Die richtige Balance zwischen Entfaltung und Überforderung zu finden, fällt Müttern und Vätern bei der Freizeitgestaltung ihrer Kinder oft schwer. Wie handhabt ihr das? Hier zwei Meinungen zu einem kontroversen Thema.
"Bin ich schon eine Tiger Mum, nur weil mein Kind diverse Interessen und Hobbys hat und ich ihm ermögliche, diesen nachzugehen?"
Zugegeben, als Joshua mit vier Jahren zum ersten Mal auf einem „richtigen“ Fußballfeld im Verein spielte, war das unsere Wahl gewesen. Aber sein stundenlanges Kicken im Garten deuteten wir als klaren Wink. Heute ist er zwölf und kickt immer noch. Außerdem spielt er Schach in einem Verein und ist bei einer Chemie AG aktiv. Seit kurzer Zeit hat er auch die Musik entdeckt und probiert sich am Saxophon. Ich finde toll, dass Kinder heute die Möglichkeiten haben, die eigenen Fähigkeiten zu entdecken. Sie lernen dabei nicht nur Instrumente, ihren Kopf oder Körper zu beherrschen, sondern machen Erfahrungen, die das häusliche Umfeld nicht bietet: Spielen als Team – inklusive gewinnen und verlieren, sich auf neue Menschen und neue Ideen einlassen, sich für eine Sache zu engagieren und „dranzubleiben“.
Diese Fertigkeiten stärken das Selbstbewusstsein, fördern die Disziplin und die Einsicht – sogar bei Frühpubertierenden – dass eine gewisse Beständigkeit und Engagement sich lohnen. Für Joshua sind dies keine Pflichttermine, die er abhakt, sondern es ist seine Freizeit, die er mitgestaltet hat und bei denen er seine Freunde trifft. Dennoch gibt es immer einen freien Nachmittag zum Verabreden, Lernen oder Faulenzen.
"Montag und Mittwoch Hockey, Dienstag erst Klavier, dann schwimmen, Donnerstag Reiten und am Freitag müssen wir Schuhe kaufen gehen. Wenn ich das höre, wird mir auch alles zu viel", sagt Sybille Horn, Mutter zweier Kinder.
Angeblich hat jedes zweite Kind in der Grundschulzeit schon Druck und empfindet Stress – kein Wunder. Daher ist bei uns zu Hause Schule und Lernen Pflicht – alles andere ungeplantes Vergnügen. Mit einer Ausnahme: Es gibt einen festen Sporttermin in der Woche.
Wenn ich an meine Kindheit denke, denke ich an ein entspanntes Aufwachsen, spielen auf der Straße und im Wald, mit ganz vielen Kindern. Es gab Kinderturnen und Blockflöte und später dann Tennis – alles, was man im Ort so machen konnte. Heute kutschiert man die Kinder mit drei Jahren quer durch Hamburg zur Englischschule oder zum besten Schwimmkurs nach Eppendorf.
Vereinzelte Kindheit nennt man dieses neue Phänomen, wenn die Kinder keinen Bezug mehr zu der Umgebung entwickeln, in der sie leben. Ich merke, wie meine Kinder das Nichtstun am Wochenende und in den Ferien genießen und diese Zeit brauchen, um in ihre Spielwelten abzutauchen. Mit Freunden zuhause spielen ist auch etwas ganz anderes als im Hort. Am schönsten ist es, wenn sie unendlich Zeit haben, um mit 1200 Kappla-Steinen Welten zu kreieren oder einfach nur stundenlang im Garten in den Büschen zu hocken. Unter der Woche stehen daher Verabredungen mit Freunden, spielen zu Hause oder kleinere spontane Ausflüge auf unserem privaten Programm. Und das genießen wir alle sehr.