Verlieren wir einen nahestehenden Menschen sind Verzweiflung und Leid groß. Wir sind in unserem Sein erschüttert und oft aus der Bahn geworfen. Der Prozess des Trauerns braucht Zeit, Geduld und Liebe.
Schicksalsschläge wie das Sterben eines Angehörigen, der Tod eines Kindes (plötzlicher Kindstod), der Verlust der eigenen Gesundheit, der Verlust der Heimat oder der Arbeit, die Trennung vom Partner oder die Trennung der Eltern treffen die Menschen mitunter plötzlich und hart. Manchmal kommen diese Ereignisse nicht unerwartet, sind aber nicht weniger schmerzhaft. Du magst denken, dass zum Beispiel die Diagnose Brustkrebs nicht zu vergleichen ist mit dem Tod der Großeltern und schon gar nicht mit der Trennung von einem Partner. Und natürlich hast du insofern Recht, als dass keine Lebenskrise mit einer anderen verglichen und bewertet werden sollte. Und dennoch vereint all diese Ereignisse das Thema Verlust. Ein Mann verliert seine Frau, weil sie ihn nicht mehr liebt und damit seinen Lebenstraum. Eine Frau verliert ihre Gesundheit und die Illusion von ewiger Unversehrtheit und sieht sich plötzlich der eigenen Sterblichkeit gegenüber. Ein Mensch stirbt und die Familie verliert einen Teil des Ganzen. Etwas bricht zusammen, eine Lücke entsteht. Die eigene Welt dreht sich nicht mehr wie gewohnt. Dann heißt es Abschied nehmen von dem Menschen, von einer Lebensvorstellung oder von Teilen des eigenen Selbstbildes. Abschied zu nehmen bedeutet, sich auf einen Prozess einzulassen, der Zeit braucht. Dies ist der Prozess der Trauer.
Um in solchen Lebensmomenten nicht sprachlos zu werden, kann es hilfreich sein, zu wissen, welche Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen in derartigen Krisen normal sind, welche vielfältigen Gesichter die Trauer annehmen kann. Das Wissen um die Trauerphasen kann dir helfen, einen guten Umgang mit der Trauer in deiner Familie zu finden. Vier Trauerphasen kann ein Mensch durchleben, schreibt die Psychologin Verena Kast.
Der Prozess beginnt mit dem ersten Schock, in dem du die Nachricht einfach nicht wahrhaben willst und glaubst im falschen Film zu sein. Dem folgt eine längere Phase, in der die Gefühle Achterbahn fahren. Alle, auch widersprüchliche Gefühle sind Teil der Trauerarbeit und völlig normal in dieser Zeit: Traurigkeit, Freude, Angst, Verzweiflung, Erleichterung, Schuld, Verlassenheit, Wut, Zorn, Sehnsucht, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Scham und so weiter. Je nachdem welcher Charakter- oder Temperamentstyp du bist, überwiegen bestimmte Emotionen.
Manche schreien ihr Leid laut nach außen, andere fressen alles in sich hinein. Fragen wie „Warum musste das ausgerechnet mir passieren? Ich habe das nicht verdient“, kommen leicht auf. Wut auf Gott und die Welt ob der Ungerechtigkeit, was sich auch gegen das Verlorene richten kann: „Wie konntest du mir das antun“ oder Selbstvorwürfe: „Hätte ich doch nur...“. Der Körper leistet in dieser Zeit Schwerstarbeit. Du fühlst dich erschöpft, kannst dich nur schwer konzentrieren oder wirst häufiger krank.
Je eher du bereit bist, die Gefühle zuzulassen, desto schneller wirst du diese Phase bewältigt haben. Danach wird es ruhiger. Alles ist immer noch schwer, die Trauer sitzt tief. Aber es ist nicht mehr ein solches Auf und Ab. Jetzt kommt die Zeit, in der Rituale helfen, das Geschehene zu verarbeiten. Die Suche nach Erinnerungen, die bleiben dürfen, nach Orten oder Werten, die dich mit den Verlorenen verbinden, wird dich zu dir selbst zurück führen. In inneren Zwiegesprächen können noch offene Punkte geklärt werden. Rat kann eingeholt und angenommen werden. Das alles erleichtert die Trauer, macht sie schmerzhaft und schön zugleich.
Das Suchverhalten ist die Vorbereitung auf ein Leben nach dem Verlust. Am Ende des Trauerprozesses, in der vierten Phase, ist nicht mehr das gesamte Sinnen der Trauernden auf den Verlust gerichtet. Es geht nicht um ein Loslassen, sondern um eine Integration. Das, was du verloren hast, gehört zu deiner Biographie, ebenso wie die Erfahrung des Verlustes. Jetzt beginnst du wieder in die Zukunft zu schauen. Dennoch hat der Trauerprozess Spuren hinterlassen. Besonders nach Erfahrungen mit dem Tod oder schweren Erkrankungen oder Verletzungen berichten viele Betroffene von einer völlig veränderten Einstellung zum Leben.
