„Ich erkenne mein süßes Baby nicht wieder!“ So empfinden viele Eltern, wenn sich die Trotzphase, auch Autonomiephase genannt, ankündigt. Die ersten Vorläufer der Trotzphase können bereits gegen Ende des ersten Lebensjahres auftreten, wenn ein Baby lautstark protestiert, wenn es etwas nicht gleich bekommt. Doch erst gegen Ende des zweiten Lebensjahrs ist ein Kind in der Lage, sich als eigenes Wesen zu erleben und sich von den Eltern mit einer Trotzreaktion abzugrenzen. Trotz bei Kindern ist also ganz normal und die Trotzphase gehört zur gesunden Entwicklung eines Kleinkindes dazu.
Was es mit der Autonomie- bzw. Trotzphase auf sich hat erklärt dir unsere Expertin. Sie zeigt dir auch, wie du dein Kind durch diese Phasen begleiten kannst.
Die Autnomiephase (oft auch „Trotzphase“ genannt) beginnt bei den meisten Kindern zwischen anderthalb und zwei Jahren und klingt mit etwa sechs Jahren wieder ab. Es ist eine Entwicklungszeit, in der die Kinder einen starken Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung spüren. Sie entdecken nun, was es heißt, selbst etwas zu wollen und stoßen dabei auf Grenzen. Diese Grenzen führen zu Frust und Wut, weil die Kinder sie aufgrund ihrer Hirnentwicklung noch nicht verstehen können, warum etwas nicht so gehen kann, wie sie es gerade gern möchten.
Wir sprechen lieber von „Autonomiephase“ als „Trotzphase“, weil „Trotz“ oft suggeriert, dass hinter dem Verhalten eine boshafte Absicht steckt oder die Kleinen die Erwachsenen tyrannisieren wollen. Das ist jedoch nicht der Fall – sondern es ist einfach der starke Wunsch nach Autonomie und die noch nicht fertige Gehirnentwicklung, die zu dem scheinbaren „Trotzverhalten“ führt.
Die Autonomie- oder Trotzphase dauert ca. 4 Jahre lang. Meistens beginnt die Phase mit etwa 1,5-2 Jahren und endet mit etwa 6 Jahren. Allerdings gibt es dazwischen oft ruhigere und anstrengendere Zeiten. Häufig wechseln sich Wochen bis Monate voller Ausraster ab mit „Pausen“, in denen das Kind ausgeglichener ist.
Spätestens wenn sich dein Kind aus heiterem Himmel auf den Boden schmeißt, schreit und scheinbar durch nichts zu beruhigen ist, weißt du, wie hilflos man sich mit einem Kleinkind in der Trotzphase fühlen kann. Während man früher davon ausging, dass der Trotz eines Kindes nur dann entsteht, wenn man nicht autoritär genug auftritt, weiß man heute, dass die Autonomiephase nichts damit zu tun hat, dass Kinder Tyrannen sind, die man bändigen muss, damit sie einem nicht auf der Nase herumtanzen.
Vielmehr geht es darum, dass dein Kind seinen eigenen Willen entdeckt, aber von seiner Hirnentwicklung noch nicht in der Lage ist, die damit verbundenen Gefühle zu kontrollieren. So wie sich dein Kind wunderbar freuen oder herzhaft lachen kann, so stark sind auch die Gefühle wie Wut oder Ärger. Alle diese Gefühle äußern sich spontan und unkontrolliert. Je älter dein Kind wird, desto besser kannst du mit ihm darüber reden. In der Trotzphase entdeckt dein Kind entdeckt sein „Ich“. Aber es braucht das „Du“, also dich als Mutter oder Vater, um diese neuen, unbekannten Gefühle steuern zu können. Auch Terminstress oder zu viel Mediennutzung können Kleinkinder überfordern und emotional an den Rand bringen. Eine sehr anstrengende Begleiterscheinung dieser Entwicklungsphase sind Trotz- oder Wutanfälle.
Darunter leidet dein Kind genauso stark wie du selbst. Nicht immer lassen sich Trotzanfälle vorhersehen. Doch sie treten häufiger auf, wenn dein Kind müde und deshalb schneller frustriert ist, oder wenn du selbst z.B. zeitlich stark unter Druck bist und dir deshalb die Geduld und Gelassenheit für das langsamere Tempo deines Kindes fehlt. Die unterschiedlichen Bedürfnisse der Eltern und des Kindes kennzeichnen die Trotzphase. Eltern müssen erst lernen, dass aus dem hilflosen Baby ein Kleinkind mit eigener Persönlichkeit wird, das seine eigenen Gefühle, eigene Interessen und ein eigenes Tempo hat. Es beginnt ein Prozess des „Aushandelns“, der sich sehr viel später noch einmal in der Pubertät wiederholt. Diese wird deshalb manchmal auch als „zweite Trotzphase“ bezeichnet.
Trotz bei Kindern hat viel mit der Entwicklung des Gehirns zu tun. Sehr vereinfacht gesagt hat jeder Mensch einen Gehirnbereich, der für die Vernunft zuständig ist. Man spricht auch vom oberen Gehirn, der Zentrale für Vernunft, planvolles Handeln, Steuerung. Das „untere Gehirn“ wird auch Reptiliengehirn genannt, wird komplett vom Gefühl und von angeborenen Instinkten gesteuert. Es ist von Geburt an voll entwickelt.
