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Das Empty Nest Syndrom

Wenn das (letzte) Kind auszieht, kann es für Eltern besonders schwer werden: Das Haus wirkt leer und zu leise und die eigene Rolle im Familien-Nest obsolet. Diese Gefühlslage nennt man Empty Nest Syndrom und sie ist weit mehr als nur eine Art Traurigkeit.

Die Psychotherapeutin Melanie Schüer zeigt hier Anzeichen & Symptome des Empty Nest Syndroms auf und gibt dir viele Tipps, wie du damit umgehen kannst.

Lesezeit: Etwa 7 Minuten
Frau sitzt im Sessel und sieht nachdenklich nach draußen.

Was ist das Empty Nest Syndrom?

Mit dem Begriff „Empty Nest Syndrom“ wird eine Gefühlslage der Eltern beschrieben, die durch den Auszug des letzten bzw. einzigen Kindes aus dem Elternhaus ausgelöst wird.

Empty Nest Syndrom: Symptome

Je mehr der Alltag auf das Kind ausgerichtet war, desto größer ist natürlich die Umstellung nach dessen Auszug. Dies können Anzeichen für das Empty Nest Syndrom sein:

  • Unruhe und/oder Schlafprobleme
  • Ausgeprägte Traurigkeit über die größere räumliche Distanz zum Kind
  • Ungewohnt starke Stimmungsschwankungen
  • Gefühle von Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit
  • Partnerschaftliche Krisen, weil der Auszug des Kindes auch die Elternbeziehung verändert
  • Appetitveränderungen
  • Ängste
  • Antriebslosigkeit und Lustlosigkeit

Die möglichen Symptome können individuell sein. Manche lenken sich beispielsweise mit übermäßigem Essen vom Trennungsschmerz ab, andere bekommen in dieser Phase kaum einen Bissen herunter. Ängste betreffen oft die Zukunft – sowohl die eigene (Wo ist jetzt mein Platz im Leben?) aber auch die des Kindes (Kommt er/sie allein zurecht?). Manchmal wechseln sich auch Abschiedsschmerz und gespannte Freude über das Neue, das nun kommt, in rasanter Geschwindigkeit ab und führen zu einem Wechselbad der Gefühle.

Alle Symptome hängen aber damit zusammen, dass diese große Veränderung zu einem emotionalen Ungleichgewicht führen kann. Dieses hat dann wiederum psychosomatische Folgen, kann sich also sowohl körperlich, als auch psychisch zeigen.

Tipps für den Umgang mit dem Empty Nest Syndrom

Was tun, wenn die Kinder flügge werden?
Loslassen ist hier das Zauberwort – und das geht am einfachsten, wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind:

  • Ich lasse den Schmerz als Teil der Veränderung zu.
    Das kann bedeuten, sich bewusst Zeit zum Trauern zu nehmen, mit lieben oder auch professionellen Menschen über die Veränderung zu sprechen und sich Gutes zu tun, um ein positives Gegengewicht zu schaffen (z.B. Freizeitaktivitäten, die Freude machen, eine Massage, gute Musik hören, o.ä.).
     
  • Ich nehme meine Sorgen um mein Kind bewusst wahr und gleiche sie mit der Realität ab.
    Wie wahrscheinlich ist es wirklich, dass dieses Szenario eintritt? Was kann ich tun, um hier vorzubeugen oder sollte ich meinem Kind diesbezüglich noch Informationen geben? Stelle dir mal vor, eine gute Freundin wäre in deiner Situation und würde dir von diesen Sorgen erzählen. Was würdest du ihr raten?
     
  • Wenn es tatsächlich Sorgen gibt, die begründet sind, dann sprich in Ruhe mit deinem Kind darüber.
    Gestalte das Gespräch sehr respektvoll ohne Vorwürfe und übertriebene Dramatik. Schildere einfach deine Befürchtungen und frage dein Kind, wie es selbst dieses Thema wahrnimmt. Wenn es deine Sorgen teilt, könnt ihr gemeinsam nach Lösungen suchen. Wenn nicht, kannst du dir erklären lassen, warum dein Kind hier viel gelassener ist – womöglich hat es schon gute Strategien und Pläne und es wird dich beruhigen, genau diese zu erfahren.
     
