Bei Eltern hochbegabter Kinder im Grundschulalter wird bei Planungen z.B. von schulischen Maßnahmen oft die Pubertät als großes Problem in den Raum gestellt. „Wenn er jetzt eine Klasse überspringt, was soll er dann in der Pubertät machen, wenn alle zwei Jahre älter sind als er?“ oder „Wie soll sie als pubertierende 15-Jährige denn in der Uni klarkommen?“ oder „Erziehung ist schon jetzt so anstrengend, was soll erst in der Pubertät kommen?“
Die Pubertät als Übergangsphase dauert ihre Zeit. Nun sind Hochbegabte in ihrer Entwicklung oft ihrem Alter voraus. Wenn die „normale Pubertät“ sich etwa im Alter von 11-14 Jahren abspielt und deine Tochter oder dein Sohn entwickelt die ersten Anzeichen schon mit neun Jahren: Dauert die Pubertät dann zwei Jahre länger?
Die gute Nachricht: meistens nicht. Die körperliche Entwicklung dauert ihre Zeit und manche sind einfach „früh entwickelt“. Das gilt auch für die geistige Entwicklung, bei der Hochbegabte naturgemäß ihrem Alter voraus sind.
Die schlechte Nachricht: Wo soziale Beziehungen vorher schon unter Spannung standen, kommt es jetzt vermehrt zu Brüchen. Dies hängt stark davon ab, wie gut das soziale Umfeld auf die Hochbegabung und die Entwicklung reagiert.
Hochbegabung wird zuerst über die geistige Entwicklung definiert. Diese ist dem Alter voraus, Körper und Seele scheinen oft kaum nachzukommen. Dies wird von Eltern hochbegabter Kinder oft als größte Herausforderung wahrgenommen. Der Abstand von Hochbegabten selbst zu ihren „Altersgleichen“ wird in der Zeit der Pubertät am größten wahrgenommen.
Der individuelle Stand der (körperlichen) Pubertät kann oft bei einer klassischen Veranstaltung deutlich werden: Die Konfirmation als Aufnahmeritual der evangelischen Kirche findet bei den Kindern im Alter von 14 Jahren statt. Wer sich die Reihe der Jugendlichen dort anschaut, bekommt einen Eindruck von der Unterschiedlichkeit. Es stehen Fast-noch-Kinder neben Fast-schon-Erwachsenen - und alle sind gleich alt!
„Es ist normal, verschieden zu sein.“ Mit dieser Einstellung kommen nicht nur Eltern hochbegabter Kinder besser zurecht, sie kann auch Jugendlichen helfen, besser mit den erlebten Unterschieden klarzukommen und sich weniger unter Druck zu setzen.
Die Pubertät ist auch als Zeit der Ablösung von den Eltern nötig. Die Jugendlichen suchen sich ihre Orientierung jetzt mehr in ihrer „Peer-Group“. Dies wird meistens „Gruppe der Gleichaltrigen“ übersetzt. Gerade bei Hochbegabten ist es wichtig, es als „Gruppe der Gleichgesinnten“ zu sehen. Wenn eine solche Verbindung über Hobbies (z.B. Sport, Musik) oder über besondere Fähigkeiten (z.B. Frühstudium, Vereine) bereits aufgebaut wurde, so kann diese Gruppe jetzt wertvolle Orientierung bieten, zumal sie oft auch altersgemischt ist und dein Kind sich altersmäßig „nach oben“ orientieren kann. Ältere Jugendliche und junge Erwachsene haben oft auch einen beruhigenden Einfluss: „Ey, ich weiß, wie du dich fühlst. Mir ging es genauso!“
Wenn dein Kind solche Kontakte noch nicht hat, so kannst du gerade jetzt dabei unterstützen, solche Gruppen zu finden. Diese Gruppen haben einen „Nachteil“: Die gesetzlichen Beschränkungen für Jugendliche, das Jugendschutzgesetz. Kein Alkohol, kein Kneipenbesuch nach 22 Uhr. Es ist für Jugendliche extrem peinlich, bei solchen Gelegenheiten daran erinnert zu werden, dass sie noch keine 16 oder 18 Jahre alt sind. Frühstudenten, die in der Uni keinen Bibliotheksausweis bekommen, kein Studentenzimmer mieten können und Schwierigkeiten bei Praktikumsplätzen haben, sind keine Seltenheit. Eine Gratwanderung für alle Beteiligten!
