Format: Artikel – Schreibfeder auf dem Tisch
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Mit Kindern über den Krieg sprechen – Halt geben

Die aktuelle Situation ist furchtbar, traurig, schockierend und angsteinflößend zugleich. Täglich sehen wir in den Nachrichten brutale Kriegsbilder und Berichte aus der Ukraine und wir müssen zuschauen, wie unschuldige Menschen aus der Ukraine zu Opfern des Angriffs aus Russland werden. Auch wenn unsere Kinder vielleicht von diesen schrecklichen Bildern verschont bleiben, weil wir sie davor beschützen, spüren unsere Kleinsten, dass ihre Eltern beunruhigt und in großer Sorge sind. Deshalb ist es wichtig, Kinder in diesen Zeiten sicher und bedürfnisorientiert zu begleiten.
Mein Name ist Dr. Martina Stotz. Ich bin Doktorin der Pädagogik und habe 5 Jahre im Bereich der Familien- und Entwicklungspsychologie geforscht. Seit 12 Jahren begleite ich Eltern in Krisen, bei Erziehungsherausforderungen und in der Online-Beratung bei ElternLeben.de.

Lesezeit: Etwa 8 Minuten
Kleiner Junge sieht ängstlich aus dem Fenster und schaut nach oben.

Wie Eltern, die selbst Angst haben, ihre Kinder begleiten können

Viele Eltern und auch Fachkräfte in Einrichtungen fragen sich: Ist es denn tatsächlich sinnvoll mit Kindern über den Krieg zu sprechen? Auch diese Fragen kommen sicherlich bei dir auf:

  • Ab wann soll ich mit meinem Kind über den Krieg sprechen?
  • Wie soll ich meinem Kind den Krieg erklären?
  • Was soll ich tun, wenn mein Kind oder auch ich selbst große Angst vor dem Krieg haben?

Ich möchte dir durch diesen Artikel ein wenig Orientierung und Halt für den Umgang mit deinem Kind geben, damit du dich sicherer fühlst, in welchem Ausmaß und in welchem Alter du mit deinem Kind über Krieg sprechen kannst.
Auch erfährst du hier, wie du deinem Kind aber auch dir selbst Halt gibst, um weiterhin Schutz und Geborgenheit in eure Familie tragen zu können. Denn gerade dann, wenn sich im Außen soviel verändert, ist es so wichtig, dass wir uns im engsten Kreis – in unseren Familien und im Freundeskreis – gegenseitig Halt, Liebe und Frieden schenken.

Mit Kleinkind oder KiTa-Kind über den Krieg sprechen

Grundsätzlich würde ich in dieser Entwicklungsphase davon abraten, dein Kind bewusst mit dem Thema Krieg zu konfrontieren. In dieser Entwicklungsphase bist du und weitere wichtige Bezugspersonen für dein Kind der Mittelpunkt der Welt. Deshalb versuche darauf zu vertrauen, dass es weiterhin ausreicht da zu sein, wenn dein Kind dich braucht. Besonders wichtig ist es auch, gut für dich zu sorgen. Solltest du also selbst extrem mitgenommen, in Sorge oder Angst sein und nur schwer auf andere Gedanken kommen, ist es wichtig, dir Austausch oder sogar professionelle Hilfe zu suchen, die dir guttut. Wende dich z.B. auch gerne an unsere kostenfreie Online-Beratung, falls du dir deine Sorge einfach mal von der Seele schreiben möchtest oder du nach einer Begleitung suchst.

Tatsächlich gibt es immer wieder Kinder, die bereits im 4. oder 5. Lebensjahr Fragen zum Krieg stellen. Dann ist es natürlich wichtig auf diese Fragen sehr kindgerecht zu antworten.

Eine kindgerechte Erklärung könnte z.B. sein:
„Menschen aus einem Land wollen den Menschen aus einem anderen Land etwas wegnehmen, was ihnen gehört und deshalb kommt es zu großem Streit und sie kämpfen. Darüber bin ich sehr traurig, weil mir Frieden auf der Welt so wichtig ist.“

Dein Kind kann darüber verstehen, warum du manchmal gerade etwas traurig bist. So lebst du auch vor, dass alle Gefühle ihre Berechtigung haben. Diese Informationen reichen bei Nachfragen völlig aus, da ein Kleinkind und KiTa-Kind kognitiv noch nicht in der Lage ist zu verstehen, was Krieg bedeutet. Auch emotional wäre ein Kind überfordert und verängstigt, wenn es in diesem Alter Kindernachrichten schauen würde oder Bilder von Krieg verarbeiten müsste.
Diese Erklärung kann auch in Einrichtungen verwendet werden, wenn Kinder sichtliches Interesse am Thema Krieg zeigen. Gleichzeitig möchte ich dringend davon abraten, das Thema in der KiTa-Gruppe zu besprechen, da Kinder mit unterschiedlichem Entwicklungsstand völlig andere Begleitung brauchen.
 