  • Ich nehme die eigene Zukunft in den Blick.
    Dies mit dem Wissen, dass eigene Bedürfnisse in Zukunft wieder mehr Raum einnehmen dürfen. Hier ist es gut, einfach mal ohne Druck zu träumen, zu überlegen, was in der intensiven Familienphase zu kurz gekommen ist und, welche Fähigkeiten oder Erfahrungen wieder oder ganz neu entdeckt werden könnten.
     
  • Neujustierung in der Partnerschaft.
    Wenn ein Paar Eltern wird, verschieben sich automatisch die Prioritäten. Im Vordergrund stehen nicht mehr die Träume, kleinen Neckereien und Bedürfnisse der Paarbeziehung, sondern genauso wichtig oder noch wichtiger erscheint nun alles, was das Kind betrifft. Allerdings: Das Kind geht eines Tages – der Partner kann, so es funktioniert, ein Leben lang bleiben! Deshalb ist auch gerade jetzt ein guter Zeitpunkt, zu schauen, wo die Paarbeziehung frischen Wind braucht oder wo es gilt, alte Konflikte anzugehen. Eine Paarberatung kann hier wertvolle Impulse bringen (www.dajeb.de).

Was tun, wenn das Kind auszieht?

Wie bereits angedeutet, ist es empfehlenswert, diesen Prozess bewusst zu gestalten. Gib‘ dir Zeit, zu trauern und schiebe die Gefühle nicht einfach weg. Lass‘ ruhig auch dein Kind ehrlich wissen, dass dir der Abschied gar nicht so leicht fällt.

Frage dich, ob es noch offene Angelegenheiten gibt, bei denen dein Handeln wichtig ist für dein Kind. Ziel sollte sein, dass du nach dem Auszug sagen kannst: „Das, wofür ich als Elternteil verantwortlich bin in Bezug auf das neue Leben meines Kindes, habe ich getan. Ich habe gegeben, was ich konnte oder habe noch Offenes geklärt.“

Lass dein Kind wissen, dass du auch in der neuen Lebensphase immer ein offenes Ohr hast und es so gut du kannst unterstützen wirst.

Manchmal hilft es, auch wenn man sonst nicht viel schreibt, in besonderen Phasen des Lebens, Tagebuch zu schreiben. Im Schreiben kann man die eigenen Gedanken und Gefühle wunderbar sortieren und reflektieren. Manche Leute bevorzugen auch das Malen – ganz frei oder z.B. das Ausmalen von Mandalas für Erwachsene.

Wenn du merkst, dass die Symptome sehr stark werden und dich länger als nur wenige Tage belasten, dann nimm‘ dieses Problem bitte ernst. Aus einem Emtpy Nest Syndrom kann auch eine handfeste Depression entstehen. Wenn dir also alles zu viel wird und du nur noch schwarz siehst, dann hole dir unbedingt professionelle Hilfe. Oft reichen schon einige Termine, z.B. in einer Lebensberatungsstelle (www.dajeb.de), um wieder Boden unter den Füßen zu finden.

Platz für Trauer und für Neuausrichtung

Insgesamt gilt: Schaffe ein Gleichgewicht zwischen Trauer, die sein darf und Raum braucht, und dem Blick auf das Positive auf der anderen Seite. Nimm dir bewusst Zeit, deine Trauer zuzulassen und nutze gesunde Strategien, deine Trauer zu bewältigen wie z.B. Weinen, Rückzug, mit deinen Liebsten darüber sprechen usw.

  • Wenn die Traurigkeit von allein sehr präsent ist (das ist beim Empty Nest Syndrom typisch), dann ist es wichtig, dass du zwischendurch ganz bewusst den Fokus auf das Positive suchst und stärkst. Wie bei einer Depression kann es sonst passieren, dass nur noch das Negative wahrgenommen wird.
     
  • Du kannst z.B. ein Dankbarkeitstagebuch führen, indem du jeden Tag zwei Dinge notierst, die schön waren – auch Kleinigkeiten wie ein leckeres Essen, ein gutes Gespräch, ein inspirierendes Buch, ein schöner Spaziergang o.ä. Wichtig ist, dass du ganz besonders gut darauf achtest, deine Bedürfnisse zu erfüllen, die du dir vorher durch dein Kind erfüllt hast.
     
