Wir Erwachsenen betrachten Kinder oft als völlig asexuelle Wesen – einfach, weil kindliche Unschuld für uns nicht mit Sexualität zusammenpasst. Wenn dann ein Junge ständig sein nacktes Genital präsentiert, ein kleines Mädchen sich zwischen den Beinen streichelt oder Kita-Kinder „Doktor-Spiele“ durchführen, stehen wir als Eltern manchmal ziemlich schockiert und ratlos da: Ist das normal? Und wie gehen wir damit um?
Zunächst einmal zur ersten Frage: Ja, grundsätzlich sind solche Verhaltensweisen völlig normal. Kinder haben eine eigene Sexualität: Sie unterscheiden nicht zwischen „harmlosen“ und „schmutzigen“ Zärtlichkeiten. Deshalb passt die kindliche Sexualität auch durchaus zur kindlichen Unschuld: Kinder mögen einfach schöne Berührungen. Und wenn ein Kind entdeckt, dass ein Streicheln im eigenen Intimbereich angenehme Gefühle weckt, dann sieht es erst einmal keinen Grund, weshalb das falsch sein sollte.
Auch das gegenseitige Erforschen der Geschlechtsteile in Form von „Doktorspielen“ ist meist Teil der ganz natürlichen Sexualentwicklung, verbunden mit Neugier auf den menschlichen Körper. Kleinkinder verstehen immer mehr, dass es zwischen Jungen und Mädchen einen Unterschied gibt und das finden sie ziemlich spannend! Außerdem beobachten sie natürlich, dass Erwachsene mit den Geschlechtsteilen nicht so unbefangen umgehen wie mit anderen Körperregionen – und alles Geheime übt natürlich eine besondere Anziehungskraft aus, das erleben wir als Erwachsene doch noch ganz genauso. Wenn dein Kind sich also an Doktorspielen beteilt, gerate nicht in Panik. Schimpfen oder strikte Verbote wären jetzt völlig unangebracht, denn das führt nur dazu, dass Kinder eine ungesunde Scham entwickeln und die Spiele womöglich heimlich weiterführen. Du solltest gelassen bleiben und deinem Kind Regeln für Doktorspiele vermitteln: Wichtig ist, dass kein Kind verletzt wird, dass also keine Gegenstände in Körperöffnungen eingeführt werden oder andere riskante „Untersuchungen“ vorgenommen werden. Außerdem solltest du sicherstellen, dass keines der beteiligten Kinder zu etwas überredet oder gar gezwungen wird, das es eigentlich nicht will. Stelle die klare Regel auf, dass ein „Nein“ immer akzeptiert werden muss und nichts gemacht werden darf, ohne die Zustimmung des anderen Kindes einzuholen. Auch wenn der Altersunterschied zwischen den Kindern groß ist oder eines der Kinder den anderen körperlich stark überlegen ist, ist Vorsicht geboten.
Wenn diese Bedingungen erfüllt sind und du trotzdem den Eindruck hast, dass es deinem Kind mit dem Erlebten nicht gut geht, dann versuchst du am besten, in ruhiger Atmosphäre das Gespräch mit ihm zu suchen und es zu fragen, ob es diese Spiele lieber nicht mehr machen möchte. Dann solltest du sie explizit verbieten. In seltenen Fällen kommt es natürlich auch vor, dass Kinder, die sexuelle Gewalt erlebt haben, diese Erfahrungen in Doktorspielen nacherleben – als unbewussten Versuch der Verarbeitung. Wenn dein Kind also berichtet oder du beobachtest, dass ein anderes Kind sich trotz Ermahnung nicht an die oben beschriebenen Regeln hält, dann sollten die Doktorspiele sofort verboten werden – mit der Erklärung, dass die Regeln gebrochen werden und auf diese Weise die Spiele nicht gut für die Kinder sind. In dem Fall ist es sinnvoll, mit den ErzieherInnen zu sprechen (wenn das Verhalten in der Kita auftritt) oder sich beim Kinderschutzbund oder dem nächsten Jugendamt zu informieren. Dabei kannst du deine Beobachtungen erst einmal schildern, ohne Namen zu nennen und um die fachliche Einschätzung dieser Auffälligkeiten bitten. Eine gute Übersicht über entsprechende Beratungsangebote findest du unter www.hilfeportal-missbrauch.de. Wenn dein Kind sich im Intimbereich streichelt, gilt es ebenfalls, gelassen zu bleiben und dem Kind zu erklären: „Wenn sich das gut anfühlt, kannst du das machen, aber das macht man nur, wenn man allein ist. Nicht, wenn andere Leute dabei sind.“ Ähnliches gilt für das stolze Präsentieren des Gentials oder das Hochheben des Rocks: Erkläre deinem Kind, dass es das bitte nur zuhause machen sollte, und nur vor den Eltern. Ein striktes Verbot würde nur den Reiz des Verbotenen wecken. Manchmal weigern sich aber Kleinkinder, sich an diese Bitte zu halten – gerade kleinere Kinder leben sehr im gegenwärtigen Moment und vergessen oft, was die Eltern ihnen erklärt haben. Wenn dein Kind also trotzdem weiter Striptease vollzieht, ist das keinesfalls böse Absicht und meist auch kein „Machtkampf“, sondern einfach verträumtes, verspieltes Verhalten, was in diesme Alter ganz natürlich ist. Dann ist es oft am sinnvollsten, diesen Handlungen nicht allzu viel Beachtung zu schenken, um sie nicht noch interessanter zu machen. Das bedeutet nicht, dass du dein Kind quasi strafend „ignorieren“ solltest, sondern du solltest einfach kurz, ohne besondere Aufregung, reagieren, zum Beispiel: „Oh, ist dir zu warm?“ oder „Oh, musst du Pipi?“ und dann zur Tagesordnung übergehen. Manchmal hilft es, wenn das Verhalten in der Öffentlichkeit auftritt, das Kind abzulenken.
...wenn die erste Neugier vorbei geht oder, meist zwischen vier und sechs Jahren, das Schamgefühl zunimmt.
Wie bei allen Erziehungsfragen, die mit den eigenen Werten und vielleicht auch der eigenen kindlichen Entwicklung zu tun haben ist es gut, wenn du dich mit dem Partner/deiner Partnerin darüber sprichst. Es hilft deinem Kind, wenn Mama und Papa ähnlich reagieren. Falls du weitergehende Fragen zu diesem Thema hast, wende dich gerne auch an die Online-Beratung von ElternLeben.de
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