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Erziehung – Pädagogische Ansätze zur Kindererziehung

Im Elternalltag kommt man nicht oft dazu, sich Gedanken darüber zu machen, ob der eigene Erziehungsstil der Beste ist. Meist ist man froh, wenn der Tag gut gelaufen ist und die Kinder friedlich schlafend im Bett liegen. Es ist auch nicht so einfach, mit dem komplexen Begriff der Erziehung klarzukommen: Wenn man drei Menschen eine Frage zur Erziehung stellt, bekommt man gefühlt oft fünf verschiedene Antworten! Das liegt auch daran, dass sich im Laufe der Zeit unterschiedliche pädagogische Ansätze entwickelt haben, die ganz eigene Akzente setzen und die zumindest teilweise bis heute in der Praxis existieren. Wenn man Erziehungsmethoden kennt, ist das hilfreich, weil man auf diese Weise einordnen kann, welche Vorstellungen mit welchem Blick auf Kinder zusammenhängen. Du kannst auch überprüfen, ob und wo du deinen eigenen Stil wiederfindest.

Im Folgenden erhältst du einen Überblick über fünf bekannte pädagogische Ansätze in historischer Reihenfolge. Wenn du dich tiefergehend informieren möchtest, lies unseren Artikel Erziehungsstile – Pädagogische Ansätze für den Eltern-Alltag

Lesezeit: Etwa 8 Minuten
Mutter und Tochter halten liebevoll ihre Stirn aneinander.

Montessoripädagogik: Unterstützen und Begleiten

Der italienischen Reformpädagogin und Ärztin Maria Montessori (1870-1952) war es wichtig, dass Erziehung Kinder dabei unterstützt, sich zu eigenverantwortlichen Menschen zu entwickeln. Die Montessoripädagogik beruht auf der Annahme, dass jeder Mensch über einen individuellen inneren „Bauplan“, also Veranlagungen und Potenziale, verfügt und diesem folgen wird, wenn die Lebensbedingungen dies zulassen. Wann genau ein Kind für die jeweiligen Lerninhalte offen ist, unterscheidet sich von Kind zu Kind und kann nicht vorhergesagt werden. Deshalb empfiehlt die Montessoripädagogik, dass Kinder in ihrem eigenen Tempo und ihren eigenen Interessen entsprechend mit möglichst vielen Sinnen lernen sollten.

Erwachsene sollten durch eine vorbereitete Umgebung Anreize schaffen, Neues zu entdecken, sollten aber nichts vorgeben, sondern das Kind im eigenständigen Erforschen unterstützen. Daher lautet ein bekanntes Credo der Montessoripädagogik „Hilf mir, es selbst zu tun!“ Naturmaterialien, mit denen das Kind eigene Ideen entwickeln kann oder spezielles Montessori-Spielzeug fördern das selbstständige Entdecken im Spiel.

BEWERTUNG: der Montessori-Ansatz enthält zahlreiche Anregungen, um die Selbstständigkeit und Entfaltung von Kindern zu fördern. Ein Ansatz, der heute so „modern“ ist wie vor hundert Jahren.

Pädagogik nach Jesper Juul: Erziehung auf Augenhöhe

Seit den 1970er Jahren entwickelte der dänische Familientherapeut Jesper Juul (1948 – 2019) seinen pädagogischen Ansatz der „gleichwürdigen“ Erziehung. Diese pädagogische Haltung sieht Kinder als ebenso wertvolle Menschen wie Erwachsene und möchte erreichen, dass Kinder und Erwachsene sich gegenseitig respektvoll behandeln. Was Kinder dürfen und müssen, soll sich dabei an ihrer Entwicklung orientieren.

Wenn Kinder sich „daneben“ benehmen, so liegt das laut Juul meist daran, dass sie auf etwas reagieren, das in der Familie selbst, zwischen den Erwachsenen oder bei einem einzelnen Elternteil nicht richtig läuft. Das kann beispielsweise eine angespannte Beziehung zwischen den Eltern sein, ein belastender innerer Konflikt des Vaters oder der Mutter oder auch ein Umgang mit dem Kind, der dessen Würde verletzt (z.B. häufiges Anschreien, Drohungen, Übergehen von Fragen o.ä.).

