Format: Artikel – Schreibfeder auf dem Tisch
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Nach dem Lockdown – Mein Kind verhält sich anders!

Autorin - Melanie Schüer

„Sorry, sie ist etwas schüchtern!“, entschuldigt sich Mareike, als ihre Tochter sich bei ihr versteckt, „Sie ist eben ein Corona-Kind!“ Corona-Kinder, gibt es das? Tja, wie auch immer man es nennt – in der Tat hat die Pandemie mit ihren Lockdowns und Kontaktbeschränkungen Folgen hinterlassen. Bei uns Eltern, aber auch bei den Kindern. Viele Bereiche der Entwicklung konnten weniger gefördert werden als üblicherweise und das zeigt sich auch an den sozialen Kompetenzen, weil Kinder einfach weniger Kontakte hatten als zuvor möglich.
Es ist also völlig natürlich, dass Kinder deshalb vielleicht etwas schüchterner sind als zuvor oder sie sich unsicherer in einer Gemeinschaft fühlen. Verwunderlich ist auch nicht, dass manche Kinder plötzlich wieder Schwierigkeiten haben, Mitgefühl zu zeigen, Rücksicht zu nehmen, oder abzuwarten. Den Kindern fehlt hier einfach die Gewohnheit und umso wichtiger ist es deshalb, Kinder in diesen Bereichen wieder zu stärken – umso mehr gilt es nun, die sozialen Kompetenzen in den Blick zu nehmen und zu fördern.

Lesezeit: Etwa 4 Minuten
Kleiner Junge und kleines Mädchen stehen nebeneinander und lachen. Mädchen hält sich Augen zu.

Kontakte für dein Kind ermöglichen

Einige Kinder haben sich an das „Einigeln“ und für-sich-sein gewöhnt – das heißt aber nicht, dass das auch gut für sie wäre. Zumindest alle 1-2 Wochen sollte eine Verabredung möglich sein. Wenn dein Kind das nicht von sich aus möchte oder organisiert (je nach Alter), dann solltest du das bewusst fördern und dein Kind dazu ermutigen. Vielleicht braucht es auch etwas Hilfe bei der Überlegung, wen oder wie genau es nach einem Treffen fragen könnte. Gerade bei kleineren Kindern ist es natürlich wichtig, Freundschaften behutsam aufzubauen – das bedeutet z.B., erst einmal dabei zu sein, so lange, bis das Kind sich sicher fühlt. Vielleicht kannst du das damit verbinden, dich selbst mit einem Elternteil beim Kaffee zu unterhalten, während eure Kinder spielen.

Negative Gefühle deines Kindes annehmen und anerkennen

Wenn dein Kind sich unsicher fühlt oder sich ärgert, dann ist es hilfreich, wenn du erst einmal versuchst, zu begreifen, was los ist. Und als Erstes deutlich machst: „Ich sehe, dass dich das gerade stresst. Das verstehe ich.“ Dieses Anerkennen (Ich sehe dich, du darfst dich so fühlen) ist viel besser, als direkt eine Lösung zu suchen. Es hilft deinem Kind, mit dir gemeinsam zu erkunden, was los ist und seine sozialen Kompetenzen selbst zu entwickeln, anstatt nur vorgefertigte Lösungsvorschläge umzusetzen.

Gefühle in Worte fassen – Gefühlsbewusstsein stärken

Das kannst du tun, indem du Gefühle im Alltag ganz konkret benennst. Sage z.B., wenn du wütend, erfreut, erleichtert, genervt, frustriert, enttäuscht, gelangweilt, ungeduldig, hoffnungsvoll usw. bist. Fasse auch die Gefühle deines Kindes öfter mal in Worte, z.B.: „Du wirkst gerade wütend“ oder „Kann es sein, dass du genervt bist?“ oder „Irgendwie klingst du traurig.“ So lernen Kinder ganz lebensnah das Benennen von Gefühlen kennen und merken, dass ihre Emotionen ernst genommen und gesehen werden.

Empathie mit deinem Kind üben

Empathie oder auch der Perspektivwechsel ist die Fähigkeit, sich in die Gefühlswelt anderer hineinzuversetzen. Das kannst du stärken, indem du öfter mal Mitgefühl ausdrückst für andere und auch für dein Kind, z.B. „Ich freue mich mit dir!“ oder „Das tut mir leid für den Jungen“, aber auch, indem du mit deinem Kind über Situationen und Gefühle sprichst, z.B. in Bezug auf Filme, Bücher oder etwas, das ihr beobachtet habt: „Mhm, was meinst du, wie er/sie sich jetzt fühlt?“ „Wie würdest du dich fühlen an seiner/ihrer Stelle?“ Wichtig ist immer Neugier und Interesse, auch Offenheit für verschiedene Sichtweisen, statt moralischer Bewertung.

Gib deinem Kind Zeit und sei geduldig

Vielleicht denkst du manchmal „Also, in dem Alter müsste mein Kind das doch können!“ Aber denke immer wieder daran, dass durch Corona vieles auf der Strecke geblieben ist, wofür dein Kind nichts kann. Deshalb bleibe geduldig und verständnisvoll. Setze weder dich noch dein Kind unter Druck. Achte auch auf kleine Fortschritte und Bemühungen und sage deinem Kind, dass du dich darüber freust. Verzichte vor allem darauf, dein Kind mit anderen Kindern zu vergleichen.

Gemeinsam konkrete Lösungen erarbeiten

Versuche, Konflikte als Übungsfelder willkommen zu heißen. Sie sind mühsam, aber genau daran können Kinder ihre sozialen Kompetenzen stärken. Sprich‘ mit deinem Kind in Ruhe über die Herausforderung und übe mit ihm, die verschiedenen Perspektiven und Lösungen anzuschauen: „Okay, wie hast du dich da gefühlt? Was war dir wichtig? Und was meinst du, wie hat Ole sich gefühlt, als du das gemacht hast? Was hat er sich vielleicht gewünscht, was wollte er?“

Sammle dann mit deinem Kind Ideen, z.B.: „Mhm, was könnte man denn tun, damit sich alle wohlfühlen? Jetzt, wo wir verstehen, was das Problem war?“ Lass‘ deinem Kind etwas Zeit – wenn es gar keine Idee hat, kannst du auch ein bis zwei Vorschläge machen.
 

Vorbild sein – deinem Kind soziales Verhalten vorleben

Denke daran, soziale und emotionale Kompetenzen sind wichtig und entwickeln sich genau dort, wo du mit deinem Kind die meiste Zeit verbringst – im Alltag. Deshalb bist du auch als Vorbild so wichtig und hast gerade dadurch viele Chancen, deinem Kind soziales Verhalten vorzuleben. Gestehe also auch gerne mal einen Fehler ein, bedaure ihn und vergib einem lieben Menschen in der Umgebung, wenn er etwas falsch gemacht hat, um Fehlertoleranz vorzuleben.