„Es war tatsächlich mein allererster Elternabend an der Grundschule unserer älteren Tochter. Ein neuer Lebensabschnitt begann. Für unsere Tochter und für uns als Eltern.“
Plötzlich Elternvertretung – Erfahrungsbericht einer Mutter über ihr Engagement als Elternvertreterin.
Diese plötzliche, unerwartete Stille war schwer auszuhalten. Eben noch plauderten Väter und Mütter – die Mütter deutlich in der Überzahl – munter miteinander über ihre Kinder und allerlei andere Schulthemen. Die freundlichen und zugewandten Lehrerinnen gaben Auskünfte, machten kleine Scherze, erzählten amüsante Anekdoten aus ihrer Schullaufbahn und versorgten die Eltern auf diesem Elternabend mit wichtigen Informationen. Es war mein allererster Elternabend an der Grundschule unserer älteren Tochter. Ein neuer Lebensabschnitt begann. Für unsere Tochter und für uns als Eltern.
Mit ein wenig Aufregung und freudiger Erwartung im Bauch nahm ich Platz auf einem der winzigen Kinderstühle. Ich war sehr pünktlich und hatte ausreichend Zeit, mir die beiden Lehrerinnen, einige schon anwesende Eltern und den Klassenraum anzusehen. Allein die Tatsache, dass mit zwei Lehrkräften, die die Klassenlehrer*innen Funktion innehatten, das Schulleben gestartet wird, empfand ich als wirklich großartig.
Es wirkte alles frisch, neu und innovativ auf mich. Meine eigene Grundschulzeit blitzte in Fragmenten durch mein Bewusstsein, und ich kam schnell zu der Erkenntnis, dass das Ambiente hier und heute vielversprechender und freundlicher war. Für unsere Tochter freute mich das natürlich sehr. Die Schule, das Schulleben hat sich offenbar zum Positiven verändert. Es gibt da jedoch gewisse Prozedere, die allem Anschein nach eher von statischer Natur sind.
Schon immer gab es eine Klassenkasse, die zu Beginn eines Schuljahres gefüllt werden musste, über dessen Einlage es seitens der Eltern stets Kontroversen gab. Eine Materialliste der zu beschaffenden Arbeitsmaterialien, die so manches Mal an die sagenhafte Ausstattung eines Künstlerbedarfladens erinnerte. Außerdem die Wahl der Elternvertreter*innen und Vertreter*innen eben dieser. Dies war der letzte Punkt auf der Elternabend Agenda: Wahl der Elternvertreter*innen. Als die etwas eloquentere Lehrerin ausführlich und euphorisch über dieses Eltern-Amt berichtete, hörte ich aufmerksam zu. Sie zählte diverse Rechte und Pflichten auf.
Das hörte sich für mich zwar alles ganz gut an, hatte jedoch das Gefühl, dies überhaupt nicht erfüllen zu können, da ich berufstätig bin und ein weiteres Zeitkontingent hierfür nicht locker machen könnte. "Ach, es gibt sicher jede Menge engagierter Mütter und Väter, die dieses Amt zum Wohle ihres Kindes, der Schule und der Gemeinschaft zur Verfügung stellen möchten", dachte ich für mich. Als die Lehrerin eben diesen gefürchteten Satz sprach „So liebe Eltern, wer von Ihnen hat denn Lust auf dieses wertvolle Amt?“ lehnte ich mich ganz entspannt zurück, soweit die kleine Stuhllehne dies erlaubte. Und da war es dann, dieses sofortige Umschlagen der guten, plauderigen Stimmung.
Die Tatsache, dass die noch so kleinste Bewegung von Mensch oder Ding als lautes Getöse wahrzunehmen war, machte die Situation nicht besser. Es schien, als hätten alle Eltern plötzlich aufgegangene Schnürsenkel, die unbedingt jetzt zugeschnürt werden mussten und beugten sich eilig und verlegen nach unten. Drei Eltern und ich hatten keine Schnürsenkel und blieben daher wie angewurzelt sitzen. Ich hätte niemals geahnt, dass das Vorhandensein von Schnürsenkeln über das Innehaben eines Elternvertreteramtes entscheiden kann. Aber so war es. Niemand meldete sich freiwillig, für ziemlich lange Zeit, da ja alle sehr beschäftigt mit ihren Schnürsenkeln waren.
Mir war dieses Nicht-Engagement fast schon unangenehm, konnte die Gründe hierfür jedoch absolut nachvollziehen. Irgendwie war meine Hand dann schneller als mein Gehirn und ich stellte mich zur Verfügung. Glücklicherweise fanden sich dann doch noch drei weitere Eltern.
Dies war dann der Beginn einer langen, nicht enden wollenden Laufbahn als Elternvertreterin. Auch später, in der Klasse unserer jüngeren Tochter, wurde ich mit diesem Amt betraut, sodass ich in zwei Klassen Elternvertreterin war. Inzwischen hatten viele Schuhe zwar andere Arten von Verschlüssen, aber das erste, plötzliche Schweigen nach der gefürchteten Frage der Lehrer*innen, war stets da.
Ich gewöhnte mich daran, hielt mich nach jedem Wahlvorgang erst einmal zurück und ließ potentiellen Interessenten stets den Vortritt. Aber es lief meist darauf hinaus dass ich nach der gewohnten Schweigezeit sagte „Also, wenn niemand möchte, dann mache ich gern weiter.“ So handhabten die anderen jeweils drei Elternvertreter*innen das auch, was zur Folge hatte, dass wir über die Jahre ein gutes Team wurden, eine gute Arbeitsteilung entwickelten und viele Lösungen für Probleme finden konnten.
Ich war stets darauf bedacht nicht eine dieser überengagierten Elternvertreter*innen zu sein. Das lag mir nicht. Durch meine hanseatische Zurückhaltung, diplomatisches Abwägen und natürlich Mitgefühl für Eltern, Lehrer*innen und Schüler*innen, bin ich über die Jahre ganz gut durch dieses Amt gekommen. Es hat mir einmal mehr gezeigt wie bunt das Leben – insbesondere das Schulleben ist. Wir mussten viele unzählige, unerwartete Lehrerwechsel auffangen, Missverständnisse zwischen Eltern und Lehrern aufklären, regelmäßige Elternstammtische organisieren, Ausgrenzungs-, Mobbing- und Gewaltpräventions-Workshops auf die Beine stellen, Protest-Elternbriefe an die Schulbehörde zu den Themen schreiben: überfüllte Gymnasial-Klassen, das Turbo-Abi (G8), plötzliche Klassenzusammenlegungen da Lehrerstellen gestrichen wurden, Unterrichtsausfall.
Es gab Klassenraum-Verschönerungs-Aktionen, Dankes- und Abschiedsgeschenke für Lehrer*innen besorgen, jede Menge Termin-Doodle einrichten für tolle Feste und Abschiedsveranstaltungen etc. Die Liste ginge hier noch weiter. Meine Zeit als Elternvertreterin ist noch nicht vorbei und bisher kann ich sagen: Die meiste Zeit macht es Spaß, es ist lehrreich für alle Beteiligten, oft erfolgreich, manchmal niederschmetternd und frustrierend und hin und wieder ein Gerangel mit dem eigenen Zeitbudget. Würde ich es wieder machen? Ja, ich denke schon, ob nun mit oder ohne Schnürschuhe.