Mit meinem Grundschulkind über den Krieg sprechen

Kinder in der Grundschule entwickeln zunehmend mehr Urteilsvermögen und moralisches Denken. Da Kinder sich sehr unterschiedlich entwickeln und manche Kinder in der ersten Klasse noch genauso überfordert wären wie KiTa-Kinder, empfehle ich erst ab der 2. oder 3. Klasse sehr kindgerecht über das Thema Krieg zu sprechen und eventuell Kindernachrichten zu schauen, die davor allerdings kritisch betrachtet werden dürfen.

Eine kindgerechte Erklärung könnte dann z.B. sein:
“Die Menschen im Krieg kämpfen miteinander. Sie streiten, weil sie beide etwas wollen und deshalb kämpfen sie, damit sie es bekommen. In diesem Krieg ist es so, dass Russland die Ukraine angreift. Die Menschen aus der Ukraine kämpfen nur, weil sie sich beschützen müssen. Um sicher zu sein, fliehen viele Menschen aus ihrem zu Hause. Einige Menschen werden auch zu uns kommen und wir können ihnen Schutz und einen Schlafplatz schenken. Die Menschen aus anderen Ländern können helfen, damit die unschuldigen Menschen sicher sind.“

Gerade Grundschulkindern hilft es bereits, aktiv zu werden, sich über das Thema auszutauschen und mit ihren Gedanken und Gefühlen ernstgenommen zu werden.

So kannst du mit deinem Grundschulkind ins Tun kommen, um mit der Angst umzugehen und zu helfen:

  • Malt Friedenstauben an die Fenster oder bastelt sie, wenn dein Kind daran Interesse hat.
  • Betet für die Kinder und Menschen im Krieg oder sendet ihnen liebevolle Gedanken oder Friedenslieder.
  • Sammelt Kleidungsstücke oder Spielzeug für Kinder, die in der eigenen Region gerade geflüchtet sind.

So kannst du deinem Kind emotional begegnen:

  • Gehe gerne auf Fragen ein, die dein Kind beschäftigen, ohne dabei allzu bedrohliche Bilder und Informationen zu teilen, die dein Kind in zu starke Sorge versetzen.
  • Schaut keine Kindernachrichten ohne diese davor kritisch zu prüfen und achte dabei auf die Persönlichkeit deines Kindes.
  • Gerade sehr einfühlsame Kinder leiden darunter, sich zu sehr in die Situation der Opfer hineinzuversetzen – so geht es auch sehr einfühlsamen Erwachsenen, weshalb dann eine geringe Dosis an Nachrichten empfehlenswerter ist.
  • Sollte dein Kind Kindernachrichten schauen, begleite es, indem du dich dazusetzt und ihr danach über die Geschehnisse sprecht.
  • Sprecht darüber, welche Gefühle entstehen, wenn ihr an die Menschen im Krieg denkt. Benennt eure Gefühle und hilf deinem Kind darüber zu verstehen, dass alle Gefühle sein dürfen.
  • Vermittle Sicherheit, indem du deinem Kind aufzeigst, was andere Länder bereits tun, um dem Krieg entgegenzuwirken.

So spreche ich mit meinem Teenager über Krieg

Teenager sind immer noch Kinder – das dürfen wir nicht vergessen und ihnen nicht zu viel zumuten. Gerade dann, wenn Kinder sprachlich sehr weit sind und sie uns mit Argumenten unter den Tisch argumentieren können, neigen Erwachsene manchmal dazu, sie in ihren emotionalen Fähigkeiten zu überschätzen.
Deshalb sprich immer wieder mal mit deinem Teenager über die aktuelle Situation, um die Gedanken und Gefühle deines Kindes ernstzunehmen. Versuche gleichzeitig dein Kind auch in diesem Alter noch davor zu schützen, bei TikTok oder Instagram brutale Kriegsszenen anzuschauen. Verbote sind nicht zielführend, sondern eher eine liebevolle Begleitung. Du kannst deinen Teenager z.B. fragen, wie er sich denn gefühlt hat nachdem er ein schlimmes Kriegsvideo angeschaut hat und mit ihm darüber sprechen.
Auch kannst du dann Hinweise darauf geben, wie du versuchst mit der Situation umzugehen.

