Die bilinguale, also die mehrsprachige Erziehung von Kindern, ist ein komplexes Thema – nicht zuletzt deshalb, weil jede Familie ihre individuellen Lebensentwürfe hat. Es gibt viele Familien, in denen die Kinder zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit mehreren Sprachen aufwachsen.
Kerstin und Thomas erwarten ihr erstes Kind. Sie sind beide in Deutschland geboren. Deutsch ist ihre Muttersprache. Sie planen, ihren Sohn schon früh zusätzlich mit der englischen Sprache zu erziehen. „Ich halte es für seine späteren Berufschancen besonders wichtig, dass unser Sohn eine Fremdsprache erlernt. Er wird es auf dem Arbeitsmarkt leichter haben und auch im Ausland gut bezahlte Jobs annehmen können“, sagt Thomas. Kerstin und Thomas besitzen beide englische Grundkenntnisse, die sie im Alltag kaum anwenden.
Das Beispiel steht stellvertretend für andere Familienentwürfe, in denen Kinder früh mit einer Fremdsprache erzogen werden. Was solltest du hierzu wissen?
Hirnforscher lehren uns tatsächlich, dass gerade in der Kindheit die Lerngeschwindigkeit für Neues rasant ist. Diese Lerngeschwindigkeit nimmt mit zunehmendem Alter ab. Erlernt ein Kind im frühen Alter statt einer Sprache zwei Sprachen, entsteht ein einzelnes neuronales Netz von verbundenen Nervenzellen. Hierin sind sprachliche Regeln und Strukturen hinterlegt. Wenn ein Mensch im späteren Alter eine zweite Sprache hinzulernt, muss für diese neue Sprache ein teilweise neues neuronales Netz entstehen. Das kostet mehr Mühe und mehr Anstrengung.
Aus neurowissenschaftlicher Sicht ist der Ansatz von Kerstin und Thomas – je früher, desto besser – also nicht unbedingt verkehrt. Solltest auch du überlegen, dein Kind früh mit einer zusätzlichen Fremdsprache zu erziehen, überprüfe in diesem Zusammenhang deine Möglichkeiten in der Familie zur Umsetzung einer guten bilingualen Erziehung.
Thomas und Kerstin besitzen beide englische Grundkenntnisse, die sie im Alltag kaum anwenden. Allgemein wird bei mehrsprachiger Erziehung geraten, dass jeder Elternteil immer mit seinem Kind in der Sprache spricht, die es am besten beherrscht. So übernimmt das Kind die korrekten sprachlichen Strukturen. Würde sich in der praktischen Herangehensweise dementgegen ein Elternteil – also Thomas oder Kerstin – bemühen, mit ihrem Sohn immer nur Englisch zu sprechen, würde ihr Sohn die Strukturen der englischen Sprache vermutlich „eher mäßig“ erwerben.
Kinder spiegeln nämlich zuverlässig den von den Eltern gebotenen sprachlichen Input wider – also auch ein eher mäßig gesprochenes Englisch der Eltern.
Thomas meint: „Konsequent mit meinem Sohn Englisch zu sprechen ist für mich eigentlich eine zu große Umstellung. Ich bin kein gutes Sprachvorbild und möchte meinem Sohn das Englisch nicht falsch beibringen.“
Eine gute Möglichkeit, früh Englisch zu erlernen, ist der Besuch von Englischkursen speziell für Kinder. Hierbei solltest du die familiären Ressourcen gut im Blick haben. Neben dem Erlernen der englischen Sprache bedeuten Kursbesuche sowohl Kosten als auch Zeitaufwand. Du wirst dein Kind gerade in den frühen Jahren regelmäßig zu den Kursen begleiten und Sprachübungen in den Familienalltag einplanen müssen.
„Ich bin mir unsicher, ob wir regelmäßig Englischkurse wahrnehmen können. Es ist mir wichtig, auch Zeit zur freien Verfügung zu haben, ganz ohne Druck. Mein Sohn soll sich auch im freien Spielen entwickeln können. Und wer weiß, vielleicht entdeckt er sogar einmal andere Interessen, wie Sport oder ein Musikinstrument“, so Kerstin.
Du siehst, die Erziehung mit einer Fremdsprache gelingt nicht einfach nebenbei. Überlege dir mit deinem Partner genau, ob die Erziehung in einer Fremdsprache für euch Priorität haben soll – vor allem, wenn sie wie im obigen Beispiel „nur“ aus Leistungsorientierung geschieht. Überlege, wie machbar das Erziehen in einer Fremdsprache sein wird, wenn du eure Ressourcen und eure Möglichkeiten abwägst. Findet zusammen euren eigenen Weg und den richtigen Zeitpunkt, ob und wann ihr mit dem Erlernen einer Fremdsprache beginnen wollt.