Format: Artikel – Schreibfeder auf dem Tisch
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Warum schreit mein Baby so viel? Tipps zum Umgang mit Schreibabys

Autorin - Melanie Schüer

Wenn lange, nervenzehrende Schreiphasen deines Babys den Alltag bestimmen, fragst du dich vermutlich, ob dein Kind ein sogenanntes Schreibaby ist. Und sicherlich möchtest du wissen, woran es liegen kann, dass dein Baby so unruhig ist. Hier findest du Antworten von unserer ElternLeben-Expertin Melanie Schüer.

Lesezeit: Etwa 8 Minuten

Wann nennt man ein Baby "Schreibaby"?

Etwa jedes fünfte Baby gilt als Schreibaby. Ab wann dieser Begriff zutrifft, besagt die sogenannte „Dreierregel“: Schreien über mindestens drei Stunden an mindestens drei Tagen pro Woche seit mindestens drei Wochen.
Diese Regel kann helfen, einzuschätzen, wie ausgeprägt das Schreiproblem ist. Letztlich kann sie aber nur als Orientierung dienen – entscheidend ist, wie es dir und deinem Kind geht. Wenn das Schreien deines Babys dich zunehmend belastet, solltest du dir Hilfe holen – unabhängig davon, ob die Angaben der Dreierregel erfüllt sind oder nicht.

Was können Ursachen für das Schreien eines Babys sein?

Verdauungsprobleme:

Früher wurden Schreiphasen von Babys  mit den „Dreimonatskoliken“, also Bauchschmerzen und Blähungen in den ersten Lebensmonaten, erklärt. Heutzutage sehen viele Fachleuchte das anders: Zwar haben Schreibabys viel Luft im Bauch – aber meist nicht als Ursache, sondern als Folge des Schreiens, bei welchem Luft geschluckt wird.

Eine Studie aus den USA deutet doch wieder Richtung Koliken, da sie zeigt, dass die Darmflora von Schreibabys Besonderheiten aufweist. Tatsächlich helfen einigen Babys spezielle probiotische Mittel, welche die Darmflora unterstützen.

Auch die Ernährung könnte eine Rolle spielen: Während in vielen Naturvölkern Säuglinge in sehr kleinen Abständen (stündlich oder noch öfter) gestillt werden, wird hierzulande oft geraten, Babys nur alle drei bis vier Stunden zu füttern. Problematisch, vermutet der Kinderarzt Renz-Polster: Durch die langen Abstände zwischen den Mahlzeiten müssen unsere Babys große Mengen zu sich nehmen, die seinen kleinen Magen überfordern. Das kann zu Schmerzen und Blähungen führen.
 

Regulationsstörungen

Statt von Dreimonatskoliken spricht die Fachwelt heute eher von „Regulationsstörungen“: Einige Babys sind außergewöhnlich wach, aktiv und schaffen es nicht, „abzuschalten“. Das führt dazu, dass sie überreizt und erschöpft sind, was sich früher oder später durch lautes Geschrei äußert. Das liegt nicht daran, dass sie „verwöhnt“ wurden, sondern hängt mit ihrem Temperament zusammen: Viele Schreibabys sind später hochsensible, in der Regel besonders wissbegierige, kluge Kinder. Besonders für diese Babys sind regelmäßige Ruhepausen wichtig. Säuglinge unter vier Monaten sind in der Regel schon nach ein bis anderthalb Stunden Wachzeit müde und brauchen ein Nickerchen. 

 

Stress während Schwangerschaft und Geburt

Medikamente, z.B. Wehenhemmer und häufige Ultraschalluntersuchungen oder CTG-Kontrollen können für das Baby Stress bedeuten. Auch psychische Belastungen der Mutter wirken sich durch die Ausschüttung von Stresshormonen auf ungeborene Babys aus. Außerdem wurden Zusammenhänge zwischen B12-Mangel von Schwangeren und vermehrtem Schreien von Babys festgestellt.

Eine anstrengende, sehr lange oder schmerzhafte Geburt hinterlässt ebenfalls Spuren und kann das Wohlbefinden von Deinem Baby beeinträchtigen. Vielleicht belasten Dich die Erinnerungen an die Geburt noch, womöglich auch unbewusst? Eine schwierige Geburt kann traumatisch sein und es braucht gute Begleitung, um ein solches Erlebnis zu verarbeiten. Wenn Deine Geburt sehr belastend war, informiere Dich doch mal über Traumatherapie oder -beratung. Auch eine Eltern-Kind-Psychotherapie kann hilfreich sein.

