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Hochsensibilität und Hochbegabung – wie hängt es zusammen?

Hochbegabung kann sich in vielen Bereichen zeigen, denn hochbegabte Kinder zeichnen sich durch schnelleres Lernen, genaueres Beobachten und tieferes Nachdenken aus. Im Artikel Checkliste: Ist mein Kind hochbegabt? findest du eine Reihe von Hinweisen.

Wenn Kinder aber genauer hinsehen, wenn sie mehr wahrnehmen und mehr Dinge sie zum Nachdenken anregen, dann spricht man auch von Hochsensibilität oder englisch „Overexcitability“. Manche Forscher wie z.B. Kasimierz Dabrowski sagen: Damit ein Kind mehr wahrnehmen kann, müssen seine „Kanäle“ offener sein. Dieses hohe Empfindungsvermögen wird von einem hochsensiblen Kind oft als störend wahrgenommen. Dann ist es ihm in der Kita zu laut, der Film ist zu traurig, der Pullover ist zu kratzig. Dabei gehören aber auch übergroße Freude, eine sehr lebhafte Fantasie und sehr tiefe Bindungen dazu – und das kann sehr bereichernd sein.

Wichtig ist bei all dem: Ein sehr hohes Empfindungsvermögen ist keine Krankheit. Es geht darum, diese Eigenschaft anzunehmen, mit den negativen Seiten auszukommen und die positiven Seiten hochsensibler Kinder anzuerkennen.

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Kleines Mädchen sitzt nachdenklich auf dem Sofa.

5 Formen der Hochsensibilität – so kann ich als Mutter oder Vater damit umgehen

Im Wesentlichen gibt es fünf verschiedene Formen der Hochsensibilität. Nähere Beschreibungen der Formen und was ihr als Mutter oder Vater tun könnt, findet ihr in den unten aufgeführten Kapiteln:

  • Psychomotorisches Empfindungsvermögen
  • Sensorisches Empfindungsvermögen
  • Intellektuelles Empfindungsvermögen
  • Imaginäres Empfindungsvermögen
  • Emotionales Empfindungsvermögen

Psychomotorisches Empfindungsvermögen bei hochsensiblen Kindern

Eine hohe (psycho-)motorische Sensibilität äußert sich z.B. früh in schnellem Sprechen, in einer Vorliebe für schnelle Sportarten oder das ständige „Nochmal rutschen!“ oder „Schneller, schneller!“  auf dem Spielplatz. Weitere Anzeichen sind eine deutliche Begeisterungsfähigkeit, Schauspielern, zwanghaftes Reden und Plaudern, impulsive Handlungen, manchmal auch nervöse Angewohnheiten wie Nägelkauen oder Tics. Bei manchen Kindern zeigt es sich auch in zwanghaftem Organisieren und Konkurrieren: „Ich mache schon mal einen Plan“ und „Wer schneller am Baum ist!“.

Aktion, Bewegung, Machen – oft reicht es, wenn du als Mutter oder Vater den Raum schaffst, dass dein Kind sich hier ausleben kann. So kann sich auch ein sportliches Talent gut entwickeln. Diesen hohen Bedarf an Bewegung und Aktivität sollte man nicht verwechseln mit Hyperaktivität, da die hochsensiblen Kinder bei ihren Interessen zu fokussierter Aufmerksamkeit und Konzentration fähig sind.

Hochsensible Kinder mit sensorischem Empfindungsvermögen

Gerüche oder Geräusche können von hochsensiblen Kindern wesentlich intensiver wahrgenommen werden. Zum Teil kommt es zu Reaktionen auf bestimmte Textilien, Pullover sind „kratzig“ auch eingenähte Schilder können als sehr störend empfunden werden. Die sensorische Sensibilität kann sich z.B. in einer Unverträglichkeit bestimmter Nahrungsmittel ausdrücken. Dann ist z.B. Milchreis oder ein Gemüse „eklig“, und es geht dem Kind wirklich schlecht beim Essen. Viele Kinder ertragen keine hohe Lautstärke, vor allem in Kita oder Schule. In manchen Schulen dürfen sich hochsensible Kinder bei der Stillarbeit oder bei Klassenarbeiten deshalb Kopfhörer aufsetzen.

Kinder mit einer sensorischer (Über)Empfindlichkeit sind auf der anderen Seite oft sehr genussfähig und zeigen häufig eine ausgeprägte Wertschätzung für schöne Objekte, Farben und Wörter. In der Kita ist es deiner Tochter immer zu laut, zu Hause hört sie aber gern Musik. Dein Kind will vielleicht Holz im Wald immer anfassen und daran riechen, will es mit allen Sinnen aufnehmen. Dann gibt es eine kuschelige Lieblingsdecke oder dein Kind schmilzt beim Lieblings-Schoko-Eis fast dahin. Solche Genuss-Momente lassen sich oft schon mit Kleinigkeiten erreichen und vielleicht kannst du dich auf dieses intensive Erleben zusammen mit deinem Kind einlassen. Im Artikel „Hilfe, ist mein Kind hochsensibel?“ finden sich viele Tipps für Eltern.
 

