Montagnachmittag, die Sonne scheint. Eigentlich ein wunderschöner Tag, um sich am Spielplatz mit den anderen Müttern aus der Spielgruppe zu treffen. Sabine denkt kurz nach, entscheidet sich dann aber doch für den heimischen Balkon. Dort spielt ihr Sohn Nico im kleinen Sandkasten. Ihm ist sichtlich langweilig und er quengelt. Sabine seufzt. Gerne hätte sie mit ihrem fast zweijährigen Sohn ihre Freundinnen und deren Kinder getroffen. Aber zurzeit ist das gar nicht so einfach. Nico verhält sich ziemlich rabiat. Er schubst die anderen Kinder im Sandkasten, nimmt ihnen die Schaufel weg und bewirft sie auch mal mit Sand.
In der letzten Woche hat er sogar der Tochter ihrer Freundin einen Eimer er auf den Kopf geschlagen, als diese ihre Schaufel verteidigen wollte. Das war zu viel für alle. Sabines Freundin Marie schrie Sabine an. Es wäre jetzt genug. Sie hätte keine Lust mehr, dass ihre Tochter geärgert würde. Sabine solle sich überlegen, ob ihr Kind nicht verhaltensauffällig wäre. Das war zu viel für Sabine. Sie schimpfte hart mit Nico, nahm ihn und ging mit ihm nach Hause. Was hatte sie nur falsch gemacht? Die anderen Eltern schafften doch auch, dass ihre Kinder lieb und nett nebeneinander oder miteinander spielten. Nur Nico konnte das nicht. War ihr Kind wirklich verhaltensauffällig?
Sowohl auf dem Spielplatz als auch in der Krippe oder Spielgruppe geraten Kinder auf alle möglichen Wege aneinander. Sie nehmen sich Spielsachen weg, schubsen sich und es kommt schon mal zu richtigen Handgreiflichkeiten. Für Eltern ist das manchmal nicht leicht zu ertragen. Denn genau wie Sabine wünschen sich alle Eltern, dass sich ihre Kinder friedvoll und sozialverträglich verhalten. Doch wie kommt es eigentlich dazu, dass sich Kleinkinder manchmal scheinbar kampfeslustig verhalten? Meistens steckt gar keine Aggression oder gar Verhaltensauffälligkeit dahinter, wie wir es vermuten. Hierfür gibt es viele Gründe:
Kleinkinder probieren ihre Welt auf vielfältigste Weise aus. Sie experimentieren mit Wasser, Sand, Papier, unterschiedlichsten Spielsachen oder Alltagsgegenständen. Ebenso experimentieren sie auch mit ihrem Sozialverhalten. Was passiert, wenn ich auf ein anderes Kind zugehe? Wie reagiert ein Kind, wenn ich es anfasse, streichle oder zwicke? Kann ich mit meinem Verhalten etwas bewegen? Manche Kinder sind geradezu entzückt, wenn sie merken, dass sie beim Gegenüber etwas bewirken können. Was dabei für das andere Kind unangenehm ist und was schön, müssen sie noch lernen.
Kleinkinder sind interessiert aneinander. Sie wünschen sich den Kontakt zu anderen und brauchen diesen auch. Doch sind die unter Vierjährigen sprachlich und sozial noch eingeschränkt. Sie nehmen Kontakt vor allem über Gegenstände auf. Hat dein Kind Interesse an einem anderen Kind, wird es auch Interesse an dessen Spielzeug haben. Eigentlich ist das erst einmal ein „Freundschaftsbeweis“. Wenn dein Kind einem anderen die Schaufel nimmt, kann das also auch heißen „Nimm mich wahr, spiel mit mir!“. Im Alter unter zwei Jahren ist das Geben und Nehmen auch ein ganz einfaches soziales Spiel. Vielleicht hast du schon mal Geben und Nehmen beobachtet, bei dem es gar nicht zum Streit kommt.
