist. Man würde diesem Kind sehr schaden. Wenn ein Kind beispielsweise mit acht, neun Jahren in eine Pflegefamilie kommt und die leiblichen Eltern kennt, ist das eine ganz andere Ausgangssituation. Es kommt auch ein Stückweit die Erfahrung von anderen Pflegefamilien hinzu, von denen wir lernen. Ja, es gibt Einzelfälle, bei denen es Rückführungen gab. Da gibt es meist aber immer eine Geschichte dazu. Mit all diesem Wissen, fällt es auch mir irgendwann leichter, nicht mehr großartig drüber nachzudenken, sondern daran zu glauben, dass das Glück auf unserer Seite ist.

Hat sich eure Beziehung verändert? Habt ihr unterschiedliche Erziehungsvorstellungen?

Christian
Es gibt viele Paare, auch heterosexuelle Paare, die glauben, ihre bereits bröckelnde Beziehung durch ein Kind zu retten. Das erleben wir immer wieder. Oder beispielsweise auch durch ein zweites Kind retten zu wollen. Ich glaube jeder, der diesen Gedanken hat, sollte einmal tief in sich gehen, denn letztlich verändert ein Kind die Beziehung drastisch. Themen wie: Verändern sich unsere Gemeinsamkeiten? Wie und wann verbringen wir Zeit miteinander? Und Zärtlichkeiten? Das ist etwas, was sich verändert. Man ist oft müde und manchmal gereizt.

Wir hatten auch mit dem Jugendamt darüber gesprochen, wie wir uns Erziehung vorstellen, wie wollen wir unser Kind begleiten? Das ist alles schön in der Theorie. Aber der Alltag schreibt dann eben doch etwas anderes. Dann ist vielleicht mal Bjoern der strengere oder auch anders herum. Es kommt immer auf die Situation an, das kann man pauschal gar nicht sagen. Gerade wenn das Kind noch jung ist, macht das etwas mit einem. Die Beziehung muss schon gefestigt sein. Ich denke, man muss bereit sein, ein Stück weit verzichten können auf das, was man vorher hatte. Man muss viel miteinander reden. Ein Kind verändert die Beziehung ganz gewaltig.

Bjoern
Wir würden jedem heterosexuellen Paar wünschen, dass sie auch nur Teile dieser Adoptions- oder Pflege Prozesse durchmachen müssen, um sich vieler Dinge über die Beziehung bewusst zu werden. Es ist wie ein Führerschein für das Begleiten/Erziehen von Kindern. Es geht ja nicht darum, dass man im Vorfeld schon den perfekten Erziehungsstil hat. In diesem Prozess geht es vielmehr um Reflektion. Wie sind wir selber groß geworden? Was haben wir für Werte mitbekommen? Was finden wir gut daran, was nicht?

Ich glaube, viele hetero-Paare gehen gar nicht in diese Reflektion. Da wird die Frau schwanger, das Kind ist da und dann passieren Dinge und alle wundern sich: Wo kommt das eigentlich her? Warum macht mich das aggressiv? Warum triggert mich das Kind?

Ich glaube, da haben wir einen großen, theoretischen Vorsprung. Ich habe meinen Mann noch mal komplett anders kennengelernt. Manchmal kamen da Sätze, die unglaublich reflektiert waren. Hätte ich nie gedacht, weil Christian immer ein bisschen der Träumer von uns beiden war. Ich hätte ihn so nie kennengelernt, wenn wir nicht durch diesen Prozess gegangen wären.

Christian
Wir mussten uns in diesem Prozess auch gegenseitig sagen, was wir aneinander schätzen – auch in Bezug auf das Thema Erziehung. Das war und ist mir ganz wichtig. Inzwischen arbeiten wir zwar als Influencer, aber uns inspirieren natürlich auch viele andere Menschen, die für uns eine Hilfe gewesen sind. Fragen wie: Wie gehe ich mit bestimmten Situationen um? Beispielsweise Medienkonsum oder wie gehe ich in der Autonomie- (Trotzphase) mit meinem Kind und Partner um. Wir haben uns da viel abgeschaut. Wir hatten viele Live-Talks dazu und haben es nicht nur für die Community gemacht, sondern auch für uns sehr viel davon mitgenommen.

