Wir haben der ehemaligen Präsidentin der DGhK (Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind e.V.) Martina Rosenboom, einige Fragen zu hochbegabten Kindern gestellt. Beispielsweise: Warum Hochbegabte überhaupt Förderung brauchen oder wie es kommt, dass hochbegabte Kinder oft durch Probleme auffallen? Eltern sind meist verunsichert, haben viele Fragen und wünschen sich konkrete Unterstützung.
Die Frage ist eher: Warum sollten hochbegabte Kinder, also Kinder mit hohem Lernpotential, keine Förderung brauchen?
Jedes Kind sollte so lernen können, wie es zu ihm passt. In der Kita oder Schule wird darauf geachtet, ob ein Kind überfordert ist. Dann muss das Lerntempo oder –niveau gesenkt werden. Das muss dann auch für Kinder gelten, die unterfordert sind. Wer schneller lernt, sich tiefer mit etwas beschäftigen will oder weiter denkt, braucht andere Lernangebote. Zu Hause ist das zuerst noch ohne Hilfe machbar, aber auch Eltern stoßen eher als bei normalbegabten Kindern an ihre Grenzen.
Wenn dein Kind sich für Buchstaben interessiert, dann kannst du ihm leicht Angebote machen. Wenn dein Kind sich aber für fremde Schriftzeichen interessiert, die du selbst nicht beherrscht, dann wird es schwierig. In der Bibliothek sucht ihr dann vielleicht ein Buch, auch wenn dein Kind noch nicht das Alter hat, das darauf angegeben ist. Im Kindergarten oder in der Schule geht das oft nicht, weil bei den Materialien von durchschnittlich begabten Kindern ausgegangen wird. So wie es Angebote für die langsameren Lerner geben muss, so brauchen auch schnellere Lerner etwas Passendes.
Eigentlich fallen uns nur die hochbegabten Kinder mit Problemen auf. Die meisten kommen nach meiner Erfahrung so durch, legen sich ein spannendes Hobby zu oder müssen sich in der Schule nicht so anstrengen. Andere finden ein förderndes Umfeld und haben Erfolg. Und manche können das nicht – und erst da beginnen die Probleme. Das ist nach meiner Schätzung etwa ein Viertel der Hochbegabten.
Fehlende Förderung durch das Umfeld ist eine Ursache für Probleme. Manchmal ist kein Zugang zu passenden Lernangeboten vorhanden. Manchmal erfahren Kinder keine Anregung und Ermutigung von außen sondern Neid und Unverständnis. Soziale „Schieflagen“ werden dann zu Problemen.
Andere hochbegabte Kinder sind wohl sehr intelligent, aber dadurch haben sie ja nicht automatisch andere nötige Eigenschaften, um die Begabung auszuleben. Benötigt werden ja auch Fähigkeiten wie Selbstmotivation und Durchhaltevermögen. Bei besonders begabten Kindern sind auch diese emotionalen Anforderungen besonders groß.
Aus diesen vielen Gründen kann ein Ungleichgewicht entstehen aus Begabung einerseits und fehlender Umsetzung andererseits. In der Wahrnehmung von außen scheint es dann so, als habe das Kind Probleme, weil es hochbegabt ist. Zusätzlich gibt es auch Kinder, die grundsätzlich schon Beeinträchtigungen haben und im Zuge der Diagnostik wird nebenbei eine Hochbegabung festgestellt. So gibt es Kinder mit Legasthenie, Wahrnehmungsstörungen oder AD(H)S, die sehr wohl auch hochbegabt sein können.
Je jünger die Kinder sind, desto unsicherer ist eine Diagnose. Bei kleineren Kindern gibt es ja immer mal wieder Vorsprünge von ein paar Monaten, ob es um das Zahnen oder das Sprechen geht. Dazu kommt: Jedes Kind sollte nach seinem Entwicklungsstand gefördert werden. Da ist eine Diagnose meistens unnötig, weil die Entwicklung immer weiter geht. Wenn der Entwicklungsvorsprung größer wird, dann muss ich darauf flexibel reagieren, wie eigentlich immer bei Kindern: Wenn die Schuhe zu klein werden, müssen größere her; wenn das Kinderspiel langweilt, braucht mein Kind ein schwierigeres.
Manchmal geht das sehr schnell und dann fällt es auch in der Krippe oder Kita auf, wo ja mehr Kinder der gleichen Altersklasse zusammen sind. Auch da muss Förderung an den Entwicklungsstand angepasst werden. Meistens erzählen Eltern hochbegabter Kinder im Nachhinein, dass es schon früh sichtbar gewesen wäre. Das ist aber keine Feststellung in Art eines Intelligenztests. Die sind erst für Kinder ab etwa vier Jahren möglich – und eher sind sie aus meiner Erfahrung auch nicht sinnvoll.
Der Verein wurde von Fachleuten wie Lehrkräften und Psychologen 1978 für Eltern hochbegabter Kinder gegründet. Vorbild war dabei ein Verein in England. Von Beginn an war es Ziel, auch besonders begabte Kinder glücklich aufwachsen zu lassen. Dazu brauchen auch diese Kinder Verständnis und ein förderndes Umfeld, damit sie sich in der Gesellschaft wohlfühlen. Das Umfeld sind für die Kinder zuerst die Eltern, dann auch die Schule und letztendlich wir alle als Gesellschaft.
Dafür bieten wir Wissen über Begabungen an, die Bezugspersonen können bei uns Beratung bekommen und vor allem verknüpfen wir die Menschen: Kinder sollen andere Kinder treffen können, Eltern helfen anderen Eltern und Lehrkräfte finden passende Fachleute. Uns ist dabei wichtig, dass Hochleistung nicht das Ziel ist, sondern sehen darin einen Nebeneffekt eines glücklichen Menschen, der seine Begabungen entwickeln und umsetzen kann.
So sehen wir auch die Förderung aller Begabungen für alle Kinder als unsere Aufgabe. Wir schauen bei jedem Kind und bei jeder Familie auf die Stärken und Möglichkeiten und helfen ihnen das auszubauen.
Die DGhK hat in Deutschland über hundert Ansprechpartner. Das ist über die Regionalvereine organisiert, die man unter >>www.dghk.de findet. Dort gibt es auch eine >>Beratersuche nach Postleitzahlen. In Deutschland hat ja jedes Bundesland eine eigene Bildungspolitik, deshalb kennen sich Leute vor Ort besser aus. Wenn man dort anruft oder zu einem Treffen geht, muss man kein Mitglied sein. Auch die meisten Kinderveranstaltungen sind offen. Einen IQ-Test verlangt man dort nie.
Die Beraterinnen und Berater sind nicht nur erfahren, sondern haben oft auch spezielle Ausbildungen. Zu den Treffen bringen auch die Eltern Erfahrungen mit: Wie war das mit der frühen Einschulung? Wie ging es euch nach dem Überspringen einer Klasse? Was habt ihr der Schule von der Hochbegabung erzählt? Erfahrungsaustausch von Eltern für Eltern.
Zusätzlich gibt es noch eine Beratung für >>Lehrpersonen, zu der man am besten per Mail Kontakt aufnimmt. Diese Experten stehen genauso wie die Elternberaterinnen in engem Austausch, so dass immer irgendjemand einen Tipp hat. Wenn dann doch professionelle Hilfe nötig ist, z.B. für einen Intelligenztest, dann kennen die Fachleute der DGhK vor Ort auch geeignete Ansprechpartner.