Kinder lernen, indem sie ihre Eltern nachahmen – meistens, ohne, dass ihnen das bewusst ist und nicht immer direkt, sondern manchmal auch, indem sie das Gegenteil tun oder etwas, mit dem sie ihre Eltern von etwas ablenken oder abhalten können (wie gesagt, in der Regel unbewusst).
So kann es sein, dass ein Kind, dessen Mutter Probleme damit hat, ihr Kind älter und selbstständiger werden zu lassen, wieder einnässt und sich dadurch unbewusst wieder zurückentwickelt zum kleinen Kind. Kinder, deren Eltern oft schreien, drücken diese Aggression oft aus, indem sie handgreiflich werden. Sie spüren die Gewalt, die in der Luft liegt und weil Kinder sich selbst schlechter kontrollieren können, leben sie sie direkter aus als die Erwachsenen.

BEWERTUNG: Ein empfehlenswerter Ansatz, der dabei hilft, die eigene Rolle als Vater oder Mutter immer wieder zu reflektieren und das eigene Verhalten zum Wohl der Kinder zu verändern. Es müssen gar nicht immer gravierende Konflikte sein, sondern können auch kleine, ungünstige Verhaltensmuster sein, die es auch in den liebevollsten Familien gibt. Da man als Elternteil ja selbst mitten im System ist, sieht man oft den Wald vor lauter Bäumen nicht. Um herauszufinden, welche Stellschräubchen gedreht werden müssen, damit das Fehlverhalten seine Funktion verliert, ist daher oft ein neutraler Blick nötig. Daher sollten wir uns als Eltern nicht scheuen, bei Schwierigkeiten professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, z.B. in Erziehungsberatungsstellen wie z.B. www.dajeb.de oder in der Online-Beratung von ElternLeben.de

Attachement Parenting: Die Bedürfnisse des Kindes zuerst

Attachement Parenting ist ein Erziehungsansatz, der sich stark an den kindlichen Bedürfnissen orientiert. Er betont die Bedeutung der Eltern-Kind-Bindung und befürwortet daher Verhaltensweisen, welche eine enge, liebevolle Beziehung zwischen Eltern und Kind fördern.

Ab 1982 entwickelten William und Martha Sears die Methode des „Attachment Parenting“. Sie prägten den Begriff „Babyreading“, womit das feinfühlige Erkennen der kindlichen Signale und Bedürfnisse gemeint ist. Außerdem beschreiben sie sieben Aspekte des Attachment Parenting:

  1. Körper- und Augenkontakt zwischen Mutter und Kind direkt nach der Geburt.
  2. Stillen statt Flaschennahrung sowie Stillen nach Bedarf.
  3. (möglichst häufiges) Tragen des Kindes am Körper.
  4. Schlafen in Nähe des Kindes / Familienbett.
  5. Rasches Reagieren auf das Schreien des Kindes.
  6. Verzicht auf Schlaftrainings, bei denen Babys und Kleinkinder z.B. nur in bestimmten Abständen getröstet werden.
  7. Balance zwischen den Bedürfnissen von Kind und Eltern.

BEWERTUNG: Wenn Eltern sich nur noch auf die vermeintlichen Bedürfnisse des Kindes konzentrieren und das, was sie selbst brauchen, dabei völlig vernachlässigen, führt das früher oder später zu Problemen. Denn Kinder brauchen nicht nur viel Nähe und Zuwendung, sondern auch Eltern, die (in der Regel) ausgeglichen und entspannt sind. Wenn sie z.B. im Familienbett einfach keinen Schlaf finden, dann muss eine andere Lösung her. Wenn das Baby im Tragetuch ständig schreit, dann darf es auch im Kinderwagen liegen. Und wenn das Bonding nach der Geburt nicht möglich war, bedeutet das nicht, dass nun „alles verloren“ ist. Es bedarf also einer gewissen Gelassenheit im Umgang mit diesem grundsätzlich sehr guten Ansatz. Seine Inhalte sollten nicht als feste Regeln, sondern eher als Leitideen verstanden werden, die dann individuell an die jeweilige Familie angepasst werden müssen.

Antiautoritäre Erziehung / Laissez-faire: Alles ist erlaubt

Antiautoritäre Erziehung bzw. Laissez-faire-Erziehung ist ein Oberbegriff für Erziehungsansätze, die in den 1960er und 1970er Jahren in Deutschland entstanden sind. Diese Ansätze gehen davon aus, dass Kinder sich am besten entwickeln, wenn sie ihre individuelle Persönlichkeit möglichst frei entfalten können. Daher werden Freiheit, Kreativität und Rechte der Kinder betont und Einmischung und Lenkung durch Erwachsene werden weitgehend abgelehnt. Vor allem moralische Eingriffe der Erziehenden werden abgelehnt. Kinder sollen alles selbst ausprobieren können – mit allen Konsequenzen.

