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Gesunde Bindung zum Kind: verbunden sein - verbunden bleiben

Bindung – dieses unscheinbare Wort setzt Schwangere und junge Mütter und Väter heute oft unter Druck, denn in allen Medien wird Bindung als Schlüssel für ein gesundes Aufwachsen von Kindern propagiert. Im Kern ist das auch richtig. Doch leider entsteht ein großes Missverständnis bei Eltern, die meinen, sie müssten eine Art Zusatzleistung erbringen, ja vielleicht sogar eine Ausbildung absolvieren. Dabei entsteht ein wesentlicher Anteil der Bindung von ganz alleine. Gemeinsame Aktivitäten wie Stillen, Füttern, Tragen, Kuscheln oder Spielen fördern die Bindung – jeden Tag. Unsere Hebammen-Expertin, Inken Harring Andresen, macht Müttern und Vätern Mut zum Thema Bindung und berichtet von eigenen Erfahrungen.

Lesezeit: Etwa 5 Minuten
Mutter und Baby kuscheln

Eltern wollen alles richtig machen

Vor 20 Jahren kurz nach meinem Hebammenexamen, war ich mit meiner ersten Tochter schwanger und arbeitete zeitweise in dem Hebammenladen einer lieben Kollegin. So stand ich mit meinem schönen runden Bauch und dem kleinen Wunder darin vor einem Bücherregal und sollte die neu eingetroffenen Bücher einsortieren. Mir wurde mit jedem Buch und den verheißungsvollen Überschriften immer mulmiger im Bauch.

Ich hatte nämlich nicht eines dieser Bücher gelesen. Zuhause konnte ich dann meine Tränen nicht mehr zurückhalten, weil dieses Gefühl in mir gewonnen hatte, dass ich das mit dem Muttersein wohl nicht hinbekommen würde... Ihr seht: auch Hebammen sind einfach nur werdende Mütter, trotz aller fachlichen Kenntnisse.

Heute geht es euch wahrscheinlich so, dass ihr unzählige Facebookgruppen, Babyapps oder Elternforen besucht – einfach um sicherzugehen, dass ihr alles richtigmacht. Worauf will ich hinaus? Dass weniger mehr ist und dass es bestimmt tolle Bücher und Ratgeber und Eltern- Babykurse gibt? Ja, zum einen, denn das stimmt ja auch! Nur was hat mir selbst als Mutter von mittlerweile zwei fast erwachsenen Töchtern und nach 20 Jahren Hebammenarbeit am meisten geholfen, eine gute Bindung zu meinen Kindern und Vertrauen in meine Kompetenzen aufzubauen? Es war das Baby und später das Kind selbst!

Bildung beginnt im Bauch

Denn dafür ist es wie geschaffen und bringt außerordentlich viele Kompetenzen in unser gemeinsames Leben mit. Lasse ich mich gefühlsmäßig darauf ein, dass mein Baby im ersten Lebensjahr, von der ersten Lebensstunde an, mich kompetent sein lässt, dann braucht es eigentlich nichts anderes außer Achtsamkeit und Bewusstsein für das Miteinander.

Dieses Band des Miteinanders, sprich Bindung, beginnt naturgegeben im Mutterleib. Unser Kind erfährt dort in stetiger Verbundenheit, dass es sich gut entwickeln und wachsen kann und Erfahrungen sammelt, die wir mit ihm teilen, wenn wir es als vollkommenen Kommunikationspartner wahrnehmen. Wir können mit unseren Babys im Bauch sprechen, wir können ihre und unsere Bewegungen wahrnehmen und sogar unsere Gefühle miteinander teilen. Neurobiologen wie G. Hüther beschreiben das in ihren Forschungen und  Büchern über die vorgeburtliche Lebenszeit.