Manchmal sind kleine Kinder wie kleine Löwenbabys. Sie stolpern übereinander, benutzen ihre Körper als Spielmaterialien. Sie laufen hintereinander her, stürzen übereinander und haben Freude an der gemeinsamen Bewegung, die oft geprägt ist durch die gegenseitige Nachahmung. Bei diesen „wilden Spielen“ kann es schon mal passieren, dass ein Spiel, das eben noch Freude bereitet hat, einem Kind zu viel wird. Manchmal sind auch die Kräfte ungleich verteilt und ein Kind fühlt sich unterlegen oder machtlos
Ein Kleinkind muss erst noch lernen, dass auch andere Menschen Bedürfnisse und Grenzen haben, die es zu berücksichtigen gilt. Wenn wir unserem Zweijährigen unterstellen, jemand anderen absichtlich verletzt zu haben, gestehen wir ihm damit eine Entwicklung zu, die es noch lange nicht gemacht hat. Durch die Übung und die Auseinandersetzung mit den anderen Menschen lernt das Kind langsam, was dem Gegenüber gefällt und was nicht. Die Persönlichkeit des Kindes entwickelt sich mit deiner Unterstützung erst um den dritten Geburtstag soweit, dass das Kind wissen kann, dass ein anderer Schmerz empfindet, den es ihm zugefügt hat.
Aber nicht nur das Austesten und kennenlernen der Grenzen des Gegenübers ist wichtig, durch Konflikte und kleine Auseinandersetzungen lernt dein Kind auch sich selbst kennen mit all seinen Bedürfnissen, Grenzen und Fähigkeiten.
Wie so manche Entwicklungsphase ist diese ebenso anstrengend für die Eltern wie für die Kinder. Je mehr ich weiß, je besser ich beobachte, desto angemessener kann ich reagieren. Sonst besteht die Gefahr, durch zu schnelles oder starkes Eingreifen Konflikte anzuheizen oder von Verletzungen durch zu langes Abwarten. Was kannst du tun:
Biete deinem Kind die Möglichkeit sich mit anderen Kindern auseinanderzusetzen. Dein Kind kann angemessenes Verhalten zu seinen Alterskollegen nur lernen, wenn es mit ihnen in Kontakt gehen kann. Die Möglichkeit gibt es auf dem Spielplatz, in einer Spielgruppe oder in privat organisierten Treffen mit anderen Eltern und Kindern. Das ist vor allem wichtig, wenn dein Kind keine Geschwister hat. Einen schönen Rahmen bieten hier regelmäßige Treffen mit denselben Kindern. Hier kann das Kind Sicherheit im Umgang gewinnen und erste Freundschaften schließen. Unterstütze auch Sympathien, die dein Kind für Altersgenossen entwickelt.
Im Spiel braucht dein Kind deine liebevolle Aufmerksamkeit. Wenn du dein Kind im Spiel beobachtest, fällt es dir leichter Situationen nachzuverfolgen. Wie kam es eigentlich dazu, dass der Sohn deiner Freundin plötzlich weint und deine Tochter bedröppelt daneben steht? Wir neigen dazu Kindern schnell Rollen zuzuschreiben. „Marvin – der Rabauke“ bleibt leicht der Rabauke, wenn man ihm nicht zutraut auch mal anders zu agieren und „Melanie – die Zurückhaltende“ bleibt schüchtern, wenn man die Nuancen ihres Verhalten nicht beobachtet und ihr die Chance gibt, sich ganz neu zu beweisen.
Kleinkinder ändern sich und ihr Verhalten oft. Bleib offen dafür. Versuche jede Situation als die zu bewerten, die sie ist. „Was hast du denn jetzt schon wieder gemacht?“ ist hier nicht der passende Satz. Frage lieber nach, was passiert ist und wie du die Kinder jetzt unterstützen kannst.