 

Das fehlende vierte Trimester

Der Kinderarzt Harvey Karp behauptet, dass unsere Babys im Grunde drei Monate zu früh geboren werden – notwendigerweise, weil sie sonst nicht mehr durch das Becken passen würden. Diese Annahme passt zu der Beobachtung, dass Babys in den ersten drei Monaten sich oft gut durch eine Umgebung beruhigen lassen, die dem Mutterleib ähneln: Viel Körpernähe, z.B. im Tragetuch, Puckdecken, mit denen das Baby eingewickelt wird (nicht den ganzen Tag, aber zum Schlafen oft nützlich) und „weißes Rauschen“ (Geräusche wie Regen, Staubsauger, Fön. Auch auf CD oder online).

Was kann ich jetzt tun?

Vielleicht helfen dir diese Hinweise schon weiter.

  • Versuche es auch mit der TROST-Methode, die wir dir wärmstens empfehlen können. Sie enthält Tipps, wie du dein schreiendes Baby beruhigen kannst.
  • Sicher gibt es auch in deiner Nähe eine Schreiambulanz, wo man dich berät.
  • Nutze unsere kostenlose Beratungsangebote des Elternleben-Teams. Stell uns deine Frage per E-Mail. Unsere Expert*innen beraten dich persönlich! Oder nimm an unseren regelmäßigen Online-Elternsprechstunden zu bestimmten Themen teil.

Wichtig: Schüttle niemals dein Baby!

Bereits kurzes Schütteln kann deinem Kind gesundheitlich sehr großen Schaden zufügen. Schütteln kann zum Tod führen.

Tipp: Wenn du völlig übermüdet oder ganz verzweifelt bist, weil dein Baby sich nicht beruhigt, liegen deine Nerven vielleicht blank. Dann lege dein Baby an einen sicheren Ort (z. B. in das Kinderbett) und beruhige dich erst einmal. Sonst kann es passieren, dass du dein Kind im Affekt schüttelst. Auf der Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung findest du das Video "Niemals schütteln! - Wenn Babys nicht aufhören zu schreien" in verschiedenen Sprachen dazu.

Eine Mutter erzählt: Das Leben mit einem Schreibaby

Unsere Expertin Andrea Zschocher, die selbst Mutter von Schreibabys ist, teilt ihre persönlichen Erfahrungen und gibt Einblicke in das Leben mit schreienden Babys.

„Wenn ein Baby weint, dann haben andere Menschen 100 und eine Idee, was der Grund dafür ist und was gegen das Weinen helfen könnte. Wenn dein Baby ein sogenanntes Schreibaby ist, das über Wochen und Monate sehr ausdauernd und herzzerreißend weint, dann werden aus diesen Ratschlägen schnell Anklagen, die dafür sorgen, dass du dich als Elternteil unzulänglich fühlst. Ich kenne das aus eigener leidvoller Erfahrung, denn meine drei Kinder waren alle Schreibabys. Die vielen gutgemeinten Ratschläge sorgten bei mir für noch mehr Stress und das Gefühl, es als einziger Mensch auf dieser Welt nicht hinzubekommen, meine Kinder glücklich und zufrieden zu machen. Dabei ist die Wahrheit in Bezug auf Schreibabys leider recht einfach: Meistens hilft nur Durchhalten. Wir Eltern können kaum mehr tun als unsere Kinder halten, für sie da zu sein, begleiten. Weil das Weinen nicht Hunger oder Unwohlsein wegen einer vollen Windel signalisiert, sondern weil diese Babys sehr viel Nähe und Zuspruch brauchen.“

 

Eltern von Schreibabys brauchen Unterstützung

Natürlich sind wir für unsere Kinder immer da, aber wir sollten auch mehr darüber sprechen, wie sehr das uns Eltern an unsere Grenzen bringt. Die Sorge um ein Baby ist immer dann leichter, wenn sie sich auf viele Hände verteilt. Nur haben wir die heute in den meisten Fällen nicht. Und das ist auch der Grund dafür, dass Eltern inzwischen immer mehr über Schreibabys lesen. Nicht, weil das etwas vollkommen Neues ist, untröstlich weinende Kinder gab es schon immer. Früher hat sich die Herausforderungen nur auf mehr Menschen verteilt und wenn nicht nur die Eltern sondern auch Großeltern, Tanten, Onkel, ältere Kinder und Nachbarn den Familienalltag unterstützt haben, so wurde die individuelle Belastung kleiner. Das sprichwörtliche Dorf, das es braucht um ein Kind groß zu ziehen, das fehlt uns in vielen Fällen. Ich hatte es definitiv nicht und war deswegen mit dem Geschrei meiner Kinder oft am Limit.