Bjoern
Es hilft natürlich generell, offen und neugierig zu sein, Interesse an der Welt zu haben. Warum sind Dinge so, wie sie sind? Wir haben eh schon ein sehr gutes Reflexionsverhalten und bekommen im Zusammenleben mit Kind die Chance, dies weiter auszubauen. Das kommt allen Beteiligten zugute.

Christian
Wir sind auch oft sehr stolz. Wir waren nie Freunde davon, unser Kind vor ein Handy zu setzen. Dadurch, dass wir in der Öffentlichkeit stehen, glauben viele, dass unser Handy an uns kleben würde. So ist es aber nicht. Es ist uns wichtig, dass unser Sohn ein bisschen so aufwächst, wie wir aufgewachsen sind. Sich etwas zum Spielen oder Malen mitzunehmen, wenn wir z.B. im Restaurant sind, ohne das dem Kind gleich das Handy zum Spielen gegeben wird. Viele Eltern machen das so, was sicherlich in gewissen Situationen nachvollziehbar ist.

Was wünscht ihr euch von der Gesellschaft und Politik?

Bjoern
Wir wünschen uns eine bunte Welt. Wir waren gerade auf der ColognePride und oben auf dem Wagen habe ich oft eine Gänsehaut bekommen, weil ich das so bereichernd fand zu sehen, dass so viele Leute glücklich sind. Wir haben in sehr viele glückliche Gesichter geschaut, die einfach ausgelassen sie selbst waren. Es war ein Sonntag – und am Montag? Der Großteil dieser Menschen ist heute wieder jemand anderes, es wird wieder eine andere Rolle gespielt. Eine Rolle, die die Gesellschaft ihm aufoktroiert hat in Jobs, bei homophoben Arbeitgebern. Das empfinde ich als schlimm und schrecklich.

Wir alle sind im Kern bunt, aber viele von uns haben sich irgendwann mal auf eine Schiene setzen lassen, die nicht zu uns passt. Und natürlich wünschen wir uns von der Gesellschaft eine noch viel größere Offenheit. Ich bin der Meinung, dass es ein Thema bleiben muss, solange es ein Thema ist. Warum brauchen wir heute noch einen CSD (Christopher Street Day)? Weil es diese Aufmerksamkeit braucht. Solange es immer noch Menschen gibt, die mit Hass, Ablehnung und Diskriminierung auf der Bildfläche erscheinen, so lange muss das ein Thema bleiben.

Christian
Von der Politik wünschen wir uns klarere Gesetze und Regeln für Kinder und auch Pflegeeltern. Die leiblichen Eltern verfügen über sehr viele Rechte, egal was sie ihren Kindern angetan haben. Diese Rechte stehen jedoch sehr oft über dem Wohl des Kindes, obwohl es angeblich immer um dieses geht. Sehr oft leiden die Kinder am meisten darunter, weil es ein Hin und Her gibt. Was dies aber mit dem Kind macht, hinterfragen die wenigsten. Und da wünsche ich mir ganz klar bessere und stärkere Gesetze für Kinder, um deren Wohl zu schützen.

Bjoern
Bei der Aussage: Es gibt konservative Richter, die ein anderes Familienmodell für das Kind befürworten, sträuben sich mir die Nackenhaare. Dann sollte jeder dieser konservativen Richter mal einen Tag lang hier bei uns Mäuschen spielen. Ich weiß nicht, ob er nicht mit ganz anderen Gedanken wieder gehen würde. Denn unser Kind ist glücklich. Unser Kind wird geliebt. Unser Kind führt ein ganz normales Kinderleben. Und ihm war scheißegal, ob er von zwei Männer, zwei Frauen oder einer anderen Konstellation geliebt wird. Ich bin die meiste Zeit alleinerziehend, großgeworden. Ich habe keinen Knacks wegbekommen. Warum? Weil ich geliebt wurde und weil ich das gemerkt habe.

Gebetsmühlenartig geht es immer um die Themen Akzeptanz und Offenheit. Deutschland steht in vielen Themen, was Kinder und Familien angeht, sehr hinten an. Über die Skandinavier haben wir sehr viel über die Modelle dort erfahren. Schulsysteme! Unfassbar. Hier klappt es noch nicht einmal, Wickeltische auf Männer-Klos zu montieren. Oder Familienparkplätze werden immer mit einem Frauen-Symbol gekennzeichnet – dieses typische Kleid-Symbol. Klar, diese ‚Kleinigkeiten‘ würden mein Leben nicht unbedingt verbessern, aber hier geht es um eine ganzheitliche Betrachtung und Offenheit. Das entsprechende Mindset fehlt oft noch.