Babys sind Bindungs- und Kommunikationsexperten

Das Baby agiert und kommuniziert nach seiner Geburt so weiter, wie es das vorher gewohnt war. Es kommuniziert mit uns in einem fort und erwartet entsprechend seiner Bedürfnisse und seines Alters eine Beantwortung durch uns - mit unseren Bewegungen auf seine Bewegungen, unseren Gefühlen auf seine Gefühle, mit unserer Stimme oder auch ohne Sprache über unsere Mimik, vor allem über unser Lächeln! Setze einfach fort, was du während der Schwangerschaft angefangen hast: streicheln, sprechen, singen.

Dein Baby macht es auch einfach weiter, weil ihr so miteinander schon 9 Monate kommuniziert habt. Spielt und sprecht beim Wickeln, Stillen. „Füttert“ es mit euren Gedanken, Gefühlen und nonverbaler Kommunikation. Von Woche zu Woche, von Monat zu Monat wird dein Baby immer vielseitiger darauf antworten. Verbringe Zeit mit dem Baby, suche Körperkontakt und beruhige es beim Weinen durch Singen, Wiegen und Tragen und vor allem durch Nähe. Lasst die Nähe zu – auch ihr Väter! Je kleiner das Kind, desto mehr Nähe braucht es.

Leben ist Veränderung

Vielleicht denkst du jetzt: ja aber so einfach ist das nicht, denn es gibt evtl. Probleme durch die Geburt, das Stillen und später sowieso, wenn die Wut- und Trotzphase im Kleinkindalter eingeläutet wird. Ja, Veränderung gehört dazu. Aber auch dafür ist sowohl das Kind, wie auch wir vorbereitet, denn im Mutterleib ist es auch jeden Tag über sich selbst hinausgewachsen und hat sich verändert durch sein Wachstum und durch die Entwicklung seines Potenzials von einer Zellteilung zur nächsten. Und wodurch konnte es dies bewerkstelligen? Durch uns, die Eltern!

In stetiger Verbundenheit in der Schwangerschaft mit seiner Mutter und seiner Umwelt, durch das gemeinsame Überstehen und sich voneinander Lösens durch die Geburt, um dann wieder mit ins in Bindung zu gehen und in den Armen von Mutter und Vater zu landen. So geht es dann immer weiter im Leben. Nichts bleibt beständig. Wir sind dafür gemacht, uns zu verändern – von Klein auf an. Babys, Kleinkinder und Kinder können das!

Erfahren Kinder die Sicherheit von verlässlichen Bindungen und Vertrauen zu ihren Eltern und ihrer Umwelt, dann geht es leichter und sie werden mehr Freude erleben als, wenn wir meinen, wir müssten unseren Kindern immer alles richtig und sachlich und ohne Fehler anbieten. Fehler zu machen gehört zum Mutter- und Vatersein dazu. Wir sind Lernende und kompetent zugleich – genau wie unser Kind.

Mütter und Väter tragen die Verantwortung

Wir als Mutter, als Vater, tragen tatsächlich die Verantwortung und haben uns dieser Aufgabe angenommen. Wir geben dem Kind Halt und Bindung und können loslassen und unser Kind die Welt entdecken lassen – beides zugleich und immer wiederkehrend im Wechsel. Wie ihr das schaffen könnt? Ganz einfach – durch Liebe! Das ist nicht nur romantisch gemeint, sondern gerade neurobiologische Forschungen bestätigen, dass im Zustand von Lieben und geliebt sein ein wahres Feuerwerk im Gehirn stattfindet.

Der Mensch – Eltern wie Kinder – kann in diesem Zustand sein höchstes Lernpotenzial entfalten. Traut euch also, gute Eltern zu sein. Entdeckt, was alles längst in euch steckt. Natürlich ist Lesen sinnvoll und Informationen ergänzen unser unbewusst vorhandenes Wissen. Doch vertraut vor allem eurer Bindungskraft in euch selbst und eurem Partner/eurer Partnerin, um so die Bindung zu eurem Kind im Alltag zu erfahren, um dann gemeinsam, die Welt zu entdecken. Habt Freude daran!