Format: Artikel – Schreibfeder auf dem Tisch
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Dein Kind trödelt? Warum Kleinkinder sich ungern beeilen und ihr eigenes Tempo brauchen

Autorin - Sandra Lößl

In der heutigen Zeit führen wir oft ein Leben auf der Überholspur. Der Alltag verlangt von uns viel Struktur und Geschwindigkeit. Wir hetzen von Termin zu Termin. Ganz normal in einem Erwachsenenleben. Und dann werden wir Eltern. Damit ist erstmal alles anders und man lässt sich auf das Neue ein. Arbeitstermine entfallen erstmal und in der Regel hat man mit dem Baby auch noch nicht allzu viele Termine. Im Kinderwagen kommt das Kleine schnell mal mit und begleitet uns bei unseren täglichen Vorhaben.

Lesezeit: Etwa 5 Minuten
Kleinkind riecht an roter Blume im Garten

Beeil dich! Eltern mit Kleinkindern sind oft ungeduldig

Doch irgendwann wird aus dem Baby, das im Kinderwagen liegt – scheinbar von heute auf morgen - ein Kleinkind. Ein Kleinkind, das gelernt hat zu laufen und das auch zu jeder möglichen und unmöglichen Zeit ausprobieren möchte. Ein Kleinkind, das seine Umwelt intensiv wahrnimmt und erkunden möchte. Ein Kleinkind, das seinen eigenen Kopf hat und selbst entscheiden möchte, in welche Richtung es geht.

Diese Zeit ist oftmals geprägt von einem Satz. Dieser Satz ist einer, den ein Kleinkind wohl am häufigsten hört: „Beeil Dich!“ wahlweise haben Eltern auch folgende Sätze im Repertoire: „Mach bitte schneller!“ oder „Wir kommen zu spät!“ So ging es mir mit meinen Kindern und wie ich im Alltag und auf der Straße beobachten konnte, ging es scheinbar vielen Eltern ähnlich.

Kleinkinder brauchen Zeit zum Beobachten

Während ich in der Zeit mit meinen Kleinkindern noch Morgen für Morgen damit beschäftig war, schneller zu machen und das Tempo mit Kleinkind zu optimieren, lernte ich meine neue Nachbarin Christina und ihren Sohn, den knapp zweijährigen Thomas, kennen. Wenn ich meine Tochter in der Früh in den Kindergarten brachte, hatten die beiden Thomas´ Schwester Hanna bereits in der Kindergruppe abgeliefert und waren schon wieder auf dem Nachhauseweg. Im Schneckentempo liefen sie den Weg von der KiTa zurück zu unserer Siedlung. Als ich selbst auf dem Rückweg war, traf ich die beiden immer ein zweites Mal. Manchmal waren sie gerade mal 100 Meter weiter gekommen. „Wir sind heute wieder in „Thomasgeschwindigkeit“ unterwegs!“ sagte Christina stets schmunzelnd und betrachtete gleich wieder mit großem (und vor allem echten) Erstaunen ein Schneckenhaus, das ihr Thomas gerade unter die Nase hielt. Danach balancierte er auf einem kleinen Mäuerchen, hob einen Stein auf oder betrachtete ein unscheinbares Blümchen am Wegesrand. Diese beiden rührten mich. Sie kamen mir ein Stück weit vor wie die Schildkröte Cassiopeia in Michael Endes Kinderbuch „Momo“: Sie trugen ihre eigene kleine Zeit in sich…

Vier Gründe, warum Kleinkinder so langsam sind

1. Neugierde – Der Motor jeder Entwicklung

Kinder sind von Natur aus neugierig. Sie entdecken ihre Umgebung und lernen die Bedeutsamkeit von Dingen kennen. Wenn die Wahrnehmung heranreift, ist zunächst alles bedeutsam. Die kleine Schnecke kann genauso wichtig sein wie ein vorbeifahrendes Auto oder ein anderes Kind. Kinder priorisieren anders als wir Erwachsenen.

Wenn wir sagen: „Das ist doch nur ein Stein“ kann ein Kleinkind nicht nachvollziehen, warum dieser Gegenstand nicht wichtig sein sollte. Dieser eine Stein kann für ein Zweijähriges gerade sehr viel bedeuten. Das ist gut und wichtig. Denn nur, wenn Kinder neugierig auf ihre Umwelt sind, können sie Dinge kennen lernen und entwickeln im Umgang mit ihnen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Nach und nach können sie die Wichtigkeit und den Sinn der Dinge selbst einordnen und lernen die Welt verstehen.

2. Wiederholungen - Einmal reicht nicht

Kinder entdecken ihre Umwelt langsam und brauchen dabei viele, viele Wiederholungen. Es reicht ihnen nicht, wenn sie einmal gesehen haben, wie eine Schnecke in ihrem Häuschen verschwindet, wenn man sie berührt. Sie müssen das viele Male erlebt haben, bis sie für sich abspeichern können: „So läuft das also immer.“ Es könnte schließlich auch sein, dass die Schnecke beim fünften Mal einfach rausmarschiert aus ihrem Häuschen und einen kleinen Tanz aufführt. Woher sollen sie auch wissen, dass das unmöglich ist?
Genauso läuft es mit diversen motorischen Errungenschaften deines Kindes. Es reicht ihm z.B. nicht zu wissen, dass das Balancieren auf der Mauer jetzt funktioniert. Es kann keinen Haken dahinter setzen und sich sagen „Das kann ich jetzt. Ich muss das nicht mehr ausprobieren.“ Immer wieder will die neue Fertigkeit ausprobiert und die motorischen Errungenschaften optimiert werden.

3. Selbständig werden -  Selber machen braucht Zeit

Wir begleiten Kinder in eine Welt, in der sie sich früher oder später und Stück für Stück alleine bewegen sollen. Hierfür müssen sie sich Fertigkeiten aneignen, die sie für das Leben wappnen. Das fängt bei Kleinigkeiten wie dem Schuheanziehen an und geht bis dahin, dass sie alleine zum Nachbarskind gehen wollen oder beim Kochen die Möhrchen schnippeln möchten. Nur was ein Kind selbst erfahren kann, wird es auch wirklich lernen.  Und Kinder wissen das. Dass es anfangs natürlich lange dauert, bis der Schuh am Fuß ist (und dann auch noch am richtigen), ist klar. Hier braucht es vielfältige klein- und grobmotorische Fertigkeiten.  Aber was würde passieren, wenn dein Kind keine Lust hätte zu probieren? Es würde viele kleine und große Schritte in Richtung Selbständigkeit leider nicht machen können und somit lange von den Erwachsenen in seiner Umgebung abhängig sein.

4. Unter der Glasglocke – Kinder versinken im Hier und Jetzt

Wenn Kinder spielen oder die Welt entdecken, versinken sie oftmals ganz in dem, was sie tun. Als würden sie unter einer Glasglocke sitzen und es gibt dann nur das, was für sie gerade wichtig ist. Das kann eine Spielzeugeisenbahn sein, ein interessantes Bilderbuch oder eben auch der Umgang mit einem Alltagsgegenstand, wie z.B. einem Schuh. Kinder können ganz im Hier und Jetzt sein. Sie blenden alles was für sie unwichtig ist aus. Das kann auch die Mama sein, die sagt „Komm jetzt bitte, ich möchte mit dir einkaufen gehen!“. In dieser Situation hat die Auseinandersetzung mit einem selbstgewählten Spielzeug höchste Priorität und das Kind reagiert nicht auf das, was die Mama sagt. Wenn du in einer solchen Situation ungeduldig wirst und mit großem Druck reagierst, kann die Situation schnell eskalieren, denn dein Kind wird erst einmal darum kämpfen, dass es – bildlich gesprochen - unter seiner Glasglocke bleiben kann. Nicht selten ist ein Trotzanfall die Folge. Manchmal hilft es dir vielleicht, wenn du dir klarmachst, wie bewundernswert diese kindliche Fähigkeit ist, ganz bei einer Sache und im Hier und Jetzt sein können.

Ausgebremst oder entschleunigt? Vom Trödeln der Kinder lernen

Oft höre ich Klagen der Eltern, dass sie sich durch ihr Kleinkind in ihrem Alltag ausgebremst fühlen. Das ist ja auch so. Aber in einer Zeit, in der man Geld für Yoga, Achtsamkeitsübungen und Entschleunigungsseminare ausgibt, stelle ich mir immer wieder die Frage: Können wir die Langsamkeit unserer Kinder nicht als wertvolle Bereicherung für unseren Alltag sehen? Warum eigentlich nicht?

Versuche einmal, weniger Termine in deinen Alltag zu packen. Probiere doch mal einen Tag mit deinem Kind im Schneckentempo aus. Lass dich auf „Thomasgeschwindigkeit“ ein. Vielleicht entdeckst du eine Welt, die du schon lange vergessen hast und kannst die Dinge mit den Augen deines Kindes sehen. Viel Spaß dabei!