Florian Buschmann im Interview mit ElternLeben.de zum Thema Computerspielsucht. Er ist selbst ein Betroffener. Florian Buschmann hat seine Sucht-Erfahrungen in Zusammenarbeit mit Psycholog:innen und Suchttherapeut:innen als wichtige Expertise und große Unterstützung für Mütter und Väter in seinem Buch ADE AVATAR – Schritte in die Freiheit, verfügbar gemacht.
Er schreibt: „Eine Woche hat 168 Stunden. Der/die deutsche Jugendliche verbringt davon rund 58 Stunden vor dem Smartphone, dem Laptop oder anderen internetfähigen Geräten. Ein wahrer Alptraum!“ Fragen wie: Warum Kinder und Jugendliche überhaupt abhängig werden und woran Eltern erkennen können, ob es sich um ein Suchtproblem handelt, werden im Interview beantwortet.
Ein gesunder Umgang mit Medien sollte im besten Fall selbstreguliert sein und in einem angemessenen Verhältnis zu Aktivitäten in der Wirklichkeit stehen. Bereits das Mindset entscheidet! Um eine gesunde Basis fürs Gamen, Chatten und Streamen zu schaffen, sollte ein stabiles, direktes und erweitertes Umfeld, abseits der digitalen Welt, vorhanden sein. Folglich ergibt sich eine Rangordnung der Tätigkeiten online sowie offline. Immer erst analog! Stimmt etwas abseits von Bildschirmen nicht, bleibt dies als Tatsache, als realer Fakt erhalten. Auch das Eintauchen in einen virtuellen Avatar ändert daran nichts.
Klinisch gesehen gibt es verschiedene Kriterien, die eine Sucht charakterisieren. Zuvor gibt es die klassische Alltagssucht. In der Bahn, im Wartezimmer, überall suchen wir stetige Beschäftigung. Wie antrainiert geht der Griff bei Langerweile zum Handy, um den schnellen Kick zu erhaschen. Ein klinisch relevantes Verhalten beginnt da, wo das Leben abseits der virtuellen Welt leidet. Bestimmen Aktivitäten in der Virtualität den Lebensrhythmus und den Alltag? Ein krankhaftes Verhalten kann sich anhand dieser Auffälligkeiten zeigen:
Zeigen sich diese Auffälligkeiten, bedarf es einer dringenden Intervention. Kostenlose Unterstützung gibt es z.B. bei: SchauHin (Medienratgeber des Bundes).
Als ich 14 Jahre alt war, begann ich mich mehr und mehr in die Onlinewelt zurückzuziehen. Ich vernachlässigte zwischenmenschliche Beziehungen, andere Hobbys und verlor mit der Zeit den Bezug zum Leben abseits der Gamingwelt. Besonders eindrücklich sah mein Alltag in den Ferien aus. Während andere sich mit Freunden trafen, ins Kino gingen oder Sport trieben, saß ich vor dem Computer. Vom Aufstehen, bis zum Schlafengehen. Nachts stellte ich mir oft mehrere Wecker, um nichts „Wichtiges“ zu verpassen.
Fastfood und zuckerhaltige Getränke standen auf meiner Tagesordnung. Rückblickend beschreibe ich mich als „Gefangener der Virtualität“ mit geregelten Ausgangszeiten, wobei auch die Schulpflicht vorgetäuschten Kopfschmerzen und Bauchweh wich. Kurzum: die Geschehnisse in der Onlinewelt bestimmten meinen Lebensrhythmus.
Heranwachsende sehen sich im besonderen Maße mit Umbrüchen konfrontiert. Der Hormonhaushalt spielt verrückt, während der eigene Platz in der Gesellschaft gefunden werden muss. Kommen in dieser sensiblen Lebensphase weitere Faktoren hinzu, bietet die Flucht ins Netz eine attraktive Alternative. Generell lassen sich diese Umstände oder Einflüsse in drei Kategorien unterteilen:
Ein komplexes Gefüge aus mehreren Bedingungen bietet den Nährboden für eine Abhängigkeit.
Sicherlich gibt es verschiedene Ansätze. So können Eltern einen Vertrag über geregelte Nutzungszeiten aufsetzen, doch davon bin ich kein Freund. Verbote fördern keine Kompetenz. Jeder hat seine Aufgaben und Pflichten, dies sollte so funktionieren. Im Folgenden drei praktische Tipps zum Schutz:
Der Einfluss von Gleichaltrigen lässt sich als hinreichende, aber nicht notwendige Bedingung charakterisieren. Ein Kind erfährt nicht zwingend eine Ausgrenzung, weil es kein Handy hat. So berichtete z.B. eine Erzieherin, auch wenn einzelne Kinder bei Themen, wie z.B. Social Media nicht mitreden konnten, spielten alle nach einer Weile trotzdem wieder gemeinsam miteinander.
Nach der Schule schauen diejenigen ohne Handy jedoch oft zu, während andere gefesselt am Bildschirm spielen. Dieses positive Erleben, all diese bunten Bilder will man natürlich nicht nur sehen, sondern unmittelbar erfahren. Durch eine Kombination aus diesem Verlangen, und ein gewisser Druck der Peer-Group dazugehören zu wollen, entsteht der Wunsch nach solch einem Gerät. Es gibt sicherlich Schüler und Schülerinnen, die erst einmal ohne Handy auskommen, sich trotzdem mit Freunden treffen und Spaß haben können. Die individuelle Persönlichkeit und „das Standing“ in der Gruppe spielen hier natürlich eine große Rolle. Grundsätzlich lässt sich jedoch sagen: Wenn die Möglichkeiten im Internet zu surfen, Apps zu installieren und Messenger-Dienste zu nutzen bestehen, werden sie meist auch genutzt und bieten ein entsprechendes Gefahrenpotenzial.
Anstelle von Medienkompetenz spreche ich lieber von Medienmündigkeit. Medienkompetenz umfasst im gängigen Sprachgebrauch lediglich das Können, sprich das Wissen, wie ein Computer oder das Handy zu nutzen sind. Kinder benötigen jedoch Fähigkeiten, die weit über die bloße Kompetenz der Handhabung hinausgehen: Die Selbstregulation! Dies ist der Kern, um eine Medienmündigkeit zu erreichen. Somit rückt anstelle der Fragen, wie etwas funktioniert, die der Sinnhaftigkeit, in den Mittelpunkt.
Kinder sollten lernen – natürlich mit Unterstützung der Eltern – dem virtuellen Genuss zu entsagen, wenn dieser ihnen schadet oder sie ohnehin schlecht drauf sind. Weiterhin sollte Kindern und Jugendlichen vermittelt werden, welche Mechanismen es sind, die sie veranlassen weiterspielen zu wollen und sie an den virtuellen Avatar binden. Z.B. die Suche nach positiven Erlebnissen und Anerkennung durch Likes. Eltern sollten Kindern immer wissen lassen, dass sie ganz ohne Likes wertvoll und geliebt sind.