Hier ist das verbalisieren von Gefühlen sehr wichtig. Kinder haben vielfältigste Gefühle, die sie oft noch nicht zuordnen können. Hier kannst du dein Kind auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Gefühlsleben gut begleiten. Versuche Situationen mit einfachen Worten zu beschreiben. Wenn Franziska Maria die Schaufel nimmt kann das so aussehen: „Franziska, du findest die Schaufel von der Maria ganz toll und möchtest auch gerne damit spielen“ „Maria, du bist traurig, weil du selbst mit der Schaufel spielen möchtest.“
Versuche die Worte zu finden, die das Kind in der Situation nicht findet. Auch hier ist die liebevolle Aufmerksamkeit notwendig, um Gefühle der Kinder wahrzunehmen und angemessen in Worte zu fassen. Du kannst aneinandergeratene Kinder auch um Lösungsvorschläge bitten oder ihnen welche vorschlagen.
Um Kindern in emotional schwierigen Situationen beistehen zu können ist es wichtig, dass du emotional anwesend bist. Du musst nicht die ganze Zeit mit Deinem Kind mitspielen oder mit ihm im Sandkasten sitzen. Aber es tut deinem Kind gut, wenn es in einer schwierigen Situation deinen Blickkontakt findet. Ein aufmunterndes Kopfnicken kann manchmal schon reichen, dass dein Kind eine Auseinandersetzung alleine meistert. Manchmal braucht es aber auch dein Eingreifen. Also – mach auch mal dein Handy aus um deinem Kind nahe zu sein.
In Streitsituationen unter kleinen Kindern ist es wichtig zu trösten. Wir neigen hier dazu in einem Täter-Opfer-Schema zu denken. Der eine ist schuld und der andere ist das Opfer. Hier entmachten wir auf der einen Seite das verletzte Kind und bringen es in eine ohnmächtige Situation. Auf der anderen Seite verlieren wir dabei oft die Not des vermeintlichen „Täters“ aus den Augen.
Auch ein Kind, das die Schaufel nimmt oder sogar auf den Kopf haut, tut dies oftmals aus Verzweiflung oder aber es ist über sein Verhalten und der Reaktion des anderen Kindes schockiert oder emotional aufgewühlt. Tröste immer beide Kinder und erkläre ihnen, was gerade passiert ist.
Verständige dich mit den Eltern des Kindes, mit dem dein Kind spielt. Jeder von uns hat andere Vorstellungen, wie gemeinsames Spiel aussehen soll. Während für dich und dein Kind ein Spiel evtl. noch normal ist, fühlt sich eine andere Mama durch das Verhalten deines Kindes evtl. schon angegriffen. Frag einfach mal kurz nach. „Ist es für Dich ok, wenn sie so spielen?“ „Möchtest du, dass ich eingreife oder sollen wir abwarten, ob die Kinder die Situation selbst in den Griff bekommen?“ Das kann sehr hilfreich sein. Außerdem zeigt es der anderen Mutter: Es ist dir nicht egal, wie mein Kind mit deinem umgeht. So können Konflikte, wie einer in unserer Geschichte zwischen Sabine und ihrer Freundin entstanden ist, vermieden werden.
Wenn Kinder oft über Spielsachen in Konflikte geraten, biete ihnen Alternativen an. Kinder können sehr kreativ mit Gegenständen umgehen. Sieh dich nach Gegenständen um, mit denen Kinder gemeinsam spielen können. Kaufladen, große Kartons und Kisten, Spielhäuschen, ein großer Spiegel und alles, was zum Rollenspiel einlädt.
Oftmals greifen wir zu früh in das Geschehen zwischen Kindern ein. Wichtig ist immer, dass du eingreifst, sobald du das Gefühl hast, dass ein Kind der Lage nicht mehr gewachsen ist oder gar verletzt worden ist. Ansonsten kannst du ruhig in einem kleinen Abstand dabeibleiben und beobachten, was passiert. Kinder sind kreativ. Sie haben oftmals sehr schöne Ideen und echtes Interesse an ihren Spielpartnern. So manche kleine Auseinandersetzung ist längst gegessen und die Kinder spielen schon wieder glücklich miteinander, während sich die Eltern noch Gedanken über die Auseinandersetzung machen. Also, trau Deinem Kind ruhig mal was zu. Bleib allerdings aufmerksam dabei und sprich dich mit den anderen betroffenen Eltern ab.
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