„NEEEEEEIN! NEEIIIN! ICH! ICH!“ schreit mich mein Einjähriger an. Er will sich unbedingt allein die Schuhe anziehen und hat wenig Verständnis dafür, dass wir viel zu spät dran sind und keine Zeit für geduldige Erklärungen bleibt. Es ist irgendwie der Klassiker, oder? Die Kinder entdecken ihre Selbstständigkeit, etwas, das so ziemlich alle Eltern großartig finden. Allerdings bedeutet das eben auch: Selbst etwas machen wollen. Immer. Und oft in den Situationen, in denen es nicht so recht passt.
Ich erkläre meinem Einjährigen also, dass ich verstehe, dass er seine Schuhe gern selbst anziehen möchte, dass die Zeit aber drängt und ich es deswegen ausnahmsweise mal für ihn übernehme. Nebenbei ermahne ich die Vierjährige sich doch bitte endlich die Jacke anzuziehen, ich hätte das doch schon oft genug gesagt.
Verständnis für mein Antreiben zur Eile hat keins meiner Kinder. Meine Tochter zuppelt an ihrer Jacke und schreit, dass sie das allein nicht kann, mein Sohn fängt an, mir ins Gesicht zu kneifen, weil er mir eben beweisen will, dass er das Anziehen sehr wohl allein beherrscht.
Der Eine kann also, darf aber nicht, die Andere darf, will aber nicht. Mittendrin bin ich, schwitzend, weil ich mir ja schon alles übergeworfen hatte, um den Prozess zu beschleunigen. Und ich merke sehr deutlich, wie in mir eine Wut hochsteigt. Weil nichts klappt, weil wir Zeitdruck haben und weil es doch auch einmal einfach laufen könnte, wie ich es mir wünsche.
An einem anderen Tag sitze ich mit den Kindern auf der Couch, ich will ihnen ein Buch vorlesen. Allerdings ist der Geschwisterstreit darüber, was wir lesen ziemlich groß. Da wird sich gegenseitig an den Haaren gezogen, Bücher auf die Beine geschlagen und gestritten. Geschwisternormalität, klar. Aber das macht es ja nicht weniger anstrengend.
Ich sitze dazwischen und denke mal wieder darüber nach, wieso es manchmal so kompliziert ist. Denn natürlich wünsche auch ich mir eine Einheit, Ruhe und friedliches Zusammensein. Davon sind wir aber weit entfernt. Ich gebe zu: Ich bin genervt und würde gern für Ruhe sorgen. Stattdessen sind meine Kinder inzwischen dazu übergegangen, mir die jeweils ausgesuchten Bücher ins Gesicht zu werfen. Und dabei zu lachen. Ich werde wirklich sauer.
„Hört sofort auf damit, das macht man nicht“, sage ich. Mein Einjähriger lacht, für ihn ist das ein großer Spaß, weil er sich natürlich mit seiner Schwester gegen mich verbünden kann. „Stop, wir tun uns nicht weh. Lasst das!“ Meine Kinder gucken mich mit großen Augen an. Und ich merke: Nein, ich muss jetzt mal durchatmen. Ohne die Kinder. Das sage ich ihnen auch, dass sie hier sitzen bleiben sollen, während ich mal kurz weggehen muss. Im Nebenzimmer atme ich tief durch und zähle bis zehn. Hilft, wenn ich ehrlich bin, nur bedingt. Denn ich bin trotzdem noch sauer. Ich weiß, dass meine Kinder mich nicht mit Absicht ärgern, sie wollen mir auch nicht unbedingt wehtun.
In solchen Augenblicken mache ich mir immer wieder klar: Sie sind einfach wie sie sind, - eben kleine Kinder. Und unsere Aufgabe als Eltern ist es, ihr Anker zu sein, wenn sie nicht wissen, wie sie ihre Gefühle ausdrücken sollen. Ich gebe zu: Das ist ganz oft gar nicht so einfach, diesem Gefühlssturm etwas entgegenzusetzen.
Ihr dürft das anstrengend finden, euch hilflos fühlen und denken, dass ihr schlechte Eltern seid, weil es bei den anderen immer so einfach aussieht. Die Wahrheit ist: Ihr seid keine schlechten Eltern. Sondern es ist eine herausfordernde Zeit. Was ihr aber nie nie, nie tun dürft: Eure Kinder schlagen. Die Kontrolle über euch verlieren und sie hart anpacken, ihnen einen Klaps geben, sie schütteln.
Es gibt keine „leichten Schläge“, sondern Schläge sind Schläge. Und Gewalt gegen Kinder ist in Deutschland verboten. Es gibt da wirklich keinen Graubereich. Wenn ihr merkt, dass ihr es nicht schafft und es für euch nicht reicht mal den Raum zu verlassen, abends beim Sport Dampf abzulassen oder in ein Kissen zu boxen, dann holt euch Hilfe. Lasst es niemals an euren Kindern aus. Es gibt auch keine Entschuldigung dafür wie „mir hat das auch nicht geschadet“. Es ist nicht ok, Ende der Diskussion.
Meine Kinder wissen, dass ich wütend werde, dass ich verletzlich bin, dass ich traurig werde. Ich verheimliche keine meiner Gefühle. Sie wissen also, dass ich auch wütend werden kann, wenn sie mich kneifen oder ich angespannt bin. Aber dann reden wir darüber. Sie wissen: Mama hat auch jede Menge Gefühle. Aber wir können uns sicher sein, dass wir geliebt werden. Und, dass ich sie niemals schlagen würde.