Du könntest z.B. sagen:
„Weißt du, wenn ich mich zu viel mit den Nachrichten beschäftige und zu viele Kriegsvideos schaue, bin ich so traurig und ich habe dann viel größere Angst, als wenn ich weniger schaue. Deshalb lese ich nur einmal am Tag die Nachrichten. Wärst du bereit, auch gut auf dich aufzupassen. Vielleicht hilft es dir, wenn wir alle abends das Handy ausmachen oder wenn wir gemeinsam die Nachrichten schauen und dann darüber sprechen?“

Wie kann ich mir selbst und meinem Kind Halt geben?

Schutz und Halt für dein Kind:

  • Gib deinem Kind die Chance, deine Gefühle und dein Verhalten zu verstehen und lebe ihm vor, dass alle Gefühle in eurer Familie erlaubt sind. Achte nur auf ein gesundes Maß und darauf, deine Gefühle gesund zu regulieren. So lernt auch dein Kind einen gesunden Umgang mit der Angst und Unsicherheit kennen und beginnt über seine Gefühle zu sprechen.
  • Findet kleine Kuschel- und Schutzrituale, indem ihr z.B. am Abend Glaubenssätze sprecht, wie z.B.: „Ich bin beschützt! Ich bin sicher! Ich bin geliebt!“
  • Ein Schutzgegenstand. Kinder haben eine blühende Fantasie, weshalb es wunderbar klappt Gegenstände oder auch unsichtbare Gegenstände mit Liebe und Schutz aufzuladen, um Kindern die Angst zu nehmen.
  • Sorge gerne weiterhin für Lebensfreude und Leichtigkeit in deiner Familie. So könnt ihr z.B. täglich tanzen, gemeinsam eine Kissenschlacht machen oder lautstark singen. Das hilft, um Gefühle auszudrücken und um in Verbindung zu kommen.
  • Viel Nähe und Kuscheln gibt deinem Kind viel Sicherheit und Schutz. Achte gerne bewusst auf kleine Nähe- und Ruherituale, die deinem Kind und auch dir dabei helfen, zu entspannen.

Wie du dir selbst Halt gibst:

Achte zunächst darauf, dass du deine eigenen Sorgen, Unsicherheiten und Ängste anerkennst. Gerade Eltern, die durch die Pandemie höchst belastet, gestresst und ausgelaugt sind und sich nicht nur Sorgen um die Menschen in der Ukraine, sondern auch um die Zukunft ihrer Kinder machen müssen, sind besonders belastet und verängstigt – wie könnte es anders sein. Du hast also jedes Recht in Sorge und Angst zu sein, da die Situation einfach schrecklich ist.

Versuche gleichzeitig für dich zu sorgen. Hier einige Anregungen, die dir helfen können:

  • Gehe mit deinen Liebsten in den Austausch und teile deine Sorgen und Ängste. Oft hilft es bereits, diese auszusprechen.
  • Reduziere Stress in deinem Alltag, der als Verstärker von Angst wirkt und versuche euer Familiennest so geborgen wie möglich zu gestalten.
  • Reduziere gerne auch du deinen Nachrichtenkonsum, wenn du dazu neigst vom Mitgefühl ins Mitleid zu rutschen. Mache dir bewusst, wie wichtig DU bist, auch weil du von deinem Kind gebraucht wirst.
  • Achte darauf, deine Bedürfnisse zu stillen und deine Gefühle gesund zu regulieren. Wenn du hier Hilfe brauchst, empfehle ich dir unser Handbuch Selbstfürsorge. Dieses Handbuch habe ich für sehr belastete Eltern geschrieben.
  • Traue dich, Unterstützung und Hilfe anzunehmen. So viele Eltern haben gerade Angst, spüren starke Ohnmacht und Hilflosigkeit und manchmal braucht diese Angst professionelle Begleitung – gerade dann, wenn dein Alltag davon stark beeinträchtigt wird und du deshalb nicht mehr so für dein Kind da sein kannst, wie du es gerne sein möchtest.
  • Komme ins Tun: Um mit deiner Hilflosigkeit umzugehen, kannst du dich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder Geld spenden, das direkt bei den Opfern ankommt.

wellcome – Ukraine Spendenfonds

Nutze hierfür gerne unsere Soforthilfe für Kinder und Familien aus der Ukraine. Über den Spendenfonds bietet die wellcome gGmbH die Möglichkeit, konkret und unbürokratisch zu helfen. Diese Möglichkeit der SOFORTHILFE wurde von unserer Geschäftsführerin Rose Volz-Schmidt ins Leben gerufen.