Es gibt immer auch gute Gründe, den Trauerprozess nicht zu durchleben. Womöglich lässt es die aktuelle Lebenssituation gar nicht zu. Trauer benötigt Zeit. Vielleicht gibt es dafür gerade aber keine Zeit, weil beispielsweise die Versorgung kleiner Kinder Vorrang hat. Eventuell gibt es genug „Baustellen“ (Krisen, Probleme) und ein Trauerprozess wäre gar eine Überforderung. Das bedeutet: wenn du einen Verlust erlitten hast, du aber irritiert bist, weil du nicht „richtig“ zu trauern vermagst oder das Gefühl hast, da wäre noch etwas zum Aufarbeiten, dann hat das ganz sicher einen Sinn. Dann ist es möglicherweise nicht der richtige Zeitpunkt. Und das ist völlig ok. Du allein bestimmst den Zeitpunkt und das Tempo deines höchst eigenen Prozesses.
Kinder in Abschiedssituationen durchleben genau solche prozesshaften Gefühle wie Erwachsene. Für sie ist der Tod einer nahen Person ebenso ein Trauerprozess wie die Erkrankung eines Elternteils. Denn häufig ist der Erkrankte verständlicherweise sehr mit sich selbst, mit seinem Verarbeitungsprozess beschäftigt und emotional für das Kind nicht mehr so erreichbar wie vorher. Das Kind erlebt eine Beziehungsveränderung, einen Rückzug, einen Verlust an emotionaler Erreichbarkeit, Stabilität und Sicherheit. Kinder können in solchen Lebenssituationen die gleichen Verhaltensweisen zeigen wie Erwachsene. Darüber hinaus regredieren Kinder manchmal. Das bedeutet, dass sie Verhaltensweisen an den Tag legen, die eher typisch für jüngere Kinder sind. Da ist bei dem 9-jährigen das Bett morgens wieder nass oder eine 6-jährige beginnt wieder am Daumen zu nuckeln oder starke Trennungsängste zu entwickeln. In der Schule sacken die Leistungen ab, weil die Kinder sich nicht gut konzentrieren können und so weiter. Ein Trauerprozess bei Kindern ist immer auch abhängig von ihrer kognitiven Entwicklung, also von ihren Fähigkeiten Dinge zu verstehen. Während 2-jährige eher mit Veränderungen bei den Schlaf- oder Essgewohnheiten reagieren, fühlen sich 5-jährige schuldig. Kinder in diesem Alter sind noch ganz im magischen Denken verhaftet. Sie glauben, dass alle Dinge, die um sie geschehen, irgendwie mit ihnen selbst zu tun haben. Daher fühlen sie sich schnell verantwortlich für das, was passiert: „Papa ist weg, weil ich nicht artig war“. Im Gegensatz zu früher wissen wir heute, dass es weniger günstig ist, die Kinder vor allem Leid dieser Welt beschützen zu wollen. Sie bekommen viel mehr mit, als wir ahnen. Nur können sie sich ihre Wahrnehmung von Veränderung häufig nicht erklären. Verhaltensauffälligkeiten im Rahmen der Krankheits- und Trauerbewältigung können durch mangelnde Kommunikation und Aufklärung noch verstärkt werden. Stell dir ein Kind vor, dass merkt: „Mama ist ganz anders als früher. Sie weint viel. Und wenn ich etwas frage, reagiert sie manchmal gar nicht. Was habe ich nur falsch gemacht?“. Das Kind bekommt Angst und fühlt sich schuldig, weil nichts mehr so ist wie früher. Wenn dann die Eltern die Tür schließen und sagen: „ach es ist nichts“, um das Kind vor Gesprächsthemen zu schützen, erlebt das Kind ein weiteres Wegschieben und Ausgrenzen. Es fühlt sich allein gelassen von den Personen, die ihm Halt und Sicherheit geben sollten.
Kinder wollen verstehen. Und sie verstehen mehr, als du glaubst. Daher ist es völlig ok, wenn du mit deinem Kind über Krankheit und Sterben sprichst. Für solche Gespräche mit Kindern gibt es keine allgemein gültige Richtlinie. Jede Familie wird ihren eigenen Weg finden. Wichtig ist aus meiner Sicht nur, dass auf das Alter und die emotionale und kognitive Reife des Kindes Rücksicht genommen wird. Sie müssen nicht alle Details wissen, damit sind viele überfordert. Kinder sind auch nicht verantwortlich für die Gefühle der Erwachsenen. Diese Bürde sollten sie nicht tragen. Aber gemeinsam weinen darf man trotzdem und immer ehrlich und authentisch sein: „Ich bin total traurig und weiß gerade nicht weiter. Aber Onkel Ralf kann mir sicher helfen.“ Es geht um die Grundhaltung, die Kinder auch in Lebenskrisen Teil der Familie sein zu lassen und sie zu lehren, dass man Krisen überstehen und gestärkt daraus hervorgehen kann. Im Internet findest du eine Menge Kinderbücher, die dir helfen, dein Kind altersgemäß über verschiedenste Themen aufzuklären. Mehr zum Thema findest du unserem Dossier >>Abschied, Verlust, Tod und Krankheit in der Familie bewältigen - Dossier