 

Haltet durch – Die Schreibaby-Zeit geht vorüber

Was mir geholfen hat? Zum einen die Hoffnung darauf, dass es irgendwann besser werden musste. Und das wird es, ich verspreche es euch. Auch wenn es sich mitten drin nicht so anfühlt. Meine drei Kinder sind der Schreibabyzeit inzwischen entwachsen und ich kann euch versichern: Es wird anders. Und, ob ihr es glaubt oder nicht, in aller Regel sind auch überhaupt gar keine Spätfolgen zu erwarten. Wenn ihr angemessen und altersgerecht auf das Weinen eures Babys reagiert, dann stehen die Chancen sehr, sehr gut, dass das Schreien irgendwann nur eure Erinnerung an die erste Zeit mit eurem Kind ist.

Meine Erinnerungen an diese Zeit sind tatsächlich unvollständig. Da ist viel Geschrei und Müdigkeit und Trauer darüber, dass alles so ganz anders kam als gedacht. Das kann bei euch so sein, muss aber nicht. Für mein Buch >>Wie du dein Schreibaby beruhigst<< habe ich mit über 50 Eltern von Schreibabys gesprochen. Und spätestens auf Nachfrage erinnern sich eigentlich alle dann doch auch an schöne Momente mit ihren viel weinenden Babys. Die sind schon wichtig, weil sie beim Durchhalten helfen. Auch mir fällt das erste Lachen, das Staunen über einen Sternenhimmel und die Liebe der Geschwister zueinander ein. Und die Liebe, die ist es tatsächlich, die uns durch diese Zeiten trägt.

 

Als Mutter und Vater zusammen durch die Schreibaby-Zeit

Dazu gehört auch die gegenseitige Entlastung. Ja, auch nachts! Ich hatte anfangs gedacht, dass ich auch in der Nacht dafür zuständig bin, dass unser Baby möglichst wenig weint. Bis ich vor Erschöpfung umfiel. Da war klar: Wir Eltern müssen gemeinsam da durch und zwar zu jeder Tageszeit. So waren wir beide sehr müde, aber die Zeit hat uns auch zusammengeschweißt. Wir leben bis heute eine sehr gleichberechtigte Elternschaft, kümmern uns 50:50 um Haushalt und Kinder und ich bin davon überzeugt, das hat seinen Ursprung auch in der Schreibabyzeit. Weil klar war, dass wir die Herausforderung nur gemeinsam schaffen. Dazu zählt auch, dem anderen zu erzählen, was euch beschäftigt.

 

Mein Schreibaby sorgt für schwere Gedanken

Gerade mit einem Schreibaby können das auch erschreckend dunkle Gedanken sein. Vielleicht glaubt ihr, so im Geheimen, dass es besser wäre, euer Baby wäre gar nicht da, dass ihr die falschen Eltern für euer Kind seid oder auch, dass ihr euch oder eurem Kind etwas antun könntet, um aus dieser Situation herauszukommen. Das liest sich schrecklich, natürlich. Aber wenn wir nicht anfangen darüber zu reden, dann wird es weiterhin ein Tabu bleiben und ihr keine Entlastung bekommen.

Wendet euch vertrauensvoll an euren Partner, den Kinderarzt, die Hebamme, die Gynäkologin. Wo immer ihr das Gefühl habt, gut aufgehoben zu sein, da sprecht darüber, was diese Zeit mit euch macht. Ihr müsst deswegen kein schlechtes Gewissen haben, im Gegenteil, seid stolz auf euch, dass ihr euch Hilfe sucht. Ich habe mit meinem Mann und meiner Hebamme viel über die dunklen Gedanken, die ich hatte gesprochen. Und das Erzählen hat verhindert, dass ich vollkommen verzweifelte. Diese Entlastung wünsche ich euch auch."