Format: Artikel – Schreibfeder auf dem Tisch
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Wenn Eltern sich trennen – Gefühle zulassen ist wichtig

Autorin - Vanessa Matthiebe

Du steckst gerade mitten in der Trennung vom anderen Elternteil oder hast die Trennung bereits hinter dir? Du wirst immer wieder von verschiedenen Gefühlen überrumpelt und fühlst dich hin und her geschleudert zwischen Trauer, Wut, Angst, oder anderen Gefühlen?

Damit bist du nicht allein. Wie stark sich diese Gefühle bei dir bemerkbar machen hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zum einen von der zeitlichen Trennungsphase, in der du dich gerade befindest. Zum anderen von deinen vorherigen Beziehungs- und Trennungserfahrungen. Letztlich auch davon, wie stark dich die Trennungsgeschichte, die dich mit dem anderen Elternteil verbindet, emotional verletzt hat und wie du damit umgehst. Vielleicht findest du dich ja in einer der kommenden Situationen wieder.

Lesezeit: Etwa 4 Minuten
Goldener Ehering. Gebrochen

Erst Trennungs-Schock – dann folgt Traurigkeit, Wut, Angst

Nach dem Schock bzw. des "Nichtwahrhabenwollens" wirst du vermutlich konfrontiert mit verschiedenen Situationen und Fragestellungen. Zum Beispiel könnte es schwierig sein, dem anderen Elternteil gegenüberzustehen, weil dann deine Verletzung plötzliche Traurigkeit oder Wut auslösen könnte. Oder du fragst dich, wie es überhaupt weitergehen soll. Wo wirst du mit deinem Kind künftig wohnen? Könnt ihr euren Lebensmittelpunkt erhalten oder müsst ihr die Wohnung wechseln? Wie wirst du deine Existenz sichern? Diese Fragen können Ängste auslösen, die dich in deinem Befinden stark beeinträchtigen. Und nun bist du ja nicht allein. Da gibt es ja noch dein Kind, das ebenfalls bedürftig ist in dieser ausserordentlichen Krisensituation. Lies hier auch unseren Artikel Eltern in Trennung – Wie sagen wir es den Kindern?

Kommunikation mit anderem Elternteil – Gefühle kommen hoch

Später könnte es sein, dass die Kommunikation mit dem anderen Elternteil bei dir Gefühle auslöst, die dich ebenfalls beeinträchtigen könnten. Zum Beispiel dann, wenn du eine Nachricht erhältst und du dort Dinge liest, die dich emotional triggern. Das können Vorwürfe, Anschuldigungen oder Unwahrheiten sein. Oft macht auch der Ton die Musik. Und schwupp, kriegst du die Worte in den falschen Hals. Du regst dich auf, bist sehr genervt und schreibst sofort zurück. Es macht 'bing' und die Rückantwort ist sogleich in der Inbox. Du fängst an zu schwitzen, dein Herz rast und schimpfst vor dich hin. Du denkst, dass dein Kind zwar in seinem Zimmer sitzt, aber es hört trotzdem deine Selbstgespräche. Danach bereitest du bedrückt das Abendessen vor. Dein Kind verhält sich vorsichtig, weil es dich nicht strapazieren möchte.

Auch persönliche Begegnungen mit dem anderen Elternteil, z. B. bei den Kindesübergaben, können eine emotionale Herausforderung sein. Gerade dann, wenn du dem anderen gar nicht in die Augen sehen kannst und ihr es nicht schafft, euch anständig zu begrüssen oder friedvoll einige Worte zu wechseln. Auch hier wird es für dein Kind eine Gratwanderung, weil es die Disharmonie spürt und im schlimmsten Fall in einen offenen Konflikt mit hineingerissen wird. Wie du mit dem Vater oder Mutter deines Kindes kommunizierst, zeigt dir auf, wie gut oder belastet eure Elternschaft ist.

Gefühle wollen gefühlt werden – zulassen ist wichtig

Ich beobachte in meinen Elternberatungen oft, dass manche Mütter oder Väter ihre Gefühle nicht wahrhaben wollen oder durch deren Wucht in eine Art Starre verfallen. Andere Elternteile verdrängen ihre Gefühle und lenken sich von ihnen ab. Sie laden ihren Tag voll mit Aktivitäten, kontaktieren ganz viele Personen, essen in sich hinein oder konsumieren vermehrt Alkohol, Zigaretten oder andere Suchtmittel. So glaubt man, die Zeit würde schon alle Wunden heilen und die Gefühle werden von allein verschwinden. Dies ist aber nur bedingt so. Aber warum tun wir das? Ganz einfach: Wir wollen in der Regel die schmerzhaften Gefühle nicht fühlen.

Dabei ist genau das der springende Punkt! Schicke deine Gefühle nicht weg, vergrabe sie nicht oder lasse sie so stark werden, dass du sie nicht mehr steuern kannst und sie dich beherrschen. In der Regel kannst du davon ausgehen, dass wenn du zu deinen Gefühlen nicht bewusst hinsiehst, sie in deinem Inneren weiter rumoren und sich genau dann immer wieder bemerkbar machen, wenn du und dein Kind es am wenigsten brauchen. Im Alltag, bei Schulgesprächen, bei Begegnungen usw.

Wie wäre es, wenn du deine Gefühle im Griff hättest? Wenn sie dich nicht mehr überborden und du die Beherrschung verlierst? Oder wenn sie dich nicht mehr dazu veranlassen, dem anderen Elternteil eins auszuwischen, weil er dich verletzt hat? Oder wenn du dich nicht mehr als Oper des anderen fühlen möchtest? Wenn es dir gelingt, deine Gefühle bewusst wahrzunehmen, sie zu benennen und eine Form zu finden sie anzunehmen, dann wirst du in Zukunft sicherer und gelassener reagieren können. Du wirst die Kindesübergaben selbstbewusst meistern, weil du einen Weg gefunden hast, dein Gefühl von Ärger oder Enttäuschung zu kanalisieren. Du wirst bei gemeinsamen Elterngesprächen fokussiert auftreten und dich nicht hinreissen lassen zu emotionalen Machtkämpfen.

Mit Übungen, wahrnehmen und beobachten in die Ruhe kommen

Es gibt viele Strategien, um deinen Gefühlen auf den Grund zu gehen. Es braucht ein wenig Zeit und Übung, sich im Wahrnehmen, Beobachten und Benennen des Gefühls zu trainieren. Dazu kannst du Achtsamkeitsübungen oder Meditationen nutzen. Es gibt auch Übungen, die dich in akuten Situationen in deine Ruhe bringen.

Ich lade dich ein, dich auf diesen Weg zu begeben. Am Ende wirst du dich leichter und freier fühlen. Und davon wirst du und dein Kind profitieren. Aber nicht nur ihr beide. Auch die Beziehung zum anderen Elternteil wird sich mit der Zeit entspannen, weil du dich nicht mehr angreifbar machst oder zum Gegenschlag ausholen musst. Du gewinnst somit kostbare Lebenszeit und Energie. Dein Kind wird es dir danken.