Ein Mann mit Kind wird in der Gesellschaft angeglotzt, als käme er vom anderen Stern. Kriegt er das hin? Braucht er Hilfe? Das Kind eskaliert an der Supermarktkasse. Der Vater steht da. Muss ich ihm helfen? Muss ich eingreifen? Steht die Mutter da und dasselbe passiert, guckt keiner hin, weil in den Köpfen drin ist: Mutter! Kind! alles klar!

Habt ihr Tipps für Menschen, die sich mit diesem Thema befassen?

Bjoern
1.
Alle Möglichkeiten durchspielen. Alle Modelle in der Beziehung ansprechen: Adoption (Inland, Ausland) Pflegekind, Leihmutterschaft, Kooperativen usw. Wenn ein Partner mit einem Modell nicht klarkommt, dann nicht mit Druck einsteigen, sondern wirklich etwas finden, was für beide adäquat ist. Sonst funktioniert das langfristig nicht.

Christian

2. Langes Durchhaltevermögen. Die Dinge werden vom Jugendamt, sehr klar benannt. Das ist gut, da man dann weiß worauf man sich einlässt. Themen wie: Rückführung, Krankheiten der Kinder, psychische Traumata usw. Es wird sehr klar benannt und schreckt viele ab. Es ist ein langwieriger Prozess, aber es lohnt sich.

Bjoern
3. Das Bauchgefühl und authentisch sein. Alle Theorie ist nichts wert, wenn das Bauchgefühl nicht stimmt. Wir haben uns überlegt was will das Jugendamt von uns hören? Was müssen wir da sagen? Sollten wir dies erzählen oder jenes weglassen? Ist es positiv? Ist es ein Negativum, dass ich meinen Vater nicht kenne? Fangen die dann an zu bohren? Wir sind relativ schnell umgeschwenkt und haben entschieden, uns nicht zu verstellen – und das ist ganz wichtig.

4. Fachliteratur und Foren nur in Maßen – wenn überhaupt. Ich habe die Bücher irgendwann zugeklappt. Zuviel Theorie, irgendwie nett, aber nicht richtig am ‚echten‘ Leben dran. Jeder ‚Fall‘ ist individuell.

5. Hartnäckig bleiben. Manchmal gibt es bei den Ämtern unterschiedliche Regularien. Beim Thema Pflege kann man sich auch bei mehreren Ämtern/Landkreisen bewerben. Dir werden sicher immer irgendwo Leute begegnen, die dich doof finden, aber das sollten Menschen aus Regenbogenfamilien ja leider auch schon gewohnt sein. Widerstand wird kommen – bleibt dran, wenn ihr das wirklich wollt.

6. Für Integration sorgen. Präsenz zeigen. Nicht zu Hause verstecken und darüber grübeln, was andere denken könnten. Bei uns im Dorf zeigen wir uns auf vielen Veranstaltungen, zeigen Präsenz, gehen in den Kontakt und nehmen so den Wind aus den Segeln.

Christian
7. Für die Partnerschaft: Sprecht miteinander. Traut euch ehrlich zu sein. Was bewegt euch, was geht, was geht nicht. Nur so zeigt sich für eure Beziehung, ob ihr diesen Weg gemeinsam gehen möchtet und ob ihr ihn euch zutraut.

Christian
Bei unserer täglichen Arbeit auf Instagram mit @papaundpapi und in anderen sozialen und öffentlichen Medien geht es uns darum, Menschen die Augen zu diesen Themen zu öffnen. Da draußen gibt es viele Kinder, die z.B. Pflegefamilien suchen. Vielleicht öffnet ihr, als Regenbogenfamilie, einem Kind die Tür. Es kann total gut laufen. Es gibt viele Beispiele dafür. Letztlich ist uns wichtig, dass unser Sohn in 15 Jahren in seinen Lebenslauf reinschreiben darf: Meine Eltern sind Bjoern und Christian. Und keiner guckt mehr schräg, sondern sagt: Cool, er ist mit zwei Papas groß geworden. Da geht es weniger um uns. Es geht uns darum, diesen Kindern einen Weg zu ebnen.