  • Notiere dir diese gerne und überlege dir neue Strategien, wie du deine Bedürfnisse auch ohne Kind erfüllen könntest. Wenn du dich z.B. viel mit deinem Kind ausgetauscht hast, suche dir viel Austausch in Freundschaften und lege dafür feste Termine in deinem Kalender fest.
     
  • Wenn du dich viel um dein Kind gekümmert hast, sorge dafür dein Bedürfnis nach Fürsorge durch das Kümmern um andere Menschen zu stillen.
     
  • Überlege auch, was jetzt vielleicht noch besser oder einfacher geht, als vorher im Alltag mit Kind. Wo ergeben sich neue Optionen und wofür würdest du die neu gewonnene Zeit und Freiheit gerne nutzen?
     
  • Lege dich nicht gleich fest, sondern erlaube dir, spielerisch zu experimentieren. Vielleicht informierst du dich mal über das Programm der Volkshochschule oder der umliegenden Sportvereine, Kirchengemeinden oder Ehrenamtlichenbüros. Wenn du gern zumindest ein paar Stunden die Woche mit Kindern zu tun haben magst, wäre vielleicht auch die praktische Hilfe nach der Geburt von wellcome ein tolles Ehrenamt für dich: Hier wirst du geschult und professionell begleitet, um dann junge Familien im Alltag zu entlasten. Spannende Erfahrungen, Weiterbildungen und interessanter Austausch mit anderen Ehrenamtlichen gibt es inklusive. Du begleitest dabei Eltern und Kinder im ersten Lebensjahr nach der Geburt. Die praktische Hilfe ist ebenso ein Angebot der wellcome gGmbh, wie auch elternleben.de.
     
  • Vielleicht lässt dich die Veränderung auch nochmal das Thema Berufstätigkeit oder Studium neu betrachten. Würdest du gern eine Weiterbildung anfangen, dich in eine Vorlesung setzen, mal etwas anderes ausprobieren, deine Arbeitszeiten ändern oder vielleicht sogar ganz neu durchstarten?

Kleine Warnung: Wenn die Gefühle so durcheinander sind wie beim Empty Nest Syndrom, sollte man sich vor vorschnellen Entscheidungen hüten. Verfalle nicht in Aktionismus, sondern nimm‘ dir etwas Zeit zum Abwägen und Herantasten und triff weitreichende Entscheidungen besser dann, wenn du dich emotional wieder etwas gefestigter fühlst.

Empty Nest Syndrom bei Alleinerziehenden

Für alleinerziehende Eltern ist der Auszug des Kindes oft noch herausfordernder als für Elternpaare. Sie finden sich nicht zu zweit, sondern allein im Nest vor und das ist ein großer Unterschied. Es gibt nun keinen Partner, auf den man sich fokussieren kann. Für viele Paare bedeutet der Auszug des Kindes auch die Chance, wieder mehr Zeit zu zweit zu verbringen und die Paarbeziehung neu zu gestalten. Das kann von dem Verlust des Familienalltags ablenken und bewirken, dass man schneller die Chancen sieht, die sich aus der Veränderung ergeben.

Ohne Partner hingegen entstehen mit höherer Wahrscheinlichkeit zunächst einmal Gefühle von Einsamkeit und Isolation. Es fühlt sich seltsam an, plötzlich so viel allein zu sein. Die Wohnung wirkt seltsam still und der Alltag viel ungefüllter als zuvor. Tür-und-Angel-Gespräche fallen auf einmal weg und daran muss man sich erst einmal gewöhnen. Diese Faktoren erhöhen das Risiko für depressive Verstimmungen.

Gespräche in einer Lebensberatungsstelle (www.dajeb.de) können helfen, die Umstellung gut zu bewältigen. Bemühe dich um einen guten Ausgleich zwischen Ruhe und Aktivität. Überlege, welche Freundschaften du vielleicht intensivieren kannst, jetzt, wo du wieder mehr Zeit hast. Welche Hobbys könntest du neu oder wieder aufnehmen? 

Der Verein alleinerziehender Mütter oder Väter (VAMV) kann ebenfalls eine Anlaufstelle sein, um dich mit anderen alleinerziehenden Eltern auszutauschen.