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„Hilfe, mein Kind isst kein Gemüse“

Dass Gemüse wichtig ist für ein gesundes Aufwachsen von Kindern und viele gute Nährstoffe enthält, wissen alle Eltern. Sämtliche Ernährungsratgeber und Ernährungspläne in den einzelnen Entwicklungsstufen von der Schwangerschaft über die Stillzeit und Fläschchenzeit, die Beikost und das Familienessen betonen die Bedeutung dieser Lebensmittelgruppe. Überall gibt es Rezepte oder Tipps, wie man Karotten, Broccoli, Tomaten oder andere Gemüsesorten kindgerecht zubereiten und dem Kind schmackhaft machen kann.
Eltern erleben jedoch, dass das Kind den Beikost-Gemüsebrei wieder ausspuckt, das Karottengemüse überhaupt nicht probieren will, oder sich vielleicht sogar davor ekelt. 

Lesezeit: Etwa 6 Minuten
Brot mit Gemüse auf Teller drapiert

Warum viele Kinder kein Gemüse mögen

Zunächst liefert uns die Evolutionsbiologie eine Erklärung. Der Mensch hat eine Vorliebe für „süß“. Denn süß schmeckende Lebensmittel haben eine hohe Energiedichte und liefern deshalb schnelle Energie. Außerdem sind süß schmeckende Lebensmittel nie giftig. In der Steinzeit bedeutete das Orientierung und Sicherheit und war für das Überleben von Vorteil. „Salzig“ ist eine Geschmacksrichtung, die erst im Laufe der Beikost dazu kommt und „bitter“ ist etwas, was man in der Regel erst im Laufe des Lebens zu mögen lernt. Spargel, Rosenkohl,  Kaffee oder Bier können an dieser Stelle als Beispiele genannt werden.

Säuglinge und Kleinkinder sind auf schnell verfügbare Nahrungsenergie aus dem Essen angewiesen. Denn sie haben noch keine großen Reserven. Da Gemüse wenig Energie (=Kalorien) hat, liefert es also keine schnelle Energie. Und außerdem schmeckt es nicht süß, sondern oft leicht bitter. Man könnte also sagen, dass das Kind „Recht hat“, wenn es lieber Nudeln, Käsebrot oder Frikadellen essen möchte statt Gemüse. Jedenfalls aus Sicht der Evolutionsbiologie.  

Gemocht wird, was auf den Tisch kommt

Das Kind muss also auf den Geschmack kommen, es muss Gemüse „mögen lernen“. Dieses Lernen beginnt schon in der Schwangerschaft. Und zwar durch das, was die werdende Mutter isst. Denn diese ersten Erfahrungen über das Fruchtwasser und die Nabelschnur führen dazu, dass das ungeborene Kind verschiedene Geschmackseindrücken bekommt. Es „schmeckt quasi mit“. Mütter, die viele verschiedene Gemüsesorten essen, prägen den Geschmack der Kinder auf eine andere Art als Mütter, die selber kein oder kaum Gemüse essen. Aromastoffe aus Gemüse gelangen auch in Muttermilch. Wenn Kinder also nach der Geburt gestillt werden, bekommen sie mehr Aromastoffe als über standardisierte Flaschennahrung. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Kinder automatisch Gemüse mögen werden, wenn es an das eigene Essen geht.  Sondern es ist einfach eine weitere Erklärung zu diesem Thema.

Denn jetzt kommt das Erfahrungslernen ins Spiel. Wenn ein Säugling oder ein Kind etwas immer wieder angeboten bekommt, wird es mit der Zeit lernen das zu mögen. Alle Eltern kennen den Spruch: „Gegessen wird, was auf den Tisch kommt“. Darin steckt ein wahrer Kern – wenngleich der Satz aus pädagogischer Sicht natürlich nicht mehr zeitgemäß ist. Heute müsste er lauten: „Gemocht wird, was auf den Tisch kommt“. Kinder in Japan lernen auf diese Weise Fisch und Reis zu essen, Kinder in Afrika Hirsebrei, die in Indien Currys und wir in Deutschland Wurstbrote oder Brötchen mit Marmelade. 

Eltern brauchen Geduld

Nicht alles Unbekannte schmeckt Kindern so schnell wie Eis oder Schokolade. Das Wichtigste ist, dass neue Lebensmittel immer wieder angeboten werden müssen! In der Literatur werden 10 bis 15 „Kontakte“ (Wiederholungen) genannt, bis der neue Geschmack akzeptiert wird. Egal ob diese Zahlen stimmen oder nicht: es bedeutet auf jeden Fall, dass man als Eltern Geduld aufbringen muss. Also bitte nicht gleich aufgeben und das entsprechende Gemüse nicht mehr kochen. Und zwar schon aus eigenem Interesse:  wenn Eltern Broccoli schmeckt, aber dem Kind nicht, warum sollte er nicht weiterhin auf dem Speiseplan stehen? Das wäre wirklich schade.