Ganz anders das obere Gehirn: es entwickelt sich über viele Jahre, baut sich immer wieder um und ist erst mit ca. 25 Jahren voll entwickelt. Für kleine Kinder, aber auch noch für Jugendliche, ist Selbstkontrolle deshalb schwierig und oft unmöglich. Einem Kind im Trotzalter zu sagen „sei doch mal vernünftig“ ist genauso überfordernd, als würde man sagen „sprich doch endlich mal chinesisch“. Auch Strafen wirken deshalb nicht, da sie voraussetzen, dass ein Kind absichtlich trotzt. Aber planvolles, kontrolliertes Handeln ist in diesem Entwicklungsstadium des Gehirns schlicht unmöglich.
Im Alter von 2 Jahren, manchmal schon etwas früher, beginnt diese Phase meistens. Hier ist es oft besonders anstrengend, weil die Kleinen sich noch nicht oder nicht gut mit Worten ausdrücken können. Am wichtigsten ist es, als Eltern selbst ruhig zu bleiben, sich zu erinnern, dass das Kind sich nicht absichtlich so verhält und selbst gerade überfordert ist. Es ist sinnvoll, kurz zu sagen, welche Gefühle man wahrnimmt (z.B. „Ich merke, dass du wütend bist!“) um das Gefühlsbewusstsein des Kindes zu fördern. Auch Bilderbücher wie „Heute bin ich“ oder „Das Farbenmonster“ helfen dabei.
Oft hilft Körperkontakt, manchmal muss man aber etwas abwarten, bis das Kind diesen zulassen kann.
Manchmal kann man etwas Drama herausnehmen, in dem Gegenstände, die das Kind nicht haben darf, außer Sichtweite stellt oder Alternativen anbietet (z.B. „Du darfst auch bei mir Zähne putzen!“). Auch Wahlmöglichkeiten, z.B. bei Kleidungsstücken, können dem Kind helfen, Grenzen zu akzeptieren.
Im Alter von 4-6 Jahren gibt es vor allem einen wesentlichen Unterschied: Die größere Sprachkompetenz des Kindes. Das sollte dich allerdings nicht zu langen Diskussionen verleiten, denn das überfordert Kinder auch in diesem Alter noch. Und gerade dann, wenn die Wut stark ist, brauchen auch ältere Kinder erst einmal die Ansprache auf Gefühlsebene. Also, weiter vorleben, wie man Emotionen in Worte fasst („Kann es sein, dass du dich ärgerst?“) und Beruhigung durch kurze, liebevolle Sätze und Angebote von Körpernähe unterstützen.
Vor und nach einem Trotzanfall kann man aber in diesem Alter schon gut mit dem Kind reflektieren und ihm helfen, nach und nach einen besseren Umgang mit Frust und Wut zu entwickeln. Man kann sanft das Hineinversetzen in andere fördern, indem man gemeinsam mit dem Kind überlegt, wie sich die anderen Beteiligten fühlen und warum. Man kann eigene Bedürfnisse und Grenzen benennen und erklären und Möglichkeiten zum Umgang mit Wut aufzeigen, wie auf den Boden stampfen oder in ein Kissen boxen. Auch hier sind altersgemäße Bücher wie „Wohin mit meiner Wut?“ oder „Die kleine Motzkuh“ hilfreich.
Wenn du dein Kind gut durch die Trotzphase begleiten möchtest ist es wichtig, bei dir selbst anzufangen: wie streng hast du deine Eltern erlebt? Wie wichtig ist Autonomie und Freiheit für dich selbst? Aber auch: wie anstrengend ist dein Alltag mit Kleinkind? Kommst du zum Luftholen? Kannst du mit deinem Partner/deiner Partnerin über die auftretenden Wutanfälle sprechen? Du ahnst es schon: deine eigene Haltung ist für die Bewältigung der anstrengenden Autonomiephase von großer Bedeutung. Wenn du selbst erschöpft bist, kannst du kaum Kraft oder Geduld für dein trotzendes Kind aufbringen.
Auch wenn du in deinem Elternhaus eher Strafen als Verständnis erlebt hast, ist es vielleicht schwer, selbst eine andere Erziehungsmethode anzuwenden. Deshalb ist der erste Schritt zur Bewältigung der Trotzphase schwer und einfach zu gleich: sie zu akzeptieren und sich als notwendige Entwicklungsphase darauf einzustellen, genauso wie du dich darauf einstellst, dass die Schuhe deines Kindes bereits wieder zu klein geworden sind. Gelassenheit, Humor und gegenseitige Unterstützung durch Partner oder Freunde helfen dir jetzt am meisten. Dein Kind braucht dich. Es liebt dich, auch wenn es laut und deutlich „nein“ sagt und sich scheinbar „egoistisch“ verhält.
In unserem Handbuch „Liebevoll Grenzen setzen“ findest du viele Tipps und Hintergrundwissen zur Autonomiephase. Hier eine kleine Auswahl:
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