BEWERTUNG: Tatsächlich ist es sinnvoll, den Alltag mit Kind so zu gestalten, dass man nicht unnötig oft „Nein“ sagen muss. Also z.B. bei Kleinkindern zerbrechliche Gegenstände außer Reichweite stellen, Süßigkeiten verstecken, usw. Und Eltern sollten Wert darauflegen, dass ihre Kinder viel Spielraum für die Entfaltung ihrer eigenen Persönlichkeit erhalten. Ganz praktisch kann das z.B. bedeuten, dass ein Junge auch mal ein pinkes T-Shirt tragen darf, ohne, dass er dafür einen blöden Kommentar bekommt. Auch in Bezug auf die sexuelle Entwicklung ist eine gewisse Gelassenheit gut, denn es ist normal, dass Kinder ihren Körper spielerisch entdecken, auch miteinander. Allerdings gilt hier, wie auch in vielen anderen Bereichen: Ganz ohne Grenzen und Orientierung wird es schwierig.  Schließlich können Kinder bestimmte Risiken noch nicht einschätzen und Kleinkinder können sich auch noch nicht in die Rolle anderer hineinversetzen, sodass ihnen Rücksichtnahme noch kaum möglich ist. Deshalb ist es wichtig, dass z.B. bei Doktorspielen darauf geachtet wird, dass z.B. niemandem weh getan wird und niemand zu etwas überredet wird, das er nicht möchte. Ein konsequenter Laissez-faire-Stil überfordert Kinder in der Regel – auch im Blick auf die Anpassungsnotwendigkeiten außerhalb des Elternhauses.

Autoritäre / „Schwarze“ Pädagogik: Gehorsam und Verzicht

Dieser Ansatz war während des Dritten Reichs sehr verbreitet und Teile davon lassen sich oft auch noch im Denken der Nachkriegsgeneration und auch heutiger Ratgeber finden. Sie sind die Basis für Aussagen wie „Wenn du das Kind weiter so verwöhnst, tanzt es dir bald auf der Nase herum!“ oder „Ein Klaps hat noch keinem geschadet!“ oder „Der will Grenzen austesten!“ Dahinter steckt die Annahme, dass Kinder machthungrige kleine Tyrannen sind, und Eltern ihre Kinder deshalb mit eiserner Hand (autoritär) führen und dem Kind wenig Freiraum oder Mitbestimmung erlauben sollten.

BEWERTUNG: Die Entwicklungspsychologie zeigt, dass dieses Bild vom Kind nicht realistisch ist. Kinder wollen grundsätzlich weder herrschen noch manipulieren und auch niemanden unterdrücken. Kinder möchten erst einmal mit ihren Eltern gut auskommen, denn sie haben den Wunsch nach Zusammenhalt, Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Wenn Kinder sich „schlecht“ benehmen, sollte man also eher nach den Gründen suchen – oft sind bestimmte Bedürfnisse gerade nicht erfüllt, das Kind langweilt sich, ist müde, überreizt, o.ä. Besonders wenn körperliche oder seelische Gewalt als Mittel der Erziehung eingesetzt werden, kann das lebenslange, negative Auswirkungen für Betroffene haben.

Den eigenen Erziehungsstil finden – Zusammenfassung

Wir bei ElternLeben.de sind, wie viele andere Eltern und Fachleute, der Meinung: bestimmte No-Go‘s wie Gewalt, Manipulation, Vernachlässigung, usw. sollten in eurer Erziehung nicht vorkommen. Doch davon abgesehen gibt es eine große Vielfalt an Möglichkeiten, wie Eltern ihre Kinder erziehen und den Alltag mit ihnen gestalten können. Deshalb betrachte die Informationen, die du bekommen hast, als Impulse und schau‘ ganz frei, was sich für euch als Familie passend anfühlt. Oft braucht es dafür auch ein Ausprobieren und immer wieder Nachjustieren, wenn etwas nicht (mehr) stimmig ist. Habt den Mut, als Familie euren eigenen Weg zu gehen!