Die Augen vom Papa, das zarte Seelchen von der Mama … solche Sprüche sollen lustig sein. Aber was tun, wenn das eigene Kind tatsächlich Charakterzüge zeigt, die man an sich selbst nicht mag und die das Leben schwer machen?
Schon vom ersten Lebenstag an wird in Familien oft nach Ähnlichkeiten gesucht. Meist bezieht es sich auf optische Merkmale. Aber manchmal wird auch von Opas aufbrausendem Temperament oder vom der musischen Begabung der Tante geschwärmt. Wenn die Einjährige so selbstvergessen tanzt, dann erinnert sie so sehr an ihre Tante Lisa …
Aber nicht immer ist es für Eltern leicht, wenn sie merken, dass ihr Kind ihnen ähnelt. Wer als Grundschulkind Schwierigkeiten damit hatte, die Regeln zu lernen, wird vielleicht verzweifeln, wenn der eigene Nachwuchs auch sehr dickköpfig ist. „Ich weiß heute, dass ich mir mit meiner Beharrlichkeit einiges im Leben schwer gemacht habe“, erzählt Isa. „Als Kind konnte ich mich in einem Spiel verlieren, wollte, dass Dinge nach einem festen Ablauf stattfinden. Meine Lehrer nannten das stur und bockig.
Die Hartnäckigkeit hat zwar auch Vorteile, heute weiß ich das, aber als Mädchen war ich oft traurig, weil ich so damit aneckte.“ Ihre eigene Tochter ist gerade in die Schule gekommen und nun sorgt sich Isa, dass die kleine Leonie nicht nur die Locken ihrer Mutter hat. „Sie kann so sehr auf ihrer Sichtweise beharren und hat sich auch schon im Kindergarten damit nicht unbedingt nur Freunde gemacht. Wie kann ich verhindern, dass mein Kind die gleichen Erfahrungen wie ich machen muss?“
Auch Isas Kollege Thomas hat ähnlich Sorgen. Er selbst war als Kind sehr sensibel und introvertiert und auch sein Sohn Jan ist ein eher zartbesaitetes Kind, das nicht gern bolzt, dafür aber sehr aufmerksam beobachtet und gern träumt. Auch er sorgt sich, dass sein Kind in der Schule Schwierigkeiten haben könnte, obwohl bisher im Kindergarten alles ohne Probleme verlief und Jan dort viele Freunde hat.
Gerade wenn Eltern ein ähnliches Verhalten von sich beim eigenen Kind sehen, schrillen schnell Alarmglocken: habe ich meinem Kind etwas anerzogen, was mich auch belastet? Tatsächlich ist es so, dass Intro- bzw. Extraversion schon bei wenige Tage alten Neugeborenen erkennbar sind und in der Psychologie als eindeutig angeboren, nicht erworben gelten. Es gibt einfach kleine Menschen, die von unbekannten Reizen fasziniert sind, andere sind irritiert.
Wenn Du als Mutter also auch eher ein schüchternes Kind warst, dann liegt es nicht daran, dass das Kind sich etwas am Verhalten abgeguckt hat. Das gilt auch für Isa und Leonie. Wichtig ist, dass Isa nicht ihr eigenes Erleben auf ihre Tochter projiziert. Vielleicht hat die ja viel mehr Glück mit ihren Lehrern und die positiven Seiten ihres Charakters und ihre Stärke werden gesehen?
Schlecht wäre es, wenn Isa oder Thomas ihre eigenen Erfahrungen unreflektiert übertragen und ihre Kinder mit dem Gefühl in die Schule gehen: „Meine Mama (mein Papa) macht sich Sorgen, also wird es mir in der Schule bestimmt nicht gut gehen!“ So was wird das dann nämlich ganz fix zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung! Nur weil die Mutter - oder der Vater - litt, muss es das Kind ja nicht tun!
Wenn dir dein Kind sehr ähnlich ist, kann es sein, dass du eine Seite an ihm oder ihr siehst, die du nicht so magst. Das ist nicht einfach. Aber es ist auch eine Chance, denn du kannst dich besonders gut in dein Kind einfühlen:
Versuche es positiv zu sehen: Dein Kind hat Glück, dich als Mutter (oder Vater) zu haben, weil du dich besser in dein Kind hineinversetzen und es gezielt unterstützen kannst. Solltest du merken, dass dich dieses Gefühl der Ähnlichkeit und die Angst vor Misserfolgen zu sehr belasten, dann solltest du Hilfe bei einer Beratungsstelle holen. Vielleicht gibt es ein Erlebnis aus deiner Kindheit, das dir den Blick verstellt und dich hindert, dein Kind unbefangen zu erziehen. Das wäre schade – für dich und dein Kind. Schließlich ist es das Tolle an Kindern, dass sie auch uns Eltern den Anstoß für Veränderungen geben. Wie gut, dass wir sie haben.