Kinder mit Hochsensibilität können ein intellektuelles Empfindungsvermögen haben

Eine intellektuelle Sensibilität äußert sich oft schon im Kita-Alter. Dein Kind stellt früh untersuchende und testende Fragen oder kann sich in langen Phasen von Konzentration und Ausdauer mit neuen Inhalten beschäftigen. Hier ist eine große Ähnlichkeit zur klassischen Hochbegabung zu sehen. Dazu findest du bei Elternleben viele Artikel, z.B. Tipps für Eltern hochbegabter Kinder

Intellektuelle Sensibilität zeigt sich oft in leidenschaftlichem Lesen, in detailliertem Planen und vorausschauendem, gedanklichem Verarbeiten von Handlungen oder Ereignissen. Häufig beobachtet man die Fähigkeit zu ausgedehnten intellektuellen Anstrengungen wie beispielsweise dem „Denken über das Denken“.
Diese Eigenschaften sind nicht mit denen schnelldenkender Normalbegabter zu verwechseln, denn das Denken geht bei hochbegabten oder intellektuell hochsensiblen Kindern nicht nur schneller, sondern auch tiefer. Eine hohe intellektuelle Sensibilität schließt moralische und intuitive Aspekte ein und geht somit auch über das Konstrukt von „kognitiver Intelligenz“ hinaus. Hier lohnt auch ein Blick auf die verschiedenen Formen von Intelligenz von Howard Gardner: IQ bei Kindern ist nicht alles: Begabungen sind bunt!

Imaginäres Empfindungsvermögen bei Hochsensibilität

Diese hohe Sensibilität ist eng verbunden mit Kreativität. Kinder mit hoher imaginärer Sensibilität erfinden oft Begleitpersonen oder -objekte als Gesellschaft für sich. Sie träumen komplex und sind anfällig für Alpträume. Es ist nicht gut, die Fantasie-Monster abzutun. Besser ist es, gemeinsam Fantasie-Verteidigungen zu finden. Bei ElternLeben findest du diese z.B. bei den Einschlaf-Tipps.

Manchmal haben hochsensible Kinder schnell Angst vor Unbekanntem, da für sie vieles vorstellbar ist, aber emotional noch nicht verarbeitet werden kann. Da werden z.B. Krankheiten oder der Tod sehr bildlich als Monster dargestellt. Du kannst dein Kind dazu anregen, seine Vorstellungen zu malen oder zu beschreiben. So könnt ihr euch darüber austauschen und dein Kind ist mit seinen Vorstellungen nicht allein.
Die Fantasie dieser hochsensiblen Kinder mit hohem Vorstellungsvermögen ist sehr lebendig, was unter anderem an der Fähigkeit zu detaillierter Visualisierung und an dem poetischen und dramatischen Ausdrucksvermögen zu beobachten ist.

Viele zeigen einen ausgeprägten Sinn für Humor und denken sich völlig unsinnige Geschichten, Figuren oder Situationen aus. Auch animistisches und magisches Denken, wie z. B. das Beleben von Objekten oder die Vermischung von Realität, Fiktion und Illusion, sind häufige Anzeichen hoher imaginärer Sensibilität. Wenn du dich darauf einlassen kannst, dann könnt ihr damit viel Spaß haben! Wenn Kinder diese Geschichten aufschreiben, dann kann das eine Art Geschichten-Tagebuch werden. Manche mögen ihre Vorstellungen auch teilen und ihr könnt später noch darauf zugreifen. Viele berühmte Autoren und Autorinnen haben so angefangen!
 

Emotionales Empfindungsvermögen bei hochsensiblen Kindern

Die hohe emotionale Sensibilität ist wahrscheinlich die wichtigste der fünf genannten Aspekte bei Hochsensibilität. Sie drückt sich in der Fähigkeit zu emotionaler Intensität, Sensibilität und Empathie aus. Diese Zuneigung und emotionale Bindung zu anderen zeigt sich oft auch gegenüber Tieren. Häufig erleben sich Kinder mit emotionaler Sensibilität, als wäre etwas mit ihnen nicht in Ordnung, da sie von Inhalten betroffen sind, an denen andere sich nicht stören: „Wie kann man diesen Film ansehen, ohne weinen zu müssen?“. Es hilft ihnen nicht, sie nur als zu sensibel zu bezeichnen, sondern sie brauchen Hilfe, um ihre Emotionen schätzen und nutzen zu lernen. Extrem positive und negative Gefühle sind z. B. Angst, Wut, Sorgen und Schuldgefühle, aber auch Begeisterung, Glück und Euphorie.

Kinder mit emotionaler Sensibilität identifizieren sich oft mit den Gefühlen anderer. Sie können sich mit anderen mitfreuen oder mit ihnen mitleiden. Dies äußert sich oft in tiefen Freundschaften, weil sie sich ganz auf die Gefühle von Freunden einlassen, z.B. ein Freund, der sich wirklich über meinen Erfolg mit-freut, oder eine Freundin, die meinen Schmerz wirklich mit-erlebt. Dies hängt eng zusammen mit der interpersonellen Intelligenz (nach Gardner). Auch zu ihren eigenen Gefühlen haben Kinder mit hohem emotionalen Einfühlungsvermögen einen guten Zugang: sie können ihre Gefühle oft gut beschreiben, erinnern und reflektieren. Dieser gute Blick „nach innen“ wird auch als „intrapersonelle Intelligenz“ bezeichnet.

Ganz gleich, in welchem Bereich dein Kind hochsensibel ist: es braucht dein Verständnis und deine Begleitung. Versucht, die Hochsensibilität nicht als Problem zu sehen, sondern als eine ganz besondere Begabung, die ein großes Geschenk sein kann.