Es kann keine Lösung sein, die gesetzlichen Bestimmungen zu missachten. Sieh es als Herausforderung, als Übung, wie man seinen Weg findet. Hier kannst du zum einen deinem Kind Vorbild sein und zum anderen das Finden von Lösungen anregen: Wie haben andere das Problem gelöst? Welche Zugeständnisse macht eine Uni, wer kann unterstützen?
Die Persönlichkeitsbildung in der Pubertät findet zum großen Teil im Verborgenen statt. Deine Tochter oder dein Sohn wird ihr/sein bisheriges Handeln reflektieren und sich Gedanken über das Selbstbild im Gegensatz zum Fremdbild machen: Werde ich als Person geschätzt oder für meine Leistungen? Wie stehen meine Bedürfnisse zu den Bedürfnissen der Gruppe?
Viele Eltern von hochbegabten Mädchen (mehr als bei Jungen) berichten von einer Zeit der „Revolution“. Bisher war deine Tochter angepasst und hat dafür oft auch einen Teil ihrer Begabungen verborgen und Bedürfnisse zurückgestellt. Dies kann jetzt schmerzvoll für alle Beteiligten hervorbrechen. Da werden Leistungssportgruppen verlassen und Musikförderprogramme abgebrochen. Oft folgt eine Zeit der Orientierungslosigkeit.
Hier hilft es, andere Erwachsene sprechen zu lassen und sich als Mutter oder Vater zurückzuhalten. Wenn die Trainerin oder ein Lehrer deinem Kind vermitteln kann, wie sehr sie oder er dein Kind schätzt und unterstützen will, so ist das viel wert. Manchmal kann auch eine „Lieblingstante“ oder Großeltern diese Rolle übernehmen.
Hochbegabte fühlen sich oft schon eher verantwortlich für ihre Zukunftsplanung, da sie häufig in schulische Entscheidungen einbezogen wurden. Welche Schule, welche Ausrichtung, Frühstudium oder nicht – was vorher ein „Mitreden“ war, wird jetzt zunehmend zur Verantwortung. Als Mutter oder Vater brauchst du jetzt Fingerspitzengefühl, denn rein rechtlich ist dein Kind nicht selbst verantwortlich.
Nutze diesen Entscheidungsspielraum zusammen mit deinem Kind! Überlegt zusammen, was man probieren kann, was entschieden werden muss und was ihr euch gemeinsam leisten könnt. Diese „Verantwortungslosigkeit“ ist Bestandteil des jugendlichen Lernens, der geschützten Umgebung.
Aber Eltern sind keine „Wunsch-Erfüller“. Für ein Auslandsjahr muss auch Geld da sein, die Schule stellt Bedingungen für ein Frühstudium, Transporte müssen geregelt sein. In solche Planungen sollten Kinder früh einbezogen werden, um ihre Verantwortung zu lernen. Das kann auch schon die Ferienplanung mit deiner achtjährigen Tochter sein, die Entscheidungen für die Geburtstagsparty deines zehnjährigen Sohnes.
Die Phase der Persönlichkeitsbildung kommt in der Pubertät mit Macht, ist aber auch Teil des lebenslangen Lernens. Insofern ist die Selbst-Bildung und Lebensplanung auch bei dir als Mutter oder Vater nicht beendet und kommt jetzt mit der Lösung von den Kindern sogar verstärkt auf.
Der eine Teil ist der Blick nach vorn: Wie wird das Leben ohne Kinder sein? Wofür habe ich bald mehr Zeit? Aber auch: Wie ging es mir früher – gerade auch mit meinen Begabungen? Welche Begabungen habe ich zurückgestellt und würde ich das gern noch einmal überdenken?
Als Mutter oder Vater kannst du jetzt auch reflektieren: Macht dein Kind Musik/Sport/Schach, weil es dir wichtig ist? Welche eigenen Interessen hast du jahrelang zurückgestellt und wie fühlt sich das an? Wie findest du neue Orientierung ohne „das Kind mit dem Bade auszuschütten“.
Wichtig ist hier die Trennung von eigenen Wünschen und Begabungen von denen deines Kindes. Es hilft nicht, dein Kind Musik studieren zu lassen, weil du es früher gern getan hättest. Nutze diese Impulse, um dein eigenes Leben besser zu gestalten.
Denn das können wir Eltern von den pubertierenden Jugendlichen lernen: Man bleibt jung, wenn man neugierig in die Welt schaut und das Lernen nicht verlernt.
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