Format: Interview – Mikrofon auf dem Tisch
Interview

Julian Geist: "Darum stelle ich gerne Mütter ein"

Mutterschutz und Elternzeit als Karrierebremse? Julian Geist, Experte für Finanz- und strategische Kommunikation, viele Jahre tätig bei ProSiebenSat1 und heute bei Kekst CNC, erklärt, warum er gerne Mütter einstellt – nicht aus christlicher Nächstenliebe, sondern weil er der festen Überzeugung ist, dass Mütter einen gleich guten oder sogar besseren Job machen als Mitarbeiterinnen ohne Kind.

Lesezeit: Etwa 5 Minuten
Mutter und Kollegen am Arbeitsplatz

Was sind die besonderen Fähigkeiten von Müttern?

Ich stelle Mütter hauptsächlich deswegen gerne ein, weil sie – und das betrifft alle Mütter mit denen ich arbeite – multitaskingfähig, belastbar, flexibel und umsichtig sind. Das stimmt wirklich. Ich sage sogar immer scherzhaft, dass bei mir Mütter bei gleicher Eignung bevorzugt sind. Ich glaube, dass das Kompetenzen sind, die im Geschäftsleben wahnsinnig hilfreich sind und die vielleicht gegen die eine oder andere Krise, bei der die Mutter mal unvorhergesehen nach Hause muss, deutlich überwiegen, das heißt für mich: Die Vorteile überwiegen die Nachteile dramatisch.

Sind das generell Eigenschaften von Frauen oder Kompetenzen, die sich Mütter aneignen?

Ich würde sagen, dass es speziell Kompetenzen sind, die sich Mütter aneignen. Ich bin sehr vorsichtig, Aussagen darüber zu machen, ob es spezielle Eigenschaften von Frauen und spezielle Eigenschaften von Männern gibt. Die Erfahrung zeigt, dass das nicht stimmt. Ich generalisiere auch ungern. Ich kann zum Beispiel nicht sagen, ob möglicherweise ein alleinerziehender Vater nicht auch die selben Kompetenzen entwickelt - ich vermute mal ja.

Es gibt in unserer Branche ein legendäres Beispiel für einen alleinerziehenden Vater: Das ist Claude Schmit. Er ist der Geschäftsführer von Super-RTL, also bei der Konkurrenz. Claude Schmit ist vor vielen Jahren mit drei kleinen Kindern Witwer geworden. Er hat damals gesagt, dass es möglich sein muss, Geschäftsführer eines Fernsehsenders zu bleiben und trotzdem ein alleinerziehender Vater mit kleinen Kindern zu sein. Ich vermute, dass er die angesprochenen Kompetenzen auch hat. Ich glaube, dass die besonderen Kompetenzen sich einfach mit dem Elternsein entwickeln.

Worin bestehen die spezifischen Kompetenzen von Müttern?

Es ist die Fähigkeit zum Multitasking, die Belastbarkeit und die Flexibilität. Zudem sind sie meistens wahnsinnig gut in der Planung und sehr umsichtig. Mütter können auch gut mit Krisensituationen umgehen und in der PR haben sie damit eigentlich täglich zu tun. Ich spreche jetzt hauptsächlich von meinem Bereich. Das sind alles Kompetenzen, die ich für absolut zentral halte, um gut in dem Job zu sein, in dem wir hier unterwegs sind.

Gibt es aus Arbeitgebersicht auch negative Seiten?

Ehrlich gesagt sehr wenig. Dass eine Mutter, seltener ein Vater, manchmal einfach gehen muss, weil das Kind im Kindergarten krank ist und sie es abholen muss, finde ich wirklich vernachlässigbar. Das Einzige, was vielleicht ein Nachteil sein könnte, ist die erhöhte Arbeitsorganisation, aber das ist eher eine Herausforderung für die Kollegen und Vorgesetzten. In meinem größten Bereich arbeiten 56 Personen. Wir haben sehr viele Teilzeitjobs, weil wir überproportional viele Mütter im Team haben. Die müssen sich untereinander abstimmen, damit die Übergaben funktionieren. Die Kollegin, die vormittags da ist, übergibt an die Kollegin, die nachmittags da ist. Doch damit habe ich, ehrlich gesagt, noch nie negative Erfahrungen gemacht. Ich glaube nicht, dass es per sé besser ist, eine Person zu haben, die acht Stunden am Stück arbeitet.

Und Mütter als Führungskräfte?

Wir haben sehr viele Mütter als Führungskräfte. Ich glaube, der überwiegende Teil meiner Führungskräfte sind Mütter. Die sagen natürlich, dass sie momentan 80% arbeiten, faktisch sind es jedoch 100%. Hier wird viel gearbeitet, aber ich empfinde Teilzeit grundsätzlich nicht als Nachteil, wenn man es gut organisiert. Es gibt eine Grenze, die bei unter 70% liegt. Dann wird es, wie ich glaube, ein Problem, zumindest ein größeres Team zu leiten. Zudem würde ich sagen, dass eine Führungsposition bei 50% schwierig ist, das hängt aber auch mit unseren internen Strukturen zusammen.