Was können Eltern noch tun? Sie können und sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Wer selbst gerne und oft Gemüse, Rohkost oder Salat isst, zeigt den Kindern auf diese Art und Weise, dass das etwas Leckeres ist. Es ist auch gut, wenn negative Kommentare wie „schon wieder Gemüse, ich will lieber Fleisch“ oder ähnliches unterbleiben. Leider hilft es nicht Kinder mit Argumenten überzeugen zu wollen oder zu diskutieren, dass Gemüse gesund und wichtig ist. Kleine Kinder verstehen diese Argumente noch nicht und größere lassen sich davon trotzdem nicht überzeugen. Das Einzige was für ein Kind zählt: Essen muss Spaß machen und es muss gut schmecken! 

Tipps für kleine Gemüsemuffel

Wir haben euch einige Tipps zusammengestellt, die ihr einmal ausprobieren solltet. Vielleicht klappt nicht alles – und schon gar nicht sofort – aber, wie heißt es so schön: Versuch macht klug!

  • Für die Beikost fängt man am besten mit süßlich schmeckenden Gemüsesorten an, wie z.B. Karotten, Pastinaken oder Erbsen. Mit der Zeit können weitere Gemüsesorten dazu gemischt werden. 
  • Erkläre deinem Kind, wie das Gemüse heißt, das auf dem Teller liegt. Wenn ihr zusammen einkauft, dann zeige ihm die verschiedenen Gemüsesorten im Supermarkt. Dein Kind kann dir auch helfen, das Gemüse einzupacken und in den Einkaufswagen zu legen. 
  • Lass dein Kind in der Küche mithelfen. Schon kleine Kinder können kleine Tomaten waschen oder eine Gurke in Stücke schneiden oder Broccoli-Röschen abteilen. 
  • Biete das Gemüse in verschiedenen Formen und Zubereitungen an. Roh als Fingerfood mit einem Dip, gekocht mit Sauce, geraspelt als Salat. Du kannst Möhren z.B. in Scheiben oder in Stifte schneiden oder mit einem speziellen Schälmesser in lange „Spaghetti“ schneiden. Kinder lieben es außerdem, wenn alles bunt und schön angerichtet ist. Wenn du Zeit hast und ihr Spaß daran habt, dann könnt ihr auch gemeinsam Gemüse schnitzen oder kleine lustige Figuren dekorieren (dazu gibt es im Internet eine Menge Anleitungen). 
  • Du kannst auch eine neue Gemüsesorte unter etwas Bekanntes mischen, zum Beispiel in eine Suppe oder in einen Auflauf. Wenn dein Kind einen sehr empfindlichen Geschmackssinn hat, dann fange mit sehr kleinen Mengen an und steigere sie langsam. So kann es sich mit der Zeit daran gewöhnen
  • Bitter schmeckende Gemüsesorten wie Rosenkohl oder ähnliches schmecken milder, wenn man sie mit Milchprodukten kombiniert, also z.B. mit Käse überbackt oder mit einer Bechamelsauce (Mehl-Butter-Milch) serviert. 
  • Ermuntere dein Kind das neue Gemüse zu probieren. Wenn es das nicht machen möchte, dann akzeptiere das und kommentiere es nur kurz (z.B. „Mir schmeckt Blumenkohl sehr gut. Aber wenn du das nicht probieren möchtest, dann ist das okay für mich. Vielleicht magst du ja das nächste Mal probieren“). Wenn es probiert und das Gemüse lecker findet, dann freue dich darüber. Aber kommentiere auch das nur kurz und nicht übertrieben (z.B. „Das freut mich, dass dir Blumenkohl genauso gut schmeckt wie uns“). Denn Gemüse essen ist nichts Besonderes und auch keine Leistung.
  • Erlaube keine abwertenden Kommentare über Gemüse (z.B. „Igitt“ oder „schon wieder Hasenfutter“). Denn du hast Zeit und Mühe aufgebracht mit der Zubereitung. Und denjenigen, denen es schmeckt, wird sonst der Appetit vergehen bei solchen Kommentaren. 

Es ist uns bewusst, dass diese Tipps keine Garantie dafür sind, dass aus einem Gemüsemuffel ein Gemüsefan wird. Aber sie werden helfen, dieses „heiße“ Thema etwas zu entschärfen.
Und noch ein Hinweis: Kinder haben immer wieder Phasen, in denen sie gut Gemüse essen und dann wieder Phasen, wo es schlechter läuft. Oder es passiert, dass bestimmte Sorten, die sie längere Zeit gerne gegessen haben, auf einmal abgelehnt werden, ohne dass es einen erkennbaren Grund hat oder einen, den sie selber sagen können. Das ist einfach so und lässt sich nicht steuern. 

Unser Fazit:

Nicht über gesundes Gemüse reden, sondern auf den Tisch bringen. Immer wieder, mit Geduld, Überzeugung, Spaß und gutem Beispiel!