Mütter kehren nach der Elternzeit zurück – Welche Veränderung nehmen Sie wahr?

Die Meisten sind wahnsinnig froh, wieder im Job zu sein. Unser Bereich ist zwar stressig, aber auch intellektuell herausfordernd. Sowohl in meinem Arbeits- als auch in meinem persönlichen Umfeld beobachte ich, dass sich die Mütter, die schnell oder innerhalb der drei Jahre zurück kommen, meistens intellektuell alleine zuhause mit ihrem Kind unterfordert gefühlt haben. Ich denke, dass sich diese Mütter freuen, im Job wieder eine andere soziale Interaktion und eine intellektuelle Herausforderung zu haben.

Bei Müttern, die wieder einsteigen, besteht am Anfang eine gewisse Nervosität, ob sie das schaffen können. Ich glaube, dass sich die meisten Mütter anfangs komplett unterschätzen. Gerade die, die das erste Kind bekommen. Ich will die Vereinbarkeit nicht kleinreden. Es ist als berufstätige Mutter schon sehr stressig. Das darf man nicht unterschätzen, doch ich habe ehrlich gesagt noch nie eine schlechte Erfahrung gemacht.

Wie können Mütter ihre Kompetenzen in Gesprächen mit dem Vorgesetzten*in gut präsentieren?

Ich glaube, man muss die Stärken, die ich geschildert habe, einfach klar herausstellen. Kein guter Gesprächseinstieg wäre es zu sagen, was alles nicht geht und dass man jeden Tag um Punkt vier los muss. Und wenn man sich entschließt, zurück zu kehren in den alten Job oder in einen neuen Job zu gehen, dann sollte man auch das Selbstbewusstsein haben, deutlich zu sagen, dass man sich das gut überlegt hat und über die entsprechenden Fähigkeiten verfügt.

Wir sind eine Firma, die gerne auch am Wochenende mailt. Ich arbeite eigentlich jeden Sonntag und schicke Mails raus. Doch ich erwarte von keinem meiner Kollegen, dass er mir am Sonntag antwortet. Die Kollegen können am Montag anfangen, die Mails abzuarbeiten.

Glauben Sie, dass Sie typisch sind in Ihrer Einstellung?

Nein. Ich glaube, dass meine Einstellung nicht typisch ist, aber dass ich Recht habe. Für unser Unternehmen ist meine Ansicht allerdings schon typisch. Wir haben auch Geschäftsführerinnen, die kleine Kinder haben. Zudem haben wir insgesamt viele Frauen in den oberen Führungsschichten. Sie hätten hier als Vorgesetzter wahrscheinlich ein Problem, wenn sie jemandem den Wiedereinstieg erschweren wollten. Über 30% unserer Führungskräfte sind Frauen, was für ein deutsches Unternehmen sensationell ist. Natürlich kann sich meine Einstellung darauf begründen, aber ich glaube, dass es auch einfach ein Teil unserer Unternehmenskultur ist. Wir sind hier alle zusammen älter geworden. Wir haben viele Kollegen, die schon sehr lange dabei sind – ich schon seit 18 Jahren. Das Unternehmen tut auch etwas für die Vereinbarkeit. Wir haben letztes oder vorletztes Jahr unsere Krippenplätze verdoppelt. Das sind momentan 75, was immer noch zu wenig ist. Doch bei einer Belegschaft von 1800 ist das, glaube ich, für deutsche Verhältnisse ziemlich groß. Von daher wäre eine andere Haltung hier schwierig. Zudem hängt das Verständnis hier nicht vom Geschlecht ab. Ich denke, dass eine Vorgesetzte mindestens eine genauso hohe Empathie dem bezüglich hat. Man wächst an solchen Herausforderungen wie der Vereinbarkeit.

Haben Sie ganz eigene Berührungspunkte mit diesem Thema?

Ich selbst bin in Belgien groß geworden und da ist der Prozentsatz der arbeitenden Mütter viel höher als in Deutschland. Meine eigene Mutter war alleinerziehend und wir sind nach Belgien gegangen. Da gab es Ganztagsschulen und meine Mutter war berufstätig. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich als Kind überfordert war. Alle Kinder waren dort vor der Ganztagsschule im Kindergarten und vorher in der Krippe. Das war normal, wir kannten uns dann alle und keiner von uns hat ein gestörtes Verhältnis zu seinen Eltern.

Allerdings findet auch in Deutschland ein gewisser Wandel statt, zumal ja auch immer mehr Mütter arbeiten und das publik machen. Natürlich ist die Vereinbarkeit nicht einfach, aber möglich. Und ganz wichtig: Die Leistungen von Müttern müssen genauso behandelt werden, wie die Leistungen aller anderen. Es darf keinen Mutterbonus geben. Wir stellen Mütter nicht aus christlicher Nächstenliebe ein, sondern weil wir glauben, dass sie einen genau gleich guten oder sogar besseren Job machen können als